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Frauen überwinden Rassismus: Zusammenleben durch Achtung und Respekt der Würde des Anderen
Dr. Cassandra Ellerbe-Dück
„Frauen reden zu Tisch“ am 30.10.2016 in der Ev. Akademie zu Berlin, deutsche Fassung
Zuerst möchte ich Frau Möbius und der Protestantischen Kirche Berlin (Ev. Akademie zu Berlin) für diese Einladung danken.
Als ich über das Thema Rassismus nachdachte und welche Rolle Frauen bei der Bewältigung dieses gesellschaftlichen Problems spielen könn(t)en, kamen mir die Worte der französischen Soziologin Colette Guillaumin (1999:46) in den Sinn: „Rassen gibt es nicht, und doch töten sie“.
Es gibt keine „Rassen“, wohl aber Rassismus! Rassismus ist eine Ideologie und ein System der Unterdrückung, das Machtstrukturen schafft, welche hierarchische Beziehungen zwischen Menschen entstehen lassen. Darüber hinaus steht Rassismus für Praktiken, die eng mit Versklavung, Kolonialisierung und wirtschaftlicher Ausbeutung der Menschen verknüpft sind.
In diesem System maßt eine bestimmte Personengruppe sich an, auf der Grundlage der Hautfarbe Macht über eine andere Gruppe auszuüben. Dieses System beruht auf stillschweigenden oder ausdrücklichen Überzeugungen, falschen Annahmen und Aktionen, die sich auf eine Ideologie der inhärenten Überlegenheit einer rassifizierten Gruppe gegenüber einer anderen stützen.
Rassifizierung, was genau ist das und welche Indikatoren gibt es dafür?
Rassifizierung ist ein äußerst komplexer und widersprüchlicher Prozess, durch den Personengruppen einer bestimmten „Rasse“ zugeordnet und auf dieser Grundlage anders und/oder ungleich behandelt werden.
Ich lebe seit mehr als dreißig Jahren in Deutschland und bin als „Diversity and Social Justice Trainer“ tätig. Ich stelle fest, dass viele den Begriff und die Reichweite von Rassismus nur unzureichend verstehen. Bei den Trainings, die ich gebe, verwende ich oft folgende Gleichung, damit die Teilnehmer Rassismus besser begreifen:
Rassismus = Rassenvorurteil + Macht: Es ist äußerst wichtig zu verstehen, dass Macht zweifelsohne eines der wesentlichen Merkmale von Rassismus ist.
Meine Lebenserfahrung (in den USA oder in Europa) hat mich gelehrt, dass es mir als schwarzer (dieser Fakt muss betont werden) Frau nicht gestattet ist, diese beiden wesentlichen und sichtbaren Aspekte meiner Identität zu vergessen: 1. Meine schwarze Hautfarbe & 2. Mein Geschlecht.
In verschiedenen Situationen habe ich erlebt, dass meine „Rasse“ vor meinem Geschlecht wahrgenommen wurde.
Rassismus ist ein Thema, dass nicht nur Schwarze und People of Color betrifft, sondern alle Mitglieder unserer Gesellschaft. Rassismus fügt uns allen und unserer ganzen Gesellschaft Schäden zu.
Nicht nur Schwarze und People of Color werden ihrer Würde beraubt; das Gleiche gilt für Weiße, insbesondere wenn sie rassistisch handeln oder Rassismus zulassen.
Ich glaube, für uns alle ist der Zeitpunkt gekommen, uns unabhängig von Rasse, Geschlecht, Alter, religiösem Hintergrund, sexueller Orientierung oder sozialem Status am „Sacred Conversation on Race“ zu beteiligen, das die UCC (United Church of Christ) erarbeitet hat. Mit Blick auf dieses „Heilige Gespräch“ und auf einen entschlossenen Versuch zur Bekämpfung und Bewältigung von Rassismus gibt es mehrere Punkte, die meiner Meinung nach ausschlaggebend sind, um dieses Gespräch in die Wege zu leiten. Aus Zeitgründen kann ich bei diesem kurzen Vortrag jedoch nur drei Punkte anführen:
1. Anerkennung und Respekt der Würde und Menschlichkeit der Ausgegrenzten:
In Deutschland wird die Diskussion über Rassismus in erster Linie gemieden und als Tabu betrachtet. Der geläufigsten Auffassung zufolge gibt es diesen Missstand anderenorts (in den USA, Südafrika und Frankreich), aber nicht in der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe außerdem festgestellt, dass viele Personen, die an den Trainings teilnehmen und der dominierenden Gruppe angehören, Minderheiten nicht als Menschen betrachten, die eine respektvolle und würdevolle Behandlung verdienen.
Viele Personen der dominierenden Gruppe konzentrieren sich nämlich zu stark auf die „Unterschiede“ und verlieren oft aus den Augen, dass uns eigentlich mehr verbindet als trennt.
2. Selbstreflexion
Diskussionen über das Thema „Rasse“ und Rassismus sollten nicht nur von Schwarzen und People of Color angestoßen werden. Es ist dringend notwendig, dass Weiße Verantwortung für die Selbstbildung zum Thema Rassismus übernehmen. Die Kritisches-Weißsein-Theorie und ein umfassendes Verständnis der Funktionsweise des Weißseins und seiner Verbindung mit Macht und Privilegien sind unerlässlich, um diesen gesellschaftlichen Missstand gründlich anzugehen. Ein offenes Ohr und die Bereitschaft, Wege, Vorstellungen und Verhaltensweisen zu „verlernen“, sind für diesen Prozess entscheidend. Es gilt, den tagtäglichen Rassismus in unserem Sprachgebrauch und Straßenbild anzuerkennen.
3. Die Protestantische Kirche als treibende Kraft des Wandels
Ich bin überzeugt, dass es der Kirche (in diesem Fall der Protestantischen Kirche) obliegt, bei der Bekämpfung von Rassismus als wichtiger Akteur für soziale Gerechtigkeit („social justice player“) aufzutreten. Überdies muss sich die Protestantische Kirche ihrer eigenen Geschichte und Beteiligung an Rassismus und am Erhalt rassistischer Praktiken stellen. Gemeint sind die Einführung und Anpassung eines theologischen Konzepts, das kritische Rasse und Kritisches-Weißsein-Theorie umfasst. Diese theoretischen Ansätze werden sich als entscheidende Elemente bei der Betrachtung vorhandener Strukturen und Praktiken erweisen.
Die Kirche muss sich stärker an Aktionen und Tätigkeiten beteiligen, die dem Rassismus entgegentreten und ihn bekämpfen. Man denke nur an die Arbeit der Aktivisten der afrikanischen Diaspora hier in Berlin: sie strebt die Umbenennung von circa 79 Straßen und Plätzen in Berlin an, die eindeutig rassistische Bezeichnungen oder Namen von Personen tragen, die während der deutschen Kolonialzeit auf dem afrikanischen Kontinent Verbrechen begangen haben. Ein Beispiel hierfür ist die „M“-Straße/ Mohrenstraße.
Und – last but not least – gilt es, einen offenen und ehrlichen Dialog über das Bestehen von Rassismus in der deutschen Gesellschaft und die damit verbundenen sozialpsychologischen Auswirkungen auf Communities of Color zu erleichtern. Vorbedingung für einen derartigen Dialog wäre die Einrichtung von Netzwerken/Arbeitsgruppen, die durch eine ständige Outreach-Strategie hin zu Communities of Color zwecks Unterstützung und Erhalt dieser Arbeit flankiert werden.
Abschließend möchte ich die schwarze deutsche Dichterin, Wissenschaftlerin und Aktivistin May Ayim zitieren, die kurz nach der deutschen Wiedervereinigung folgendes zum Thema Rassismus sagte:
„Rassismus und Verdrängung wird auf absehbare Zeit ein aktuelles Thema in Deutschland bleiben. Das ist bezeichnend und beängstigend, und dennoch ist es für mich kein Grund zur Resignation, sondern viel eher eine Aufforderung zu verstärkter Aktion was z.B. bedeutet, mehr und bessere Strategien und Bündnisse zu schaffen… Und dazu brauchen wir nicht Freundinnen und Freunde zu werden, sondern müssen lernen, zusammenzuarbeiten“.
– May Ayim „Grenzenlos und Unverschämt“ (1997)
Das „Zusammenarbeiten“ ist meiner Meinung nach auch ein Aspekt des Zusammenlebens.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf eine lebhafte Diskussion!
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