Dr. Elke Eisenschmidt – Mathematikerin und Mitglied des Rates der EKD

Marburg, 30.10.2011

Sehr geehrte Damen, liebes Organisationsteam,

zunächst einmal möchte ich mich Frau Raiser anschließen
und mich herzlich für die Einladung bedanken: auch ich empfinde es als große
Ehre, hier heute sprechen zu dürfen. Als ich allerdings vor etwa zehn Monaten
zugesagt habe, wusste ich noch nicht so recht, worauf ich mich einlassen würde.

Das hat sich erst vor ein paar Wochen heraus gestellt:
man hat mich gebeten, über gelungene Dialoge zusprechen. Dialoge zwischen
Glaube und Naturwissenschaft, zwischen Christen und Konfessionslosen, Ehren-
und Hauptamtlichen und – last but not least –Dialoge zwischen Ost und West. Und
das alles in weniger als 10 Minuten… Top, die Wette gilt!

Aber Spaß beiseite. Die wirklich spannende Frage, die
mich bei der Vorbereitung beschäftigt hat, ist vielmehr: haben wir eigentlich
die notwendigen Voraussetzungen für diese Dialoge parat? Sprechen wir als
Christinnen eine Sprache, die verstanden wird? Manchmal ist das durchaus
zweifelhaft. Als ich vor zwei Jahren zum ersten Mal bei einer Synodentagung
war, war ich jedenfalls zutiefst irritiert. Es kam mir vor, als würden alle
Anwesenden in einer Geheimsprache sprechen und ausgerechnet mir hatte man den
geheimen Code nicht verraten. Da saß ich nun also und brütete über christlichen
Dauerbrenner-Worten wie Gnade, Rechtfertigung und göttliches Erlösungshandeln.
Klar hat man die schon einmal gehört. Aber was haben sie mit mir zu tun?
Welches Gefühl, welche mir bekannte Erfahrung beschreiben sie?

Eine Sprache, die verstanden wird, ist Grundvoraussetzung
für einen gelungenen Dialog. Gerade in Zeiten, in denen der Anteil der Christen
in unserer Gesellschaft kleiner wird, ist es entscheidend, verstanden zu
werden. Werden wir verstanden, wenn wir mit Menschen aus Politik, Wissenschaft
und Wirtschaft reden? Wenn wir mit Menschen anderen Glaubens sprechen? Oder
geht es unserem Gegenüber beim Dechiffrieren unserer Sätze wie beim Essen von
Omas Weihnachtsplätzchen: „Irgendwas ist da dran. Aber schwer zu sagen, was.“

Im persönlichen Gespräch mit Freunden und Kollegen von
der Uni mache ich diese Erfahrung häufig selbst: es ist ganz und gar nicht
einfach, verstanden zu werden. Ein solches Gespräch geht dann meist so:
Zunächst sieht man regelrecht, wie es in meinem Gegenüber arbeitet und er
eigentlich gern fragen würde: „Sag mal. Du bist doch sonst ganz vernünftig. Was
machst denn du bei der

Kirche?“ Wenn ich versuche das zu erklären, fühle ich
mich ein bisschen wie beim Tabu‐Spielen. Kennen Sie dieses Spiel? Da müssen die
anderen einen Begriff erraten. Sie müssen den erklären, dürfen aber ganz
bestimmte Worte nicht sagen. Wenn Sie zum Beispiel den Begriff „Risiko“
erklären – das ist ja ohnehin nicht ganz leicht – dürfen Sie nicht benutzen:
Prognose, Schaden, Gefahr, Chance, Kredit.

In unserem Fall: erklären Sie Pfingsten. Und Sie dürfen
nicht sagen „Heiliger Geist, Vater, Sohn, dreieinig, Ostern“. Nicht unmöglich,
aber auch nicht so ganz einfach. Ein bisschen Inspiration braucht man schon.
Vor allem aber starke Bilder und Metaphern. Solche, die mit dem Alltag zu tun
haben und die sich nicht hinter großen und unnahbaren Begriffen verstecken.

Und dann geht es uns so, wie Milton Jones in seinen
10‐Sekunden Predigten sagt: „Unser Glaube ist wie ein Witz. Manche Leute
kapieren ihn und andere nicht. Und manche Leute tun so, als hätten sie ihn
kapiert. Und wieder andere tun so, als hätten sie ihn nicht kapiert.“

Wenn wir also eine Sprache finden, die den
Alltags‐Stresstest besteht, haben wir eine gute Basis, um Dialoge zu führen.
Damit der Dialog dann auch „gelingt“, müssen wir uns allerdings noch weiter
anstrengen. Denn dafür reicht es nicht, dass unsere Sprache verstanden wird.
Dazu müssen wir auch die Sprache und die Gedankenwelt unseres Gegenübers
kennen. Wir müssen erkennen können, was ihm wirklich wichtig ist! Gerade im
Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie ist das keine Selbstverständlichkeit!
Etwa wenn der Physiker fragt: „Wo ist Platz für Gott in meinem physikalischen
Weltbild?“ und sich insgeheim vielleicht erhofft, der Theologe möge seine
Glaubenssätze zum Beispiel das Gesetz der Energieerhaltung oder den
Glaubenssatz vom Experiment als letztgültiger Wahrheitsinstanz infragestellen.
Dem Theologen sind da oft ganz andere Inhalte wichtig: Was sind die Folgen der
physikalischen Forschung und wie sind sie zu bewerten? Wohin führt ein
deterministisches Weltbild uns Menschen.

Ein bisschen ist es so, als hätte man im Freundeskreis
verabredet über das Thema „Essen“ zu sprechen. Und dann packt eine ihr neuestes
Rezeptbuch aus, eine andere will zur Welternährungslage diskutieren und eine
dritte will über ihre Allergien und Unverträglichkeiten sprechen. Gar nicht so
einfach zu sagen, was in dieser Runde passieren wird! Ob das wohl ein
gelungener Abend wird?

Jedenfalls soll und muss man sich auf das Thema des
anderen einlassen können. Dafür muss man gar nicht zur Expertin auf allen anderen
Gebieten werden. Es geht eher darum, das Eigene im Anderen zu sehen. Also etwa: Was hat die Welternährung mit meinem eigenen Kochen zu tun? Und wie hängen sich
häufende Unverträglichkeiten damit zusammen?

Auf den Dialog von Glaube und Wissenschaft aber auch auf
den von Glaubenden und Konfessionslosen bezogen, sind „Grenzgänger“ hier
Schlüsselfiguren. Menschen also, die in zwei Welten zu Hause sind und die die
Fragen und Anliegen beider Seiten kennen. Ich glaube, dass wir als Kirche bisher
noch zu selten nach solchen Menschen suchen und sie noch zu selten zu Wort
kommen lassen. Wenn das passiert, wenn etwa zur Abwechslung einmal eine
Bankdirektorin predigt oder ein christlicher Physiker mit seinen Kollegen über
den Glauben ins Gespräch kommt – ja, dann wird es richtig spannend!

Solchen spannenden Momenten müssen wir als Kirche viel
mehr Platz einräumen. Denn, um zum Schluss noch einmal Milton Jones zu
zitieren: „Kirche sollte so sein, dass jeder mit einem – mit seinem – Teil des
ganz großen Puzzles kommt.“

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