Dr. Ellen Ueberschär – Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages

Marburg, 30.10.2011

Wenn wir im Kirchentag überlegen,

wie wir die Zukunft gestalten wollen,

dann sind das Wichtigste – die Menschen,

die – wie wir dann immer sagen – bei uns sind.

Also, die Richtigen.

Und ich stelle mir vor,

dass auch für die Zukunft

der Kirche Menschen wichtiger sind als Strukturen.

und ich glaube,

es braucht für die Zukunft zwei Sorten von Menschen:

Weihnachtschristinnen und Ostermenschen.

Die Gesichter, die Herzen, die Köpfe dieser beiden

behüten die Erinnerung an die große Geschichte,

in die das kleine Überleben der Kirche

hineinpassen kann.

Weihnachtschristinnen sind wunderbar.

Sie besitzen die Fähigkeit,

den Glanz Gottes,

der von Weihnachten herkommt,

in der Welt zu sehen.

In jedem Kindergesicht erkennen Weihnachtschristinnen die
Züge unseres inkarnierten, zugewandten Gottes.

Dieser Tage sind ja längst

die Weihnachtsartikel in die Geschäfte gekommen.

Die evangelische Kirche wehrt sich

gegen die Verflachung des Kirchenjahres

alljährlich mit der Kampagne –

„Advent ist im Dezember“.

Das Atmen und Leben im Rhythmus des Kirchenjahres

– das ist wichtig
für die Zukunft der Kirche,

weil viele Generationen in diesem

Kirchenjahreskleid gelebt haben.

Aber: manchmal scheint es mir,

als wüsste der Kommerz etwas von dem Glanz Gottes,

der von Weihnachten her leuchtet.

Der Kommerz bildet sich ein,

das göttliche Licht scheint auf die Lebkuchen,

und schon

klingelt das Geld im Kasten.

Der Kommerz ahnt mehr als dass er etwas weiß,

von der Schechina, vom Glanz Gottes.

Für die Zukunft wird es nicht reichen,

zu schimpfen auf den Diebstahl.

Es wäre besser, die Weihnachtschristin in uns zu
entdecken:

bei allem Eifer für den Advent im Dezember,

ist es ratsam,

dass wir als Christinnen überlegen,

wie wir den Glanz von Weihnachten verlängern,

nicht nur in den September und Oktober,

auch in den Januar und den Juni.

dass wir überlegen,

wie die geöffneten Herzen,

die wie das von Maria die Worte der Engel in sich
bewegen,

offen bleiben können.

Auf Menschen, die den Glanz Gottes hervorblitzen sehen
und ihn zeigen können

zwischen allen weltlichen, kirchlichen, kitschigen,
erfolglosen und witzigen Aktionen,

wird es in Zukunft ankommen.

Porta patet cor magis –

die Tür steht offen,

das Herz noch mehr – der alte Wahlspruch der
Zisterzienser.

Weihnachtschristinnen sind die Richtigen– der Himmel
steht offen, das Herz noch mehr. Das ist Zukunft.

Das sind die einen. Und die anderen sind Ostermenschen.

Ostermenschen leben aus der Auferstehung.

Ostermenschen leben auf Hoffnung hin

und aus der Gewissheit heraus,

dass Gott die Welt versöhnt hat.

Gottesbegegnung ist möglich!

möchten Ostermenschen rufen.

Vertraut Euch weder dem Martha-Reflex hektischer
Betriebsamkeit,

noch der auf-mich-hört-sowieso-keiner-Frauenresignation
an,

sondern sondern dem Leben und der Liebe, dem Eros und der
Agape.

Jede einzelne von uns ist aufgehoben,

wertvoll, beim Namen genannt,

kostbar und würdig.

Menschen, die das wissen, die das in die Welt tragen,

werden die Kirche der Zukunft tragen.

Dem Tod die Macht über die Würde des Menschen zu nehmen,

das ist zum Beispiel die Haltung der Hospizbewegung,

vielleicht die erfolgreichste Bürgerbewegung in Ost und
West gleichermaßen.

Die letzten Tage eines Menschen sind nicht die Todeszone,

sondern Lebensphase.

Ostermenschen halten für uns alle den Zugang zu Gott
offen.

Ostermenschen halten das Wissen davon wach, wie Gott ist.

Und – wir sind ja hier in der Reformationsdekade,
deswegen mit Luther gesagt:

Gott ist wie ein glühender Backofen voll Liebe und

Ostermenschen wissen auch,

wo Gott ist und wieder Luther zitiert:

Siehe!

er steht hinter
der Wand und sieht durch die Fenster.

Das ist soviel wie:

Unter den Leiden, die uns gleich von ihm scheiden wie
eine Wand,

ja eine Mauer,

steht er verborgen und sieht doch auf mich und lässt mich
nicht.“

Unter den Leiden ist Gott verborgen –

und wenn Kirche in Zukunft SEIN will,

dann braucht sie Ostermenschen,

die dort hinschauen.

die nicht auf die eigenen Leiden der schwindenden
Finanzen und der Alterung schauen,

sondern auf die Leiden Gottes,

denn dort ist die Zukunft verborgen,

weil dort die Glaubwürdigkeit verborgen liegt.

Nicht die brandneuen missionarischen Strategien,

nicht die Leuchtturmprojekte mit Blattgold am Altar,

sichern die Zukunft,

sondern Weihnachtschristinnen und Ostermenschen,

die für die Glaubwürdigkeit von Kirche einstehen,

bei denen Reden und Handeln,

Beten und Tun übereinklingen.

Nur wenn Weihnachtschristinnen und Ostermenschen in der
Kirche ein Zuhause haben,

dann ist Zukunft möglich.

Also möchte ich dreifach rufen:

Kirche, schau auf die Menschen, die bei Dir sind.

Gib denen Raum,

die den Glanz Gottes in der Welt sehen.

Lass die entscheiden über Geld und Personal,

die aus der Versöhnung leben.

Kirche, lass das Profil und kümmer Dich um Tiefenschärfe

Gib denen das Heft,

die uns in diese Tiefe führen können,

denn dort unten ist Christus verborgen.

Kirche, schau Dich um, da sind noch andere,

die ihren Glauben und ihre Religion leben wollen.

Gib denen das Wort, die nicht die Abgrenzung,

sondern die Gemeinsamkeiten suchen.

Dann sind Ostern und Weihnachten auf einem Tag.

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