Dr. Dagmar Herbrecht – Kirchenrätin der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf

Beitrag zum Frauenmahl des Kirchenkreises Gladbach-Neuss am 30.3.2014

Zwei Frauen mit Macht: Ilse Härter und Hannelore Erhart


Sehr geehrte Damen, liebe Frauen,

Macht, Politik. Mit diesen Stichworten möchte ich heute Abend meine Erinnerung an zwei großartige Theologinnen mit Ihnen teilen, die mich sehr geprägt haben. Beide sind im vergangenen Jahr gestorben und so ist diese Tischrede für mich auch so etwas wie das erste Jahresgedächtnis.

Ilse Härter, Vikarin, Pastorin und nach ihrem Ruhestand Pfarrerin der rheinischen Kirche, ist am 28. Dezember 2012 kurz vor ihrem 101. Geburtstag verstorben.

Hannelore Erhart, Lehrvikarin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, später Professorin für reformierte Theologie an der Universität Göttingen ist 85 Jahre alt geworden und am 9. April 2013 verstorben.

Bevor ich mich den beiden Frauen zuwende, möchte ich Ihnen kurz erklären, wie ich "Macht" verstehe.

1. Macht

Mit Hanna Arendt unterscheide ich "Macht" auf der einen Seite und Herrschaft und Gewalt auf der anderen. Macht basiert auf Zustimmung und ist das "Ergebnis von Übereinkünften und ‚assoziiertem‘ Handeln. [1] Sie beinhaltet zunächst nichts anderes als die aktive Einflussnahme im gesellschaftlichen (politischen, kirchlichen und wirtschaftlichen) Leben und die Chance, sich für die eigenen Wertsetzungen einzusetzen. [2] So ist Macht ein "System von Nehmen und Geben", das in jedem gesellschaftlichen Zusammenhang existiert [3] und als Beziehungsgeschehen bezeichnet werden kann.

2. Ilse Härter (12. Januar 1912 – 28. Dezember 2012)

Ilse Härter ist 1912 geboren, sie ist also in einer Zeit groß geworden, als Frauen noch wenig aktive Einflussnahme zugestanden wurde.

In den 1930iger Jahren hat sie ihr Theologiestudium aufgenommen und schon bald ihre erste (kirchen-)politische Entscheidung getroffen. Sie hat sich der Bekennenden Kirche angeschlossen und den Weg in eine sehr unsichere, illegale Zukunft gewählt.

Kess und forsch habe ich sie im Alter kennengelernt und so muss sie auch schon in der Jugend gewesen sein. Frauen wurden damals nicht ordiniert, für sie gab es die besondere Form der Einsegnung. Das hat Ilse Härter nicht akzeptiert. "Zu meiner Einsegnung werde ich nicht anwesend sein", teilte sie ihren Vorgesetzten mit. Und tatsächlich ist es ihr gelungen, sich der ordentlichen Berufung durch ihre Kirche zu entziehen – bis zu dem Tag, an dem sie ohne Einschränkung zur Verkündigung in Wort und Sakrament ordiniert wurde. Sie hat den sog. Ariernachweis und den Eid auf Hitler verweigert, sie hat sich für Jüdinnen und Juden eingesetzt – und sie ist bis ins letzte Lebensjahr politisch interessiert gewesen.

Nach dem Krieg hat Ilse Härter als Schulpastorin ihren Schülerinnen internationale ökumenische Kontakte ermöglicht. Ihr war wichtig, den jungen Mädchen eine Alternative zum nationalsozialistischen Weltbild aufzuzeigen.

Im Ruhestand hat sie eine neue Lebensphase begonnen. Nun wurde die Forscherin aktiv. Ilse Härter war eine der Initiatorinnen, die mit der Forschung zur Frauenordination begonnen haben. Dafür wurde sie 2006 mit der Ehrendoktorwürde der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel ausgezeichnet.

Ilse Härter war kaum in kirchlichen Gremien und gar nicht in politischen Parteien aktiv. Trotzdem hat sie sich als mächtig erlebt.

3. Hannelore Erhart (1. Mai 1927 – 9. April 2013)

Hannelore Erhart hat wenig von ihrer Kindheit und Jugend im 2. Weltkrieg erzählt. Aus dem Wenigen wird deutlich, dass es eine harte Zeit war.

In der Nachkriegszeit hat sie Theologie studiert, sie war Lehrvikarin in der Reformierten Gemeinde in Göttingen. In Kurhessen-Waldeck wird ein Vikariatsjahrgang gemeinsam ordiniert. "Die Männer wurden ordiniert, uns haben sie nach Hause geschickt". Bis ins hohe Alter war die Bitterkeit zu spüren, wenn Hannelore Erhart davon erzählte. Sie hat promoviert und sich habilitiert und als Professorin hat sie viele Studentinnen und Studenten geprägt.

Hannelore Erhart hat geheiratet, damit hat sie sich an den Ort Göttingen gebunden – eine bewusste Entscheidung, die aber Auswirkungen auf ihre beruflichen Möglichkeiten hatte.

Ihre Lehre war durch die Auseinandersetzungen von 1968 geprägt, sie hat die Studierenden gelehrt, nach Machtverhältnissen und Gerechtigkeit zu fragen. Das war an der konservativen Fakultät in Göttingen nicht immer einfach. Die Auseinandersetzungen waren ihr immer präsent haben und sie haben Kraft gekostet. Hannelore Erhart war froh, als sie in den Ruhestand verabschiedet wurde.

Auch für sie hat dann eine neue Schaffensperiode begonnen. Sie hat das Göttinger Frauenforschungsprojekt zur Geschichte der Theologinnen gegründet und eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Ilse Härter begonnen.

Hannelore Erhart hat sich in den universitären Gremien aufgerieben und ist vielen Auseinandersetzungen unterlegen. Obwohl sie zu jedem ihrer Forschungsgegenstände die Machtverhältnisse in den Blick genommen hat, habe ich nicht wahrgenommen, dass sie sich als mächtig erlebt hätte.

4. Fazit

Die beiden trennt etwas weniger als eine Generation. 15 bedeutsame Jahre, durch die sie den Nationalsozialismus und den 2. Weltkrieg unterschiedlich erlebt haben. Hannelore Erhart war noch ein Mädchen ohne Einfluss. Ilse Härter war schon eine junge Frau, die sich positionieren konnte. Später gehörten beide zu den ersten Frauen in ihren Positionen. Nach gängigen Kriterien (Leitungsposition, Finanzverantwortung …) hatten sie wenig Macht und sie hatten ein je anderes Bewusstsein ihrer Macht. Gleichwohl haben beide ihre Macht ganz positiv genutzt, auch darin sind sie mir Vorbild.

Miteinander haben sie dazu beigetragen, dass die Geschichte der Frauenordination Teil kirchengeschichtlichen Wissens wird.

Ilse Härter hat zu Veränderungen beigetragen, weil sie unbeirrt ihren Weg gegangen ist. Hannelore Erhart hat viele Auseinandersetzungen bestanden und sie hat sich darauf konzentriert, ihre Studierenden zu Menschen zu machen, die selbstbewusst Theologie treiben.

Ich bin heute Kirchenrätin und leite im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland das Dezernat Theologie und Verkündigung. Ilse Härter fand das nie so richtig gut, das wäre nicht ihr Weg gewesen. Sie hat immer den Platz als kritisches Gegenüber zur Institution gesucht. Hannelore Erhart war besorgt, dass ich mich in den Auseinandersetzungen, die in einer Institution nötig sind, nicht aufreibe.

In meiner Position habe ich Macht, dessen bin ich mir bewusst. Diese Macht bedeutet für mich eine große Verantwortung und ich habe den Anspruch, zum Guten für die Menschen und für die Kirche beizutragen. Ob es mir gelingt, dem Anspruch gerecht zu werden? Meine beiden Vorbilder sind mir dabei sehr hilfreich. Was ich von Ilse Härter und Hannelore Erhart gelernt habe, kann ich gut gebrauchen.



[1] Claudia Lenz: Talkin‘ about … my generation?, S. 13, in: Junge Kirche 3/2001, S. 11-14.

[2] Vgl. Dette Alfert: Warum fällt es Frauen schwer, das umzusetzen, was sie wollen?, S. 17, in: Junge Kirche 3/2001, S. 16-19.

[3] So Heinrich Popitz nach Barbara Schaeffer-Hegel: Macht, Sozialwissenschaftlich, in WBFTh, 2. Aufl., S. 384. (Hierher gehört auch Foucault: Macht wirkt wie ein Netz auf der ganzen Oberfläche des sozialen Feldes, die Willensbildung der Unterworfenen wird durch die Herausbildung von Gewohnheiten ersetzt. Ähnlich Luhmann.

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