Berliner Tischgespräche 30. Oktober 2018 in der Ev. Akademie zu Berlin
Zwischen Genderstern und Antifeminismus – Gleichstellungspolitik in einer bewegten Stadt
Dr. Gabriele Kämper
Leiterin der Geschäftsstelle für Gleichstellung Berlin
Veröffentlicht auf der Homepage des Amtes für Kirchliche Dienste der EKBO, www.akd-ekbo.de
Alle Rechte bei der Autorin
Begrüßung und Dank
Sehr geehrte Frau Möbius,
sehr geehrte Frau von Braun,
sehr geehrte Frau Dr. Schwaetzer,
sehr verehrtes Publikum,
liebe Frauen,
ich möchte mich herzlich für die Einladung in dieses wunderbare Forum bedanken, und auch für die freundliche Einführung, liebe Frau von Braun, mit der Sie einige Konstanten der Frauen und Gleichstellungspolitik bereits benannt haben. Dieses Forum heißt „Frauen reden zu Tisch“, und widerspricht damit der jahrhundertealten Behauptung, dass Frauen nicht reden können – und natürlich auch nicht reden sollen. Die Wissenschaft der Rhetorik hat inzwischen allerdings relativ trocken festgestellt, dass Frauen wohl nicht so sehr nicht reden können, dass sie vielmehr kein Gehör fänden und ihre Rede daher so anders sei als die der Männer.
Das Motto dieses Abends lautet: „Frauenrechte – was von gestern? Damit, und natürlich mit Blick auf das 100jährige Bestehen des Frauenwahlrechts in Deutschland, ist die historische Dimension des Themas gegeben. Frauenrechte zu erlangen ist ein immerwährender Prozess, das wissen wir aus der Antike überliefert von Xanthippe und Lysistrata, das wissen wir von den Äbtissinnen des Mittelalters, der Querelle des femmes der frühen Neuzeit, das wissen wir von den Suffragetten, den Frauenvereinen, den Müttern des Grundgesetzes, den Feministinnen der 70er Jahre, den Netzfeministinnen usf. Inzwischen wissen wir auch mehr über das Leben und die Kämpfe von Frauen außerhalb Europas und der westlichen Welt. Und bei alledem können wir feststellen, dass es Frauen immer darum geht, einen Status als Person zu erkämpfen, an der Gesellschaft prägend mitwirken zu können und sich aus den institutionalisierten Gewaltverhältnissen der patriarchalen Kulturen zu befreien. Elisabeth Selbert hat es 1949, nach dem erfolgreichen Einsatz für den Grundgesetzartikel „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, im Bundestag von der „Würde und Wertigkeit einer persönlichkeitsbewußten Frau“ gesprochen. Darunter sollten wir es nicht tun, und dahinter sollten wir auch nicht zurückfallen.
Insofern gehört der oft formulierte Satz, Frauenpolitik solle sich überflüssig machen, historisch betrachtet selbst auf den Misthaufen der Geschichte. Sinnvoller ist es, den jeweiligen konkreten Herausforderungen gemäß Frauenpolitik weiter zu entwickeln. Dazu gehört, ein frauenpolitisches Selbstverständnis zu entwickeln und auf dieser Basis gesellschaftliche Entwicklungen in den Blick zu nehmen, Chancen für Frauen zu erkennen, aber auch aufmerksam zu sein für Ungleichheiten und Unterdrückungsverhältnisse, die sich auf neuen oder alten Wegen breit machen. Aus diesen Gründen haben wir als Leitschnur für die Berliner Verwaltung das Leitbild „Gleichstellung im Land Berlin“ entwickelt, das in zehn Sätzen die Vision einer geschlechtergerechten Stadt entwirft. Aus diesen Gründen haben wir die Kampagne „Gleichstellung weiter denken“ entwickelt, die Menschen aus der Verwaltung und der Stadtgesellschaft zu einem spielerischen und anregenden Umgang mit den Themen der Gleichstellung einlädt. Und aus diesen Gründen haben wir das Gleichstellungspolitische Rahmenprogramm entwickelt, das alle Teile der Berliner Verwaltung für die Gleichstellung von Frauen und Männern fachlich in die Pflicht nimmt.
Damit komme ich zu drei Aspekten der Berliner Gleichstellungspolitik, die ich heute in aller Kürze zur Diskussion stellen möchte.
1. Frauen- und Gleichstellungspolitik bewegt sich in einem Feld der Ungleichzeitigkeit
Im Land Berlin gibt es seit 1984 eine institutionalisierte Frauenpolitik, beginnend mit der Landesfrauenbeauftragten Carola von Braun, die damals ihr Amt aufnahm. Bezirkliche Frauenbeauftragte folgten, 1989 die erste Frauensenatorin, kurz darauf die Abteilung Frauenpolitik. Historisch ist das eine sehr kurze Zeit. (Vor 1987 kam das Wort „Frau“ in den Parlamentsdokumenten übrigens ausschließlich in Zusammenhang mit der Fraunhofer Gesellschaft vor.) In diesen Anfängen der Berliner Frauenpolitik begegneten sich eine lebendige und streitbare feministische Szene, geldhungrige Frauenprojekte sowie erfahrene Verbandsfrauen und Politikerinnen, die dem männlichen Mainstream in allen Bereichen der Berliner Verwaltung entgegentreten wollten. Dieses Anliegen ist uns geblieben: Irgendwann hieß es Gender Mainstreaming, und seit 10 Jahren haben wir in Berlin ein ambitioniertes Gleichstellungspolitisches Rahmenprogramm, mit dem wir alle Teile der Berliner Verwaltung in den Prozess der Geschlechterpolitik einbeziehen wollen.
Sie werden es bemerkt haben: aus Frauen wurde Geschlechter, wurde Gender, wurde Gleichstellung. Alles mit guten Gründen und Argumenten, und dennoch mit dem Effekt einer schleichenden Delegitimierung von Frauenpolitik. (Die feministische Linguistin Luise Pusch hat einmal darauf hingewiesen, wie systematisch der Sprachgebrauch Frauen umgeht, statt dessen heiße es Damen, Mädels, Fräuleins. Erstaunlich noch heute, wie viele Frauen ihre Clubs, Blogs und Zeitschriften in dieser Weise diminutiv besetzen.)
Als Akteurinnen der Berliner Gleichstellungspolitik haben wir diesen Wandel mitvollzogen, der richtigerweise besagt, dass eine Verbesserung der Chancen von Frauen in der Gesellschaft nicht ohne Auswirkungen auf beziehungsweise Veränderungen für Männer erfolgen kann. Frauenpolitik ist Arbeit an der Geschlechterordnung, genau das sollte Gleichstellungspolitik auch sein. Der Blick auf beide Geschlechter muss die Asymmetrie der Geschlechterverhältnisse immer im Auge behalten – das ist mit einer der schwierigsten Aspekte der Gleichstellungspolitik, die – zumindest in der Verwaltung – gern so verstanden wird, dass man für Männer wie für Frauen nun das Gleiche tun solle.
Solche Effekte der Delegitimierung von Frauenpolitik erfahren in den letzten Jahren eine doppelte Zuspitzung: zum Einen hat sich die klassische antifeministische Rechte, die sich stets gegen Frauenrechte eingesetzt hat, auf die Erfolge der Frauenpolitik kapriziert und denunziert diese als männerfeindlich, als undemokratisch, als Genderwahn. Mit dem Erstarken der AFD hat diese Position auch in den Parlamenten eine Stimme bekommen, was sich z.B. in vielen Anfragen zeigt, die die Berechtigung von Gender Studies, von Gender Budgeting, von Frauenhäusern etc. in Zweifel ziehen. Für den Berliner Raum zeigt sich die Ansteckungsgefahr dieser Rhetoriken noch nicht sehr deutlich, im Gegenteil: die Regierungsfraktionen stellen sich zum Teil deutlicher hinter diese Konzepte als dies noch in der letzten Legislatur wünschenswert und der Fall war. Dennoch ist im Verbund mit der Verselbstständigung solch antifeministischer Positionen in den sozialen Netzwerken zu befürchten, dass die schon immer präsenten Vorbehalte gegen Frauenpolitik neuen Resonanzboden und eine neue Radikalisierung erfahren. In anderen Ländern, z.Z. extrem in Ungarn, aber auch in kleineren Kommunen der Bundesrepublik ist dies bereits zu beobachten. Mit dem gleichzeitig erstarkenden konservativen bis fundamentalistischen Islam zeigt sich eine ähnliche Entwicklung, die wir noch viel genauer in den Blick nehmen müssen. Insgesamt ist zu beobachten, dass aus den verschiedenen Religionen fundamentalistische, zutiefst frauenfeindliche Bewegungen erwachsen, seien es Evangelikale, katholische wie orthodoxe Christen oder fundamentalistische Juden und Hindus, die ihr Frauen- und Geschlechterbild mit der extremen Rechten teilen. Dadurch entstehen vielfältige, meines Erachtens noch zu wenig thematisierte Anschlussstellen für anti-emanzipatorische Positionen.
Ein zweiter Aspekt beschreibt die gegenteilige Entwicklung, nach der Frauen als Teil eines überkommenen binären Geschlechtermodels (ab)qualifiziert werden und am besten in der Vielfalt der Geschlechter aufgehen sollen. Im Zuge von Diversity, Vielfalt und Antidiskriminierungspolitik erleben wir immer häufiger die Tendenz, Frauen in eine Reihe mit anderen Diskriminierungsmerkmalen zu stellen und die Differenzen beispielsweise zwischen Antidiskriminierungs- und Förderpolitiken für Menschen mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund oder mit verschiedenen Geschlechtsidentitäten zu verwischen. Nachdem Frauen nun erst seit gut einer Generation ihren Platz in der Berliner Landespolitik behaupten, wäre eine Einreihung in eine Vielfaltspolitik, die über der Fokussierung auf das Individuum die strukturelle Dimension einer zutiefst zweigeschlechtlich organisierten Gesellschaft aus dem Blick verliert, für Frauen fatal. Polemisch könnte man sagen, das legendäre „Gedöns“ von Altkanzler Schröder kehre in diesem Gewand zurück. Konstruktiv gesprochen sollte zum einen die – absolut gerechtfertigte – Politik für Menschen mit diverser Geschlechtsidentität nicht mit Frauenpolitik verwechselt oder vermischt werden. Sie ist gerade keine logische Weiterentwicklung von Frauenpolitik. In der Ausgestaltung der Regeln für eine geschlechtergerechte Sprache des Landes Berlin versuchen wir gerade, auf dieser Basis eine Lösung zu finden.
Kommen wir zum dritten Aspekt: Zwischen Genderstern und Antifeminismus – das ist die Kurzformel für die skizzierten Pole, zwischen denen die Gleichstellungspolitik des Landes Berlin steht. Wir müssen also ganz klassisch Frauenrechte – auf gleiche Bezahlung, auf Gewaltfreiheit, auf Führungspositionen – gegen den Vorwurf der Bevorteilung von Frauen verteidigen, und wir müssen zugleich das Verschwinden von Frauen als Subjekt, aber auch als Adressat von Frauenpolitik angesichts einer Relativierung von Geschlecht im Namen der Dekonstruktion verhindern. Beides sind starke Strömungen des Zeitgeistes, und beide werden meines Erachtens der sozialen Realität von Frauen und der unglaublichen Beharrungskräfte männlicher Dominanz nicht gerecht. Die Metoo Debatte zeigt, wie selbstverständlich Männer über Frauen verfügen. Pornographie und Prostitution üben Männer in diese Dominanz ein. Die Statistik zeigt, wie die permanente Fürsorge, die Frauen für Kinder und Alte aufbringen, sie in die Armut treibt. Ein Blick in die Parlamente und Kommunen, in die Wirtschaft, die Kultur, die Medien, den Sport, die Religionen zeigt, wie die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen permanent blockiert wird. Ein Blick in die Zeitungen zeigt, wie herablassend mit Politikerinnen umgegangen wird. Die Berufswahl von Mädchen führt immer noch weit an den zukunftsprägenden und einkommensstarken Branchen vorbei. Und so fort. Klassische Politik für Frauen ist daher nach wie vor und immer wieder der Fokus der Berliner Gleichstellungspolitik.
Und da wir heute Abend mit Carola von Braun und mit mir sozusagen zwei Generationen dieser Politik vor Ort haben, möchte ich noch auf ein letztes hinweisen: die Traditionsbildung unter Frauen, unter Feministinnen. Nichts treibt unsere Kultur den Frauen und Mädchen mehr aus, als sich für Frauen anderer Generationen, für Vorgängerinnen, für historische Linien zwischen Frauen zu interessieren. Solidarität unter Frauen ist tabuisiert und sanktioniert. Doch genau das ist, was Frauen erst erfolgreich agieren und voran kommen lässt. Ja, Frauenrechte sind von gestern – und sie sind von heute. Um sie zu realisieren, müssen Frauen reden – und sie müssen Gehör finden, vor allem bei anderen Frauen. Sich nicht zum Fräulein vom Dienst machen zu lassen – das ist in allen Lagern und Lagen die Herausforderung.