Karlsruhe, 24.06.2012
Innovation und Nachhaltigkeit im Kontext des KIT
unter Berücksichtigung der Gender-Perspektive
Mit dem Thema „Innovation und Nachhaltigkeit im Kontext des KIT unter Berücksichtigung
der Gender-Perspektive“ greifen die Veranstalterinnen des Durlacher Frauenmahls die drei
Säulen der Kompetenzen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) „Forschung, Lehre,
Innovation“ auf.
Innovation bedeutet für das KIT, dass Forschung nicht nur um ihrer selbst willen geschieht,
sondern Forschungsergebnisse auch in eine praktische Umsetzung bzw. Realisierung
münden sollen. Das KIT-Innovationsmanagement sorgt deshalb für den direkten Transfer
von neuen Erkenntnissen, innovativen Ideen oder Know-how in Wirtschaft und Gesellschaft.
Ganz praktisch an einem Beispiel erklärt, bedeutet dies Folgendes: Als Heinrich Hertz seine
wegweisenden und namensgebenden „Hertz-Wellen“ an der Universität Karlsruhe erforscht
hatte, soll er gefragt worden sein, was man damit machen könne. Seine Antwort soll
gewesen sein: „Wahrscheinlich gar nichts“. Dass dies nicht der Fall war, ist allseits bekannt.
Das KIT will anknüpfend an dieses Beispiel dafür sorgen, dass die Forschungsergebnisse im
KIT nicht sozusagen „im Sande verlaufen“ oder aber „KIT-intern“ bleiben, sondern
sicherstellen, genau wie das im Fall der Hertz-Wellen erfolgt ist, dass diese Ergebnisse in die
Welt und damit vor allem auch Eingang in die Wirtschaft finden. In diesem Sinne sind
Innovation und Gender-Perspektive zunächst einmal nicht in einen Einklang zu bringen.
Sieht man sich aber die Verwendung des Begriffes „Innovation“ in den
Geisteswissenschaften an, so ergibt sich ein ganz anderes Bild. Hier wird Innovation wie
folgt verstanden: „Die forschende Suche nach Erkenntnissen oder künstlerischen
Lösungswegen und Lösungen setzt Neugier und Lust auf Erneuerung voraus.“ Versteht man
unter dem Begriff „Gender-Perspektive“ auch das Anliegen und das Sich-Einsetzen dafür,
dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen, so eröffnet dieses Verständnis von
Innovation viele Lösungsmöglichkeiten für dieses Anliegen.
Neugier und Lust auf Erneuerung eröffnen neue Wege und Ideen zu einer größeren
Verwirklichung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern und zu einer vermehrten
Besetzung von Führungspositionen durch Frauen. Dass dies noch heute ein Problem ist,
zeigt folgendes Beispiel: Als ich vor mehr als 37 Jahren das erste juristische Staatsexamen
ablegte, waren 50 % der Studienanfänger jeweils weiblich und männlich. Schon damals
ergaben statistische Erhebungen, dass die Noten der weiblichen Studierenden besser waren
als die der männlichen Studierenden. Trotzdem sind heute in den Führungspositionen der
Justiz Frauen erheblich geringer vertreten als Männer. Beim baden-württembergischen
Verwaltungsgerichtshof haben wir derzeit zwölf männliche Vorsitzende und eine weibliche
Vorsitzende. Auch beim Bundesgerichtshof (BGH) ist das Verhältnis der Richter und
Richterinnen und der Vorsitzenden nicht 50:50, obgleich die Generation derer, die mit mir
Examen gemacht haben, nunmehr in diesen Führungspositionen sein könnte. Ganz konkret:
2011 waren von den 16Vorsitzenden Richtern/Richterinnen am BGH 15 männlich und eine
weiblich. Von den Richtern/Richterinnen waren 112 männlich und 26 weiblich.
Zur Veränderung dieses Verhältnisses von Männern und Frauen in Führungspositionen
wurden in den vergangenen Jahren viele Wege beschritten und werden es heute noch und
vor allem diskutieren wir sie noch heute. Hierzu zählen:
– die Einführung einer Quote für Frauen,
– familiengerechte Arbeitsplätze,
– Beteiligung der Chancengleichheitsbeauftragten in Besetzungsverfahren.
Etwas neuere Diskussionen führen wir z.B. zum Thema:
– anonymisierte Bewerbungsverfahren.
Vieles davon wird bereits verwirklicht, so etwa familiengerechte Arbeitsplätze, z.B. in Gestalt
von Teilzeittätigkeit auch unter 50%, Telearbeitsplätze oder aber durch das Angebot von
Kinderbetreuung auch bei öffentlich-rechtlichen Einrichtungen. Das anonymisierte
Bewerbungsverfahren hat aufgezeigt, dasses zu einer vermehrten Einstellung von Frauen
führt, es wird aktuell jedoch kaum im öffentlichen Bereich, aber auch wohl selten im privaten
Bereich angewandt.
Ein neues Modell zur Veränderung des Verhältnisses von Männern und Frauen in
Führungspositionen istdarüber hinaus etwa die Rekrutierungsinitiative in der Helmholtz-
Gemeinschaft und damit auch im KIT. Diese Rekrutierungsinitiative hat zum Inhalt, dass
neue Stellen mit Ausstattung für die Besetzung von Institutsleiterstellen insbesondere für
Frauen ausgelobt werden. Selbstverständlich muss sich auch in diesem
Rekrutierungsverfahren jede Bewerberin einer Evaluation und einer kritischen Begutachtung
unterziehen, zumal dieses Programm nicht nur die Besetzung von Führungspositionen in der
Helmholtz-Gemeinschaft durch Frauen, sondern auch die Ausrichtung dieser neuen Stellen
für bestimmte Fachgebiete, wie etwa Energie, und auch Berufungen aus dem Ausland zum
Inhalt hat. In den beiden letztgenannten Bereichen, die alle aus der gleichen
Finanzierungsquelle erfolgen, stehen Frauen und Männer in gleicher Konkurrenz. Die
Rekrutierungsinitiative führt aber dazu, dass insbesondere junge, erfolgreiche und
zukunftsweisende Frauen berufen werden können.
Speziell im KIT haben wir verstärkt begonnen, darüber nachzudenken, wie eine unbewusste
Ungleichbehandlung von Frauen und Männern zustande kommen kann. Gerade in den
natur- und in den ingenieurwissenschaftlichen Fächern ergibt sich hier die Konstellation,
dass erst langsam und daher zum Teil erst jetzt junge Frauen Führungspositionen
anstreben, da in früheren Jahren und auch leider heute noch in diesen Fächern Frauen in
unterrepräsentativer Zahl ihr Studium beginnen und daher auch nur wenige Frauen den Weg
über die Promotion bis hin zur Habilitation und damit zur Berufungsreife in ein
Professorenamt gehen. So etwa sind im KIT nur 27% der Studienanfänger weiblich. In
diesem Sinne erfüllen nur wenige Frauen die Voraussetzungen für eine Berufung und es
bewerben sich daher auch nur wenige Frauen auf Professorenstellen und damit auf
Führungspositionen. Hier suchen wir nach Wegen, um diese Diskrepanz schon jetzt bei der
Besetzung der Professoren- und Führungsstellen auszugleichen, ohne damit vom Prinzip der
Bestengewinnung und Leistung abzuweichen.
Alles in allem ist im Sinne der Definition von Innovation in den Geisteswissenschaften
generell danach zu suchen, wie die Neugier und Lust auf Erneuerung die Suche nach
Erkenntnissen und künstlerischen Lösungswegen und Lösungen uns auf diesem Weg
weiterhelfen kann. Sie alle, die Sie bei diesem Durlacher Frauenmahl anwesend sind, sind
aufgerufen, eben mit Neugier und Lust auf Erneuerung dazu beizutragen, wie es gelingen
kann, junge Frauen zu motivieren, zu begleiten und zu fördern, sich auf den Weg zu einer
Führungsposition zu machen.
Meine persönliche Erfahrung ist dabei, dass das Entwicklungspotential von Frauen mit
Familie, Führungspositionen zu erlangen, in der Familie definiert wird. Lassen Sie mich dies
an einem konkreten Beispiel belegen: Von den acht mir unmittelbar zugeordneten Personen
sind drei Männer und fünf Frauen, von den fünf Frauen haben drei kleine Kinder.
Berücksichtige ich auch die formellen Vertreter und Vertreterinnen, so sind von
14 Führungspersönlichkeiten zehn Frauen und davon fünf mit kleinen oder zumindest
schulpflichtigen Kindern. Immer wieder erlebe ich im Alltagsgeschäft, dass diese Frauen
durch ihre Verpflichtung gegenüber ihren Kindern Einschränkungen in ihrem Arbeitsleben in
Kauf nehmen müssen (und in der Folge auch ich selbst!) So etwa habe ich in den 1 ½
Jahren im KIT sehr häufig erlebt, dass diese Frauen wegen Erkrankung der Kinder zuhause
geblieben sind, dass mitten in einer Sitzung eine Mutter diese Sitzung verlassen musste, weil
ein Wasserrohrbruch im Kindergarten war usw. Häufig wird dazu auch gleich gesagt, dass
der Ehemann/der Partner diese Pflichten nicht übernehmen könne, da er eben etwa Anwalt
sei und daher nicht flexibel in der Arbeitszeit, er auf Dienstreisen sei und deshalb nicht
verfügbar, und auch hier lassen sich die Beispiele fortführen. Ich erlebe sehr deutlich, dass
nicht nur alleinerziehende Mütter, sondern auch Mütter in Partnerschaften häufig eine
Doppelbelastung erfahren und diese Familienpflichten eher einseitig verteilt sind. Ich erlebe
deutlich die Konfliktsituation dieser Frauen, die gerne mit Begeisterung und Freude ihrer
Karriere nachgehen und auch vor allem ihre konkrete Arbeit erledigen möchten, dabei jedoch
häufig in Zwiespalt mit ihrer Verantwortung gegenüber ihren Kindern geraten und dass vor
allem diese Verantwortung nicht gleichrangig in der jeweiligen Partnerschaft wahrgenommen
wird.
In diesem Sinne möchte ich meine heutige Dinner-Speech dazu nutzen, Sie, die Sie Mütter,
Großmütter, Lehrerinnen, Vorgesetzte oder Freundinnen sind, aufzurufen, zu ermuntern und
zu begeistern, hier neue Lösungswege mit mir zu suchen, die Ihre Kinder, Enkelinnen,
Schülerinnen, Mitarbeiterinnen und Freundinnen ermutigen, gleichwertig und gleichberechtigt
in ihren Partnerschaften dafür Verständnis und Kompromisse zu erreichen, dass auch sie
sich in gleicher Weise ihrem Beruf widmen können, wie die männlichen Lebens- und
Ehepartner. Deshalb meine Frage und mein Aufruf: Wie können wir Frauen Mut machen, in
der Ehe und Familie so gleichberechtigt zu sein, dass auch in Folge in der beruflichen
Verwirklichung von Vater und Mutter eine Gleichberechtigung besteht:
– Wie können wir erreichen, dass mehr Männer in gleicher Weise wie die Frauen ihren
Familienpflichten nachkommen?
– Wie können wir mit Neugier und Lust neue Wege finden, damit ein Arbeitgeber bei
der Einstellung eines Mannes oder einer Frau nicht weiß, ob der Mann oder aber die
Frau sich im Falle von Elternpflichten beurlauben lässt, fehlt oder Gleitzeit nimmt,
wenn das Kind krank ist oder aber ein Wasserrohrbruch im Kindergarten entstanden
ist und das Kind versorgt werden muss?
Ich würde mich freuen, wenn Sie bei den Gesprächen heute Abend bei diesem Durlacher
Frauenmahl neue Lösungsmöglichkeiten für diese wichtigen Fragen finden würden.