Dr. Christine Bergmann – Ministerin a.D., Beauftragte der Bundesregierung für Aufklärung von Missbrauchsfällen

Berlin 30.10.2011

„Halte dich still für dich, möglichst fern von
geschwätzigen Freundinnen“,

so liebe Freundinnen lautete ein Rat für Frauen in dem
1881 erschienenen Buch „Das häusliche Glück“.

Sie sehen, das Unbehagen unter Männern, wenn Frauen sich
treffen, ist alt und wir brauchen nicht viel Fantasie, um uns vorzustellen,
dass bei unserem Treffen, nun auch noch unter dem Vorzeichen der Reformation,
die Sorgenfalten sich auf manch männlicher Stirn vermehren. Was passiert da
wohl.

Ich erinnere mich jedenfalls noch sehr gut daran, welche
Bemerkungen gefallen sind, wenn sich die Frauen der Synode zu einer Besprechung
getroffen haben. Was passiert da wohl? Und natürlich ist etwas passiert, z.B.
wurden Frauen ermutigt, für die Kirchenleitung zu kandidieren und damit die
nicht akzeptable Vorschlagsliste über den Haufen zu werfen. Nun passierte das,
was vielen Männern nach wie vor Probleme bereitet, sie mussten mit Frauen
konkurrieren. Und da sind wir an einem Punkt angekommen, der viel aussagt über
die Befindlichkeiten und Ängste von Männern aber auch von Frauen.

In einer Konkurrenzsituation mit Frauen zu unterliegen,
scheint Männern noch immer schwerer zu fallen als wenn es sich um männliche
Mitbewerber handelt, also tun sie alles, um es gar nicht erst zu eine solchen
Situation kommen zu lassen.

Die Diskussionen um Gleichstellungsgesetze und Quoten,
die die immer gleichen Gegenargumente hervorrufen „und dann kommt ja kein Mann
mehr in höhere Positionen“ zeigen das. Der Hinweis auf qualifikationsbezogene
Quoten wirkt dann eher angstverstärkend, ist „mann“ doch auch noch einer
Geeigneteren unterlegen, die noch nicht einmal als sogenannten „Quotenfrau“
abqualifiziert werden kann.

Aber, liebe Frauen, auch wir schätzen diese
Konkurrenzsituationen gegen eine quantitative Männer-Übermacht nicht
sonderlich. Ich habe erst kürzlich, Namen kann ich hier nicht nennen, eine
solche Situation erlebt, wo mir eine aus meiner Sicht sehr befähigte Frau
sagte, ich trete nicht an, da ich in einem männerdominierten Umfeld sowieso
Akzeptanzprobleme bekommen werde. Kann sein, aber trotzdem schade.

Eins ist klar: die Zeiten, in denen wir Frauen permanent
mit Statistiken beweisen mussten, dass Frauen weniger kompetent, schlechter
ausgebildet oder ansonsten eben wegen
Defizite anderer Art ungeeignet sind, Führungspositionen zu übernehmen, sind vorbei. Mit Ausnahme vielleicht
eines Professors aus München, bei dessen Artikel ich mich an einen Berliner
Medizinhistoriker erinnerte, der 1902 sagte und das will ich Ihnen nicht
vorenthalten: „Ich muss sagen, seitdem Haarnadeln hier und da auf dem Vorhof
der Berliner Universitäten zu finden sind, hat das ganze akademische Leben eine
gewisse Depression erfahren.“ Vor gut 100 Jahren Herr Pagel. Die Parallelen zu.

Und ich habe überhaupt keine Lust mehr auf Appelle wie:
„Traut uns mehr zu“. Nein, wir trauen es uns zu und können uns auch zutrauen,
Verantwortung zu übernehmen in vielen Berufen und Funktionen.

Woran liegt es also, dass sich zwar schon eine ganze
Menge geändert hat, die Kirche auch von außen betrachtet vielleicht
„weiblicher“ geworden ist – innen, auf den Kirchenbänken, in den vielen
sozialen Projekten- ist sie es sowieso, aber von tatsächlicher
Geschlechtergerechtigkeit trotz aller verbaler Bekundungen nicht die Rede sein
kann und nach wie vor z.B. alle Perspektiv-Papiere um diesen Aspekt
nachgebessert werden müssen.

Es geht nicht so recht voran mit der
Geschlechtergerechtigkeit. Die logische Folgerung: Es geht offensichtlich nicht
ohne Verbindlichkeit. Alle gut gemeinten
Bekundungen, Appelle, auch gesetzlichen Regelungen, die keine Sanktionen und
Kontrollen enthalten, reichen nicht aus. Verbindliche wirksame rechtliche
Regelungen müssen her und auch Anreizsysteme haben sich als wirksam erwiesen.
Und das gilt für die Gesellschaft wie für die Kirche.

Auch die sogenannte, von einigen misstrauisch beäugte
„Feminisierung der Kirche“ bringt nicht automatisch Frauen in die oberen
Etagen. Das haben wir in den letzten Jahrzehnten im Wissenschaftsbereich
leidvoll erlebt. Viele Frauen in den Startpositionen und trotzdem nur wenige an
der Spitze. Und das gilt auch für zahlenmäßig frauendominierte Bereiche.

Und unsere Bilanz der Beschlüsse von Bad Krozingen 1989,
nach denen wir mittlerweile 50% Frauen in leitenden kirchlichen Ämtern haben
müssten, war auch nicht gerade überzeugend.

Wie freiwillige Vereinbarungen mit der Wirtschaft
schlichtweg ignoriert werden, wissen wir auch. Jetzt versuchen wir es noch
einmal mit ein bisschen Quote.

Es geht auch nicht ohne Veränderung der Arbeitskulturen
und der Geschlechterrollen. Eine ausgeprägte „Anwesenheitskultur“ macht es
weder für Frauen noch für familienorientierte Männer leicht. Es ist eine
Verhinderungsstrategie, die sich sowohl gegen Frauen als auch gegen Männer
richtet, die aus den traditionellen Männerrollen heraus wollen.

Ein echtes Reformprojekt wartet hier auf uns, das
souveräne selbstbewusste Männer braucht, die nicht einmal souveräne
selbstbewusste Frauen aus der Ruhe bringt, wie es so ähnlich Thea Dorn
formuliert hat.

Zu diesem Reformprojekt gehört natürlich die Aufwertung
der Arbeit am Menschen, eine überwiegend von Frauen unbezahlt oder schlecht
bezahlte Tätigkeit.

Anrede,

lassen Sie mich zum Schluss auch noch einen Aspekt zum
Thema Gewalt, das Margot Käßmann schon angesprochen hat, hinzufügen. Schon
lange haben sich Frauen mit dem Thema Gewalt gegen Frauen und Kinder
auseinandergesetzt, haben Hilfsangebote geschaffen, immer wieder die
Gesellschaft sensibilisiert und versucht, dieses Thema aus der Tabuzone heraus
zu holen. In der DDR waren Frauen aus der Kirche die einzigen, die sich um
dieses ansonsten in der Gesellschaft absolut verleugnete Thema gekümmert haben.
In den letzten Jahren haben wir von einem Ausmaß an Gewalt erfahren, dass wir
so nicht für möglich gehalten hätten –
Gewalt gegen Kinder, psychische, physische, sexuelle Gewalt, Gewalt in Heimen,
Internaten, Vereinen, aber auch in den Familien unter Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen
und Machtverhältnissen. Von dieser Gewalt waren in hohem Maße auch Männer
betroffen, die darüber jetzt sprechen und damit sehr dazu beigetragen haben,
dass sexuelle Gewalt an Kindern ein öffentliches Thema geworden ist und auch bleiben
muss. Männer als Opfer von überwiegend
männlicher sexueller Gewalt waren bisher außerhalb der Fachöffentlichkeit kaum
im Blick. Und neben den eigentlichen Tätern gab und gibt es diejenigen, die
vertuschen und verschweigen, die die Täter schonen.

Das betrifft – leider- auch die Kirchen, die katholische in besonderem, aber auch die
evangelische Kirche. Und ich bekomme noch reichlich Briefe, in denen von diesen
Mechanismen aktuell berichtet wird. Das heißt natürlich, dass ein offener
transparenter Umgang mit diesen Fällen notwendig ist, dass aufgearbeitet wird,
was geschehen ist und aufgeklärt wird, welche Strukturen diese Taten begünstigt
haben und warum das Schicksal der Täter so oft wichtiger war als die Hilfe für
die Opfer.

Eine Auseinandersetzung von Männern, die nach den
Berichten an der telefonischen Anlaufstelle zu fast 90% die Täter waren – auch Jungen werden überwiegend von
Männern missbraucht -, mit den Themen sexueller
Gewalt, Machtmissbrauch und Täterschutz ist dringend notwendig.

Gut lutherisch müssen wir fragen: Was ist los in einer
Kirche, die die Schwachen schützen will, wenn Gewalt an Kindern hingenommen
wird und vor allem: was ist zu ändern.

Anrede,

Unsere Thesen sind nicht für einen netten Abend gemacht.
Sie sind die geballte Frauenpower für die nächste Etappe der Arbeit an einer
geschlechtergerechten Gesellschaft.

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