Dr. Irmgard Schwaetzer – Präses der Synode der EKD

Berliner Tischgespräche 30. Oktober 2014 im Haus der Evangelischen Kirche

Ecclesia semper reformanda – Die sich immer reformierende Kirche und der Weg zur Geschlechtergerechtigkeit.
Dr. Irmgard Schwaetzer
Präses der Synode der EKD

„Mein Herr Käthe“ – so nannte Martin Luther seine Frau Katharina von Bora, die er 1525 geheiratet hatte. „Mein Herr Käthe“ – liebevoll, respektvoll und von einem klaren Bild der Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen geprägt. Katharina „schmiss“ den Haushalt für den vielleicht doch ein wenig lebensuntüchtigen Martin, der dafür aber eine riesige Anziehung auf kluge und diskussionsfreudige Menschen ausübte. Was Katharina tat, war in seinen Augen Männerarbeit: sie war Unternehmerin. Immerhin gehörten zum Haushalt der Luthers in dem großen Anwesen in Wittenberg zwischen 30 und 50 Personen. Neben den 6 eigenen und den 6 von anderen Verwandten aufgenommenen Kindern, die Knechte und Mägde und die Studiosi sowie andere Besucher. Katharina führte einen Bauernhof, ein Gasthaus und ein Hotel. Sie verwaltete das Geld und legte einen bescheidenen Wohlstand beiseite.
Auf Martin Luthers Lehre allerdings hatte all dies keinen Einfluss. In seiner Schrift „An den christlichen Adel…“ von 1520 stellte er zwar fest „Was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, dass es schon Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht jedem ziemt, dieses Amt auch auszuüben.“ Und legte damit das hierarchische Amtsverständnis der katholischen Kirche zu den Akten. Aber, dass dies auch für Frauen gelten könnte, kam ihm nicht in den Sinn. Es dauerte weitere fast 450 Jahre, bis in Deutschland die Frauenordination überall eingeführt worden war. Die anglikanische Kirche hat zwar die Frauenordination vor 20 Jahren eingeführt, aber erst seit der letzten Generalsynode ist das Bischofsamt für Frauen zugänglich. Und die lutherische Kirche augsburgischen Bekenntnisses in Polen will im Frühjahr 2015 wieder versuchen, die Synodalen zu einer Zustimmung zur Frauenordination zu bewegen. Die katholische Kirche diskutiert darüber nicht, die orthodoxe auch nicht.
Ecclesia semper reformanda – der Satz stammt aus der calvinistischen Lehre, ist aber im allgemeinen Bewusstsein der evangelischen Kirche fest verankert: die Kirche muss sich immer wieder neu am Wort Gottes ausrichten. Gerade wenn es um die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern geht, braucht es manchmal lange Zeit um den Geist Gottes wahrzunehmen.
Der 9. November 1989 – der Tag an dem in Berlin die Mauer fiel. Das Datum hat sich tief in das allgemeine Gedächtnis eingegraben. Neben solchen Ereignissen von Weltrang geraten kleinere Aufbrüche schnell aus dem Blick. Doch oft sind es gerade die kleinen Schritte und Ereignisse, die Steine ins Rollen bringen und Veränderungen bewirken. In Bad Krozingen tagte am im November 1989 die Synode der EKD und verabschiedete exakt am 9. November einen wegweisenden Beschluss mit dem Titel. „Die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche“ und dazu einige Begleitbeschlüsse. Sie lösten einen binnenkirchlichen Aufbruch aus, der die innere Kultur und das äußere Erscheinungsbild der Evangelischen Kirche verändert hat. Dazu hat die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung V, die im März 2014 veröffentlicht wurde festgestellt, dass „Pfarrerinnen“ inzwischen so etwas wie ein Markenzeichen der evangelischen Kirche geworden sind.
Impulse zu diesem Aufbruch kamen aus der Ökumene. Der Ökumenische Rat der Kirchen hatte 1987 die Durchführung der Dekade „Kirchen in Solidarität mit den Frauen“ beschlossen und setzte damit dieses Thema für Jahre auf die Agende.
Die EKD-Synode damals stellte klar, dass die Gemeinschaft der Gläubigen nicht ohne Geschlechtergerechtigkeit gelebt werden kann. Sie nahm Abschied von kulturellen und religiös begründeten Traditionen, die die Diskriminierung von Frauen in Kirche und Gesellschaft über Jahrhunderte hinweg legitimiert hatten. Und sie initiierte viele praktische Schritte.
Von kirchenpolitischer Brisanz waren vor allem die Beschlüsse zur Frauenförderung, und hier insbesondere die Vorgabe, Leitungs- und Beratungsgremien ausgewogen zu besetzen. Schon vor 25 Jahren wurde im Prinzip eine Frauenquote für kirchliche Leitungs- und Beratungsgremien beschlossen! Ein Verfahren zur Erreichung der Quote oder Konsequenzen bei Nichtbeachtung hatte die Synode damals allerdings nicht beschlossen. Und so war es die Aufgabe u.a. von Gleichstellungsbeauftragten und auch von späteren Synoden, an die Beachtung beharrlich und regelmäßig zu erinnern. Heute ist die Quote – jedenfalls im Hinblick auf den Rat und die EKD-Synode selbst – zumindest annähernd erreicht. Darüber freuen wir uns.
In der nächsten Woche tagt die Synode wieder, dieses Mal in Dresden. Die Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten und das neu gegründete Studienzentrum der EKD für Genderfragen legen der Synode aus Anlass des 25. Jahrestages der Beschlüsse von Bad Krozingen den 1. Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der evangelischen Kirche vor.
Sehen wir uns einige Ergebnisse in Kurzform an:

Kirchliches Leben
•    Von den etwa 700.000 ehrenamtlich Engagierten ist in der Diakonie jeder Vierte (26 %) ein Mann und in der Kirche jeder Dritte (31 %). Die Unterrepräsentanz von Männern im Ehrenamt hat sich seit 1997 nicht abgebaut. Sie ist im Norden und Westen ausgeprägter als im Süden und Osten.
•    Unter den regelmäßig stattfindenden Gruppen und Kreisen in den Gemeinden bilden Frauenkreise die stärkste Gruppe und sind damit neben Seniorenkreisen und Kirchenchören eine tragende Säule des Gemeindelebens.
•    Die Veränderung im Geschlechterverhältnis spiegelt sich auch im kirchlichen Angebot. Aus sog. ‚Mütterkreisen‘ wurden Eltern-Kind-Gruppen.

Wer leitet die Kirche?
•    Vor 25 Jahren hat die EKD-Synode in Bad Krozingen (1989) eine Zielvorgabe/Quote von 50% für die Repräsentation von Frauen in kirchlichen Gremien formuliert, die zehn Jahre später erreicht sein sollte. Dieser Standard wird für die Synode der EKD zur Zeit fast erreicht. Der Frauenanteil der amtierenden Synode liegt bei 45 %. 1968 lag er noch bei 6 % und 1982 bei 14 %. Der Frauenanteil im Rat der EKD beträgt 47 %. Der Frauenanteil in der Bundesregierung lag Ende 2011 bei 37 %.
•    Die 50%-Quote wird im Durchschnitt auch beim Frauenanteil in gemeindeleitenden Gremien/Kirchenvorständen (52 %) erreicht.
•    Kirchliche Leitungsämter auf höherer Ebene (Sprengel) sind zu 37 % mit Frauen besetzt.
•    Kirchenleitungen der Gliedkirchen 32 % (Ende 2013). 1993 betrug der Frauenanteil in Kirchenleitungen bundesweit 19 %. Zum Vergleich: In den Bundesländern lag der Frauenanteil unter den Regierungschefinnen, Ministern und Senatorinnen Ende 2011 bei 33,5 %.
•    2013 wurden zwei der zwanzig Landeskirchen von Frauen geleitet
•    Leitungsämter auf mittlerer Ebene (Kreis) haben einen Frauenanteil von 20 % (Dekan/innen, Superintendent/innen). Dies ist ein erschreckender Befund und muss die Synoden und Kirchenleitungen zu weiterer Analyse veranlassen. Ich werde dieses Thema auf der Landessynode zur Sprache bringen!
•    In Leitungsgremien der Kirchenverwaltungen (Kollegium) sind durchschnittlich 25 % Frauen vertreten.

Kirche und Diakonie als Arbeitgeberinnen
•    In der evangelischen Kirche arbeiten 444.000 Menschen, in der Diakonie weitere 230.000. Während in Deutschland insgesamt weniger als die Hälfte der Erwerbstätigen Frauen sind, liegt ihr Anteil in der verfassten Kirche bei über drei Viertel (76 %) und in der Diakonie bei fast vier Fünftel (79 %). Das unterstreicht die Bedeutung der kirchlichen Arbeitgeber als Arbeitsmarkt für Frauen, aber auch die Vorgabe der Gerechtigkeit bei der Entgeltfindung und Arbeitsplatzgestaltung.
•    Mehr als 2/3 der kirchlichen Beschäftigten arbeitet in Teilzeit (68 %), 74 % der weiblichen und 51 % der männlichen Beschäftigten. In der Diakonie sind 72 % der Beschäftigten in Teilzeit tätig. Nicht Voll-, sondern Teilzeit ist somit die häufigste Beschäftigungsform in Kirche und Diakonie. Dies ist zumindest zum Teil eine Auswirkung der Stellenstückelung bei kleiner werdenden Gemeinden und hat Auswirkung auf die Alterssicherung der kirchlichen Mitarbeitenden. Für mich ist dies ein klarer Auftrag darüber nachzudenken, ob nicht die Ebene der heutigen Kirchenkreise besser geeignet ist, die Leitungsrolle in der Dienstgemeinschaft mit den Mitarbeitenden zu übernehmen, wie es in der Grundordnung der EKBO als Möglichkeit beschrieben ist.
•    32 % der männlichen Beschäftigten und 21 % der weiblichen Beschäftigten arbeiten in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Anders als im Bundestrend arbeiten Männer in der Kirche 1,5 mal so oft wie Frauen in sog. 450 € Jobs. Auch dieser Befund muss uns zum Nachdenken anregen.
•    Der Frauenanteil unter den knapp 21.500 aktiven Theologinnen und Theologen betrug 2009 (aktuellste Daten) 34 %. Er schwankte in den einzelnen Landeskirchen zwischen 6 % und 37 %.
•    Im Durchschnitt waren 43 % der Pfarrerinnen und 13 % der Pfarrer in Teilzeit beschäftigt (s.o. Bundesdurchschnitt aller Erwerbstätigen).

Institutionalisierte Gleichstellungsarbeit
•    14 der 20 Landeskirchen haben hauptamtliche Gleichstellungsarbeit etabliert.
•    In 12 der 20 Landeskirchen sind Gleichstellungsgesetze oder -ordnungen in Kraft. In zwei Landeskirchen wurde Geschlechtergerechtigkeit als Zielbestimmung in die Kirchenverfassung aufgenommen.

Der Gleichstellungsatlas ermöglicht einen schnellen Gesamtüberblick über die Repräsentanz von Frauen und Männern in der Kirche. Er legt auch dar, welche Fortschritte seit Bad Krozingen gemacht worden sind. Die in den Landkarten sichtbaren Unterschiede machen meiner Meinung nach sehr deutlich, dass das Miteinander der Geschlechter gezielt gestaltet werden kann und gestaltet werden muss!
Die 11. Synode hat für die EKD-Ebene das Thema Geschlechtergerechtigkeit kontinuierlich beobachtet und einiges auf den Weg gebracht und gestaltet. Dass wir zum Beispiel im April das Studienzentrum der EKD für Genderfragen eröffnen konnten, ist auch der Beharrlichkeit der Frauen in der Synode geschuldet. Und – ein weiteres Beispiel – das Gremienbesetzungsgesetz, das wir letztes Jahr verabschiedet haben, ermutigt auch manche Landeskirche über eine vergleichbare Regelung nachzudenken. Die kommende Synode wird zu prüfen haben, ob dieses Gesetz sein Ziel erreicht und die Quote tatsächlich erfüllt wird.
Auch neue Fragen tauchen auf. Die Genderforschung hat uns gelehrt, Bilder und Rollen zu dekonstruieren und damit unseren eigenen Bedürfnissen auf die Spur zu kommen. Warum sollten nicht auch männliche Bilder und Rollen, die sich in den letzten 25 Jahren vielleicht auch gewandelt, weiterbewegt haben, in den Blick genommen werden? Da kann vielleicht ein gemeinsames Budget für die Frauen- und Männerarbeit der EKD, wie es derzeit in der Planung ist, inhaltlich fruchtbar gemacht werden. Allerdings: die geschlechterspezifische Arbeit darf nicht gefährdet werden, Bildung und theologische Frauenarbeit sind wichtig wie je, um das weibliche Gesicht der evangelischen Kirche leuchten zu lassen.
Liebe Schwestern, die letzten 25 Jahre haben einige Fortschritte in dem Bemühen gebracht, die evangelische Kirche im gerechten Miteinander der Geschlechter immer wieder neu am Wort Gottes auszurichten. Aber viel bleibt noch zu tun – für uns alle.

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