Dr. Margot Käßmann – Botschafterin des Reformationsjubiläums

„Sehen und gesehen werden. Frauen gestalten Religion und Politik.“
Tischrede beim Frauenmahl in Berlin zum Deutschen Evangelischen Kirchentag am 25. Mai 2017

Martin Luther hat gesagt, jeder Getaufte sei Priester, Bischof, Papst. Es hat dann – kirchengeschichtlich eigentlich gar nicht so lange – 450 Jahre gedauert, bis wir in den reformatorischen Kirchen begriffen haben: Frauen sind ja auch getauft! Also können sie das alles auch sein, Priesterin, Bischöfin – und wenn wir hätten auch – Päpstin.

Doch der Weg war und ist schwer, die Bilder vom Herrn Pastor und der Eminenz, dem Bischof sitzen tief. Als ich Bischöfin wurde, druckte eine hannoversche Zeitung einen Artikel, auf dem rechts mein Vorvorvorgänger Bischof Lilje mit Mitra und Krummstab zu sehen war, links ich mit kurzen Hosen im Joggingoutfit – darf so eine Bischöfin aussehen, war die Frage….

Eigentlich könnten die Kirchen der Reformation feiern, dass ordinierte Frauen ein Kennzeichen ihrer Kirche geworden sind! Sie werden gesehen, sie sind sichtbar. Wird das aber geschätzt in unserer Kirche? Frauen werden zu ökumenischen Veranstaltungen „mitgenommen“, manchmal auch lieber nicht, wenn sie die Ökumene belasten könnten. Und bei manchen Konferenzen merken die Herren gar nicht, dass keine Frau dabei ist. Sind sie aber mal „allein unter Frauen“, machen sie daraus ein Dauerthema. Der lettische Bischof hat durchgesetzt, dass in seiner lutherischen Kirche die Frauenordination abgeschafft wird. Ernste Gesichter, aber kein Skandal. Die lutherischen Synoden in Polen, aber auch in Australien und Neuseeland haben die Zwei-Drittel-Mehrheit für Frauenordination vor kurzem knapp verpasst. Ein Aufschrei? Nein, tiefe Stille. Der australische Bischof flüsterte mir beim Essen zu, er sei ja dafür, aber das dürfe er natürlich nicht ganz so laut sagen, er müsse die Kirche ja zusammen hüten…

Sind wir in unserem Beruf glücklich geworden, frage ich mich manchmal. Ich bin sehr gerne Pfarrerin, für mich selbst kann ich das sagen. Allerdings kenne ich viele Kollegen, die ihre Pastorendynastie stolz bis auf Luthers Zeiten zurückführen können. Da überlege ich, wie viele Töchter von Pastorinnen wohl Pastorin werden. Ich kenne keine Forschungsunterlagen, aber es würde mich interessieren. Ich kenne bisher keine.
Und dann die „Laien“. Für mich ist das kein negativer Begriff. Die Laienbewegung Kirchentag war immer stolz auf ihn. Aber natürlich ist es so, dass Hauptamtliche oft viel schneller Zugang zu Informationen haben als Ehrenamtliche. Unsere Synode wird von einer Frau geleitet, Irmgard Schwaetzer. Sie ist die dritte Frau in Folge, ein schönes Zeichen, sie wird definitiv gesehen. Aber sie kann gewiss ihre ganz eigene Geschichte erzählen, welche Schwierigkeiten das mit sich bringt, die es offiziell natürlich gar nicht gibt.

Ökumene der Frauen finde ich einfach, wir haben es leichter, Kontakt aufzunehmen, finde
ich. Keine Angst, ich werde nicht sagen, Frauen sind die besseren Menschen. Aber der
Weltgebetstag hat gewiss viel dazu beigetragen, dass wir die Unterschiede als kreativ, ja anregend ansehen. Vielleicht tragen Frauen nicht so schwer an dogmatischen Differenzen, sondern können in all der Vielfalt auch das Gemeinsame feiern. Mir hat noch keine römische Katholikin gesagt, wir Lutheraner müssten als kleiner Nebenfluss wieder einfließen in den großen Fluss, der Rom heißt. Eher können wir miteinander lachen über das Zelebrieren von Differenz und dann wieder die großen Gesten der Versöhnung.

International gibt es viel Bedarf an Solidarität. Mich bedrückt, wie wenig wir das heute thematisieren, wie wenig wir hinsehen. Letztes Jahr war ich in Bangladesh. Eine Frau hat mich mitgenommen zu Rana Plaza, der Ort, an dem am 24. April 2013 ein Gebäude einstürzte, in dem auch für den deutschen Markt Kleidung genäht wurde. Es wurden 1127 Menschen getötet und 2438 verletzt. Die Ehefrau eines Deutschen kümmert sich mit geringen Mitteln um die zurückgebliebenen Waisenkinder und die verletzten Frauen. Kümmert uns das? Bei Primark, für das dort auch genäht wurde, kostet ein Kinderkleid 3,50 Euro. Da müsste frau doch mal nachdenken, unter welchen Bedingungen das produziert wurde? Im letzten Jahrhundert haben Frauen sich zusammengetan unter dem Motto „Kauft keine Früchte der Apartheid“. Politik mit dem Einkaufskorb haben wir das genannt. Solche Initiativen brauchen wir heute, damit Menschen sichtbar werden, deren Elend wir verdrängen, obwohl es mit unserem Lebensstil zusammenhängt.

Zwischen den Religionen können Frauen viel an Kontakten leisten. Gerade die Frauen, die auf der Flucht zu uns kommen, brauchen unsere Unterstützung. Sie werden in Unterkünften sexuell belästigt, wissen oft nicht, welche Rechte sie haben, sind scheu, weil sie die Sprache nicht verstehen. Muslimische Frauen werden von Neonazis attackiert, weil sie Kopftuch tragen. Und wenn der deutsche Innenminister als zentralen Satz der Leitkultur erklärt „Wir sind nicht Burka“, dann ist das keine Einladung zum Dialog, sondern eine absolute Ausgrenzung. So hat schon Thilo Sarrazin muslimische Frauen angegriffen, als er schrieb: „C.“. Es geht nicht um Kopftücher, sondern um Köpfe.“ Und, dass Männer Frauen nun zur größten Bedrohung deutscher Leitkultur machen, führt absolut in die Irre. Männer sind bis auf ganz geringe Ausnahmen die Täter, Frauen in der Regel die Opfer. Ja, auch ich will das Gesicht meines Gegenübers sehen! Aber es ist doch absurd, jetzt die geschätzt 300 Burkaträgerinnen in Deutschland zur zentralen Frage einer Leitkultur zu machen. Genauso peinlich sind die Bilder vom französischen Strand, die zeigen, wie eine Frau gezwungen wird, sich auszuziehen.

Früher sollten Frauen sich anziehen, jetzt sollen sie sich ausziehen – wie lächerlich ist das denn!

Ein Letztes: Wir müssen hinsehen auf die Kriege dieser Welt! Mitte Mai war ich zur Frauenfriedenswallfahrt in Frankfurt – ökumenisch angelegt wohlgemerkt. Gerade Frauen sind hier gefragt, denn Frauen mit ihren Kindern sind die ersten Opfer des Krieges. Ja, es gibt auch Soldatinnen, aber in der Regel werden die Kriege von Männern geführt, und Vergewaltigung ist eine ihrer Kriegswaffen. Zurück bleiben völlig traumatisierte Frauen, oft auch noch schwanger vom Vergewaltiger. 1992 wurden mehr als 25.000 muslimische bosnische Frauen durch serbische Soldaten vergewaltigt. Ich habe damals ein Lager besucht, in dem viele von ihnen auf kroatischem Boden Zuflucht suchten. Amra Delic, eine Psychiaterin in Sarajewo, hat dazu eine Studie angefertigt. Sie sagt: „Es ging darum, den Feind zu demütigen, einzuschüchtern, ihn zu entmenschlichen, über die Frauen. Die Körper der Frauen wurden zu einer Art Schlachtfeld während des Krieges in Bosnien-Herzegowina.“[1] Dieser Krieg ist nun 25 Jahre her, aber die Traumata bleiben und die Vergewaltigungen in den Kriegen dieser Welt auch. Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen, wir müssen hinsehen! Wir stehen in einer guten und wichtigen Tradition, unsere Stimme zu erheben und gegen den Krieg und die Aufrüstung zu demonstrieren.

Zuletzt: Ich bin froh über die Frauenordination und freue mich immer wieder, wenn ich Kolleginnen begegne in Europa, Afrika, Asien. Sie alle erzählen ihre ganz eigene Geschichte. Ich bin stolz auf unsere Synodalinnen auf Ebenen von Kirchenkreisen bis hin zur EKD, die unsere Kirche leiten und ihre ganz eigenen Erfahrungen dafür einbringen. Aber ich mache mir Gedanken darüber, ob unsere Kirche insgesamt das wirklich so sieht. Ich freue mich an den ökumenischen Beziehungen zu anderen Frauen und auch an denen zu Frauen in anderen Religionen. Mein Eindruck ist, dass wir gelernt haben, Gespräche und Konferenzen nicht für wichtiger anzusehen, wenn Männer dabei sind. Wir zieren uns auch nicht mehr, zu sagen: „Ich bin Feministin“. Und nun, langsam alt werdend, möchte ich die jungen Frauen ermutigen, den Staffelstab zu übernehmen. Die Kirche der Reformation muss sich ständig erneuern. Wahrhaftig. Ich wünsche Euch Kraft und den Segen der Geistkraft dazu!

 


[1] Mechthild Müser, Der Körper der Frau – ein Schlachtfeld, Deutschlandfunk Kultur, 30.11.2015.

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