Dr. Kristina Dronsch – Referentin für Frauen und Reformationsdekade der Ev. Frauen in Deutschland (EFiD), Hannover

3. Tischrede beim 2. Oldenburger Frauenmahl
Dr. Kristina Dronsch, Referentin für Frauen und Reformationsdekade
der Ev. Frauen in Deutschland (EFiD), Hannover

Liebe Schwestern, kluge Frauen,
„Es ist kein Rock, der einer Frau so übel ansteht, als wenn sie klug sein will.“
„Ihr sollt mal schön das unverschämte Maul halten!“
„Die Finger gehören Euch abgehackt!“
„Ab in den Kerker mit diesen Weibern!“
Worte scharf wie ein Messer. Worte, die treffen. Und ich: ich treffe immer wieder auf solche Worte. Wer sich – wie ich – mit den Frauen der Reformationszeit, mit Frauenleben im 16. Jahrhundert beschäftigt, wird eines in den Quellen schnell entdecken: Frauen, die sich im 16. Jahrhundert einmischten, wehte ein frischer – zuweilen eisiger – Wind entgegen. Respektvoll geht anders. Freundlich auch. Von „Maul halten“ bis „ab in den Kerker“ entstammen diese beißenden Worte alle schriftlichen Quellen der Reformationszeit, verfasst von – größtenteils sehr einflussreichen und mächtigen – Männern der Reformationszeit (Zitate stammen von Martin Luther, dem Abt Simon, einem lutherischer Prediger und einem katholischen Herzog). Diese Männer wenden sich in den schriftlichen Quellen entweder direkt mit beißender Zunge an einzelne Frauen der Reformationszeit oder teilen ihren Gesprächspartnern in einer Korrespondenz über Frauen der Reformationszeit ihre nicht gerade galanten Ansichten mit.
Die harsche Sprache macht mich betroffen. Und je mehr ich mich mit den Biografien dieser Frauen, an die diese schneidenden Worte gerichtet sind, beschäftige, umso erstaunter entdecke ich: Keine schweigt, keine verzagt, keine legt den Federkiel aus der Hand. Und: Es sind viele, nicht nur eine handvoll Frauen des 16. Jahrhunderts, die sich einmischen. Ohne das bequeme Nackenpolster von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Emanzipation – ein großes Wagnis, das die Frauen der Reformationszeit eingingen.
Was hat sie bewogen zu sprechen, zu schreiben, zu streiten? Es ist der Kern der reformatorischen Botschaft: nämlich, dass jeder Mensch unmittelbar, gleichsam mit direktem Draht vor Gott und sein Wort gestellt ist. Und dieses Wort ist kein Palaver, keine belanglose Plauderei, keine leere Worthülse: Nein! Dieses Wort bewirkt, was es verheißt.
Es ist die Politik der frohen Botschaft, des Evangeliums, das die Frauen der Reformationszeit in befreiender Weise für sich entdeckt haben. Und diese Entdeckung durchtränkt die gesamte Lebenshaltung der Frauen der Reformationszeit – ohne Ausnahme. Die eigentliche Nagelprobe dieser Lebenshaltung ist: getrost sterben zu können und sich nicht fürchten vor den Mächten dieser Welt. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen.“ Das ist Reformation vor 500 Jahren und das ist Reformation heute. Und es beeindruckt mich zutiefst, dass die Frauen der Reformationszeit unzählig oft eben diesen Satz, den wir so gerne und so einseitig nur Martin Luther zuschreiben, mit ihren Worten gesprochen haben und diesen Satz mit ihrem Leben gefüllt haben. Nicht trotzig, sondern couragiert haben Frauen der Reformationszeit unzählige Male mit diesen Worten nicht nur ihre Geschichte erzählt, sondern ihre Welt gestaltet. Das macht Mut.
Diese Frauen haben sich eingemischt mit der Politik der frohen Botschaft. Wenn man diese Frauen gefragt hätte: „Wo sollen sich Christinnen und Christen in Kirche und Gesellschaft einmischen?“ – ich bin mir sicher, sie hätten geschmunzelt über so eine Frage. Überall natürlich! Es gibt für sie keine Orte – weder in Kirche noch in der Gesellschaft – die Sperrzonen für Christinnen und Christen sind.
Gerade weil ich Gott allein gegenüber stehe, ohne Vermittler und Regulierer, bin ich frei, allein angewiesen auf Gottes Gnade, aber auch allein gewiesen auf das, was die Bibel mir zu sagen hat. Da ist jede / jeder gleich, ob Frau oder Mann, da ist jeder Priester, Bischof oder Papst, der – wie Luther sagt – aus der Taufe gekrochen ist. Da darf es keine Herrschaft über das Gewissen, keinen Zwang in Glaubensfragen geben. Da gibt es nur eine Bindung – die an Gottes Wort – und gerade diese Bindung macht frei – frei von allen Päpsten, Vorgesetzten und Prominenten, frei von Ketten, frei von Zwängen und frei von Ängsten.
Wer diese Freiheit einmal geschmeckt hat – und sich von diesem Geschmack hat tief berühren lassen und diesen Geschmack nicht wieder vergessen hat, so wie die Frauen der Reformationszeit, weiß, dass sie zugleich auch Verpflichtung ist. Freiheit ist kein persönlicher Besitz, sondern hat immer Auswirkungen im Verhältnis zu anderen. Freiheit gibt es immer nur in Relation. Was unsere Freiheit wert ist, zeigt sich daran, ob sie zu mehr Gerechtigkeit führt. Freiheit und Gerechtigkeit sind keine abstrakten, universal geltenden Prinzipien, sondern existieren nur in konkreten Situationen – oder eben nicht. Das wussten die Frauen der Reformationszeit und deshalb gab es für sie auch keine Sperrzonen, in denen sie zu schweigen hatten – auch wenn sie dafür einen hohen Preis bezahlen mussten!
Die reformatorische These, die daraus folgt, ist keine hypothetische oder nur theoretische, sondern eine hundertfach gelebte von den Frauen der Reformationszeit: mit der Politik der frohen Botschaft anfangen können eine Reformatorin zu sein! Das haben die Frauen der Reformationszeit überzeugend gelebt und das geben sie uns mit für unseren Anfang heute am 24.10.2014 hier in der Lambertikirche zu Oldenburg: Reformatorin sein, ist nichts, was in einer Gelehrtenstube stattfindet, es ist nichts, was alleine im stillen Kämmerlein gelebt werden kann, aber es ist auch nichts, was moralinsaure Besserwisserei ist; Reformatorin sein beginnt an Orten wie diesen. Reformatorinnen sind wir – ich genauso wie ihr, liebe Schwestern und kluge Frauen –, wenn wir uns die radikale Freiheit nehmen zur Einmischung in die Welt. Dazu braucht es die vertrauensvolle Geschwisterlichkeit des geteilten Tisches und Klugheit. Und: eine Gelegenheit wie den heutigen Abend.
Darauf erhebe ich nun mit Euch mein Glas!

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