Halle, 18.10.2013
„Bild der Frau – Rollen- und Frauenbilder“
Frauen in kirchlichen Verantwortungsebenen – eigentlich kein Problem. Bilder von
Pfarrerinnen sind in der Öffentlichkeit präsent. Unter dem Titel „Wir sind hier! – Frauen in
Sachsen-Anhalt gestalten ihr Land" zeigt der Landesfrauenrat gegenwärtig eine
Ausstellung über den Alltag von Frauen in Sachsen-Anhalt. In dieser Ausstellung ist
auch unsere Landesbischöfin zu sehen. „Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland
hat eine leitende Geistliche, darauf können wir stolz sein!“, das war die Botschaft. Und in
der Öffentlichkeit stehen Oberkirchenrätinnen und Direktorinnen Evangelischer Schulen,
Leiterinnen von evangelischen Kindertagesstätten und eben auch die Leiterin eines
Predigerseminars für die evangelische Kirche ein.
Dazu ein kleiner Seitenblick: Manchmal bekomme ich Post, die an die Leiterin des
Priesterseminars Wittenberg gerichtet ist. Soweit sind wir mit unseren katholischen
Geschwistern ja leider noch nicht. Aber ich nehme solche Anrede denn doch als ein
gutes Zeichen. Frauen in geistlichen Leitungsämtern sind offenbar auch bei unseren
katholischen Geschwistern gut vorstellbar.
Frauen in kirchlicher Verantwortung wirken zugewandt, einfühlsam, intelligent,
selbstbewusst und durchsetzungsstark. Und das eben nicht nur als Pfarrerinnen,
sondern wie schon gesagt als Pädagoginnen, Erwachsenenbildnerinnen, Juristinnen,
Kirchenmusikerinnen, Synodale. Die evangelische Kirche ist in den letzten Jahrzehnten auf ihren Leitungsebenen weiblicher geworden, historisch gesehen in einem sehr kurzen Zeitraum. Das ist bemerkenswert. Damit hat sie an Unmittelbarkeit gewonnen, ist näher dran an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen – nicht nur der Frauen. Sie ist kreativer und intelligenter geworden, weil sie das Potential von Frauen auch in der Leitung nicht mehr ausgrenzt.
Und warum sollten Frauen auch nicht Verantwortung haben? Schließlich lässt schon
Paulus am Schluss des Römerbriefes seine Kollegin grüßen: Junia, hervorragend unter den Aposteln. Was wären die ersten Gemeinden gewesen ohne die Purpurhändlerin Lydia, ohne die Gemeindelei-terin Phöbe? Was wäre aus der Kirche Jesu Christi geworden ohne die Frauen als Zeuginnen der Auferstehung?
Frauen in kirchlichen Verantwortungsebenen – kein Problem?
Na ja, wir wissen ja, wie es weiter ging. Aus Junia wurde schon in der alten Kirche in den Texten ganz schnell Junias, ein Mann. Eine Frau als Apostelin, das ging doch nicht.
Und obwohl die feministische Forschung gezeigt hat, dass Frauen sich bis ins. 7. und 8.
Jahrhundert hinein in kirchlichen und kirchenleitenden Ämtern nachweisen lassen
(Lehrerinnen, Verkündigerinnen, auch Bischöfinnen), wurde dieses Wissen nicht
tradiert. Frauen verschwanden für mehr als tausend Jahre aus der Leitung der Kirche.1
Heute liegt der Anteil der Frauen im Pfarrberuf bei etwa 33,5 Prozent. Soziologisch sind
30% die Grenze, bei deren Überschreitung man von einem Mischberuf spricht. Bei über
70% Pfarrerinnen würde man von einem Frauenberuf sprechen. Schaut man auf die
Zahl der Studierenden, so sind gegenwärtig unter ihnen rund 60% Frauen.
Eine erfreuliche Entwicklung. Doch schon erheben sich Stimmen, die eine
Verweiblichung des Berufes fürchten und damit einen gesellschaftlichen
Bedeutungsverlust.2 Wieso eigentlich? Hier scheint Nachhilfe angesagt zu sein. Die
Gleichstellung von Mann und Frau ist schließlich ein völkerrechtlich verankertes
Menschenrecht.
„Ganz oben“ allerdings sind in der Kirche wie auch sonst in der Welt weniger Frauen zu
finden. Wir haben gegenwärtig in der EKD bei zwanzig Landeskirchen nur zwei
Bischöfinnen im Rang einer Landesbischöfin. Wir hatten einmal eine Ratsvorsitzende.
Eine Auslandsbischöfin kommt jetzt erstmalig hinzu. Und auch auf der mittleren
Leitungsebene bleibt noch einiges zu tun. In der Leitung eines Kirchenkreises liegt der
Frauenanteil hier in der EKM bei 28%. Das ist zwar wesentlich mehr als z. B. in der
Evangelisch-Lutherischen Kirche Sachsens, doch misst man diese Zahlen insgesamt
an dem bereits 1989 auf der EKD-Synode beschlossenen Anteil von 40% Frauen an
allen Leitungsämtern – 2010 sollte dies erreicht sein! – fällt das Ergebnis doch
bescheiden aus.
Woran liegt das? Sicher auch daran, dass die 40% nur eine Empfehlung und keine
Verpflichtung waren. Doch es wäre zu einfach, nur die fehlende Quote und die vielleicht
bessere männliche Vernetzung dafür verantwortlich zu machen. Die Frage geht tiefer:
Haben Frauen Lust auf Leitung? Trauen Sie sich das zu? Denn in Gesprächen über
berufliches Fortkommen ist unter Frauen immer noch sehr schnell ein typisches
Argument zu hören: „Willst du dir das wirklich antun?“
Haben Frauen Lust auf Leitung? Oder im Sinne unseres Themas gefragt: Welche Bilder
motivieren Frauen, sich um Leitungsämter zu bewerben?
Ich habe die Vikarinnen des laufenden Jahrgangs nach ihrer Motivation im Blick auf
Leitung gefragt. Folgende Antworten habe ich bekommen:
Nicht motivierend ist ein Frauenbild, das zur Entscheidung zwischen Beruf oder Familie
nötigt – und sei es im Blick auf Teilzeitarbeit. „Ich möchte kein schlechtes Gewissen
haben, wenn ich voll arbeite und Familie haben will“, so formulierte es eine von ihnen.
Nicht motivierend ist auch das Bild einer Frau mit einem als typisch weiblich geltenden
Stil und einer entsprechenden Schwerpunktsetzung im Beruf. „Ich werde oft mit typisch
weiblichen Sachen in Verbindung gebracht, das irritiert mich.“
Motivierend ist oft das Vorbild der Mentorin: „Für mich ist es wichtig, eine Frau zu
erleben, die etwas auf die Beine gestellt hat.“
Motivierend ist auch der Blick auf die vorangegangene Generation: „Wir stehen auf den
Schultern der Frauen, die vor uns im Pfarrdienst waren. Wir verdanken der
Vorgängergeneration viel. Aber wir müssen uns unser Pfarrerinnsein selbst erarbeiten.
Wir müssen den Ball aufnehmen, damit, was erreicht worden ist, nicht wieder
versandet.“
Motivierend sind veränderte Pfarrbilder in den Gemeinden: „Wir möchten wieder eine
Frau als Pfarrerin haben.“ Auch das gibt es – neben Regionen, in denen immer noch
(oder wieder?) der Pfarrdienst von Frauen abgelehnt wird
Motivierend ist bzw. wäre das Bild einer „Mutter Kirche“, die, so eine Vikarin, „vor allem
alleinerziehende Frauen unterstützt, gerade auch im Blick auf die Möglichkeit, ein
Leitungsamt innezuhaben.“
Und ich finde es motivierend, dass das Thema Familie unter den heutigen männlichen Vikaren einen deutlich höheren Stellenwert hat, als in früheren Generationen. Sie nehmen Elternzeiten, betreuen dann und wann auch die Kinder im Seminar, während die Partnerin in der Lehrveranstaltung sitzt.
Was also ist wichtig, damit Frauen Mut zur Leitung gewinnen und Lust an Leitung finden?
Ich denke da zunächst an Mentoringprogramme für Frauen. Solche Programme sollten zur Förderung der Chancengleichheit in unseren Kirchen noch konsequenter umgesetzt werden. Und ich denke an die Einstellung derer, die über Stellenvergaben zu entscheiden haben. Die Erwartung an maßgeschneiderte, schnurgerade Karrieren sollte in der Kirche der Vergangenheit angehören. Wer spurgerade Karrieren und
ungebrochene Erwerbsbiografien zum Maßstab macht, grenzt viele Frauen faktisch aus. Das muss im Übrigen auch für Männer gelten, die sich stärker in ihren Familien
engagieren. Auch bei ihnen sollte die männliche Normal-Karriere-Biografie nicht der
heimliche Maßstab sein. Was die Frauenquote anlangt, hat sich meine Einstellung im
Lauf der Zeit geändert. Ich selbst wollte keine „Quotenfrau“ sein. Mittlerweile bin ich aber der Auffassung, dass es ohne eine Quote für Leitungsämter einfach zu lange dauern würde, bis hier wirklich eine Gleichstellung erreicht ist.3
Und als Verantwortliche für die zweite Ausbildungsphase sind mir natürlich besonders
ermutigende und herausfordernde Botschaften an die jungen Kolleginnen wichtig. Sie
suchen ihren eigenen Weg, in Beziehung, aber auch in Abgrenzung zur
Frauengeneration vor ihnen. Was wir als die Älteren ihnen mitgeben können, sind aus meiner Sicht vor allem drei Sätze: 1. Ihr seid jetzt dran! 2. Ergreift Eure Chancen! und 3. Ihr seid gut (genug)!
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1 Vgl. Cornelia Schlarb, Seit 200 Jahren im „Amt“ – mit und ohne Würden, DtPfBl 12 (2010), 645
2 Friedrich Wilhelm Graf, Kirchendämmerung. 3. Aufl. München 2013.
3 Helmut Beck, Chancengleichheit in der Diakonie – Kommt sie ganz von selbst oder was braucht es dafür?“ Vortrag bei der Fachvollversammlung der Beauftragten für Gleichstellung am 6. März 2009. Quelle: www.agmav-wuerttemberg.de/mitteilungen/96/Beitrag_Beck_Chancengleichheit_Diakonie_09.pdf; zuletzt abgerufen am 1.11.2013.