Dr. Naime Cakir
Wissenschaftliche Mitarbeiterin „Wissens- und Methodentransfer“ an der Goethe-Universität Frankfurt, Schwerpunkte Religion, Migration und Gender
Tischrede anlässlich des 2. Darmstädter Frauenmahls am 22.5.2016
Sehr geehrte Damen, liebe Organisatorinnen,
ich freue mich heute hier zu sein und ein paar Worte an Sie zu richten.
„Nach der Silvesternacht in Köln – unterschiedliche Rollenbilder und Integration“ heißt mein Thema. Das ist natürlich ein weites Feld, das ich nicht in dem mir gesetzten Rahmen ausführlich behandeln kann. Ich gebe auch zu: es fällt mir nicht leicht, die Bereiche „unterschiedliche Rollenbilder und Integration“ im Kontext der Silvesternacht in Köln zu thematisieren.
Es besteht hier die Gefahr, dass jeder Versuch zur Differenzierung als Versuch der Relativierung der schrecklichen sexuellen und kriminellen Übergriffe in Köln missverstanden werden könnte. Deshalb muss in aller Deutlichkeit gesagt werden: Solche sexualisierte Form von Gewalt gegen Frauen – von welcher Seite auch immer – darf es nie wieder geben. Die Täter müssen ermittelt und strafrechtlich verfolgt werden und die Versäumnisse hierzu müssen aufgearbeitet werden. Die Ursachen und die Gründe müssen genau analysiert und die richtigen Antworten zur Verhinderung solcher Taten müssen gefunden werden.
Dabei ist es wichtig, dass einerseits die Straftaten, die eine neue Dimension von sexueller Gewalt aufgezeigt haben, nicht relativiert werden. Andererseits ist es wichtig, dass wir nicht populistischen Deutungsmustern aufsitzen, die unbescholtene Menschen, die seit Jahren in Deutschland leben und deren einzige Gemeinsamkeit mit den Tätern ihr Herkunftsland bzw. ihre tatsächliche oder vermeintliche Religion ist, in Sippenhaft nehmen.
Ganz in diesem Sinne polemisiert die Feministin und Publizistin Alice Schwarzer, die die Geschehnisse in Köln als Folge einer „falschen Toleranz“ und einer „gescheiterten Integration“ zu erkennen glaubt. Für sie gibt es nur eine logische Erklärung für diese Auswüchse. Demnach müsse sich bei den Tätern es sich um Islamisten, bzw. um Anhänger des „Scharia-Islam“ gehandelt haben. Dieses Erklärungsmodell bleibt spekulativ, da wir über die Täter nicht viel wissen. Was wir wissen, ist, dass die Täter mehrheitlich aus den Ländern Nordafrika’s kamen und zum größten Teil auch alkoholisiert waren. Es sollte sich jedoch mittlerweile auch bis Frau Schwarzer herumgesprochen haben, dass insbesondere die streng religiösen Islamisten, deren aus dem Koran entnommener „Scharia-Islam“ ein absolutes, strenges Alkoholverbot erteilt und nicht nur unsittliche Berührung von fremden Frauen, sondern selbst das übliche Begrüßungs- bzw. Verabschiedungsritual des Händeschüttelns zwischen Mann und Frau verbietet. Demnach wäre hier ganz offensichtlich gegen eindeutige Regeln des „Scharia-Islam“ verstoßen, was zumindest bei strenggläubigen Islamisten undenkbar ist.
Als Frauen in Deutschland im Allgemeinen und als religiöse Frauen im Speziellen können wir die Ereignisse zum Anlass nehmen, uns gemeinsam von jeglicher Form von Sexismus, Rassismus zu distanzieren und uns mehr für Gerechtigkeit und für Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen. Dabei ist es wichtig, dass wir die Fehler nicht immer bei den anderen suchen, sondern die eigene Tradition und Religion einer kritischen Analyse unterziehen. Muslimische Frauen in Deutschland engagieren sich meist fern ab von populistischen Debatten für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der eigenen religiösen Tradition und wenden sich insgesamt gegen die Diskriminierung von muslimischen Frauen und für ihre Integration.
Das ZIF (Zentrum für islamische Frauenforschung und Frauenförderung) in Köln nimmt diesbezüglich eine besondere Stellung ein, als es sein Engagement explizit als feministisch begreift und feministische Theologie betreibt.
Andere muslimische Frauenorganisation wie BFmF (Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen e.V.) wenden sich ebenfalls gegen patriarchale Strukturen, indem sie Frauen durch Bildungs- und Qualifizierungsangebote zu stärken suchen. Darüber hinaus gibt es religiös orientierte Frauen, die sich als Privatpersonen oder Verbandsvertreterinnen mit anderen Frauen zusammenschließen und sich ebenfalls für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern einsetzen.
Die Vertreterinnen dieser islamischen Position befürworten in einem islamischen Rahmen verankerte Frauenrechte, Gender- und soziale Gerechtigkeit. In ihrer Argumentation für Geschlechtergerechtigkeit nimmt hierbei die früh-islamische Geschichte eine Vorbildfunktion ein.
Indem sie also eine weiblich-emanzipatorische Position in der frühen islamischen Geschichte betonen, verteidigen sie nicht nur ihre Religion gegen diffamierende Angriffe von „Außen“, sondern wenden sich gleichzeitig nach „Innen“, indem sie sich im gleichen Zuge gegen eine traditionell patriarchalisch-männliche Deutungshoheit des Qur’ans richten und sich somit auch innerhalb des Islams als „innerislamische Kritikerinnen“ angreifbar machen.
Indem emanzipatorisch-feministisch orientierte Musliminnen als selbstbewusste Persönlichkeiten ihren Platz im öffentlichen Raum beanspruchen, finden sie sich in einem kaum auflösbaren Dilemma wieder: Sie drohen in den ihnen zugewiesenen Rollen gefangen zu bleiben. Je nach Perspektive und festgezurrten Interessenssphären legen diese sie als armes, von patriarchalen Mächten drangsaliertes Opfer fest, als gefährliche, das Eigene bedrohende islamistische Fundamentalisten oder als glaubensschwache Muslima, die, von westlich-emanzipatorischen Ideologien infiziert, vom korrekten Weg ihrer eigentlichen religiös vorgezeichneten Bestimmungen und den daraus resultierenden Aufgaben einer Frau abgekommen ist. Für etablierte säkulare Feministinnen bleiben sie mysteriös und unglaubwürdig, so lange sie einem Glauben anhängen, der aus deren vermeintlich aufgeklärten Perspektive per se frauenfeindlich ist. Es scheint, dass diesen Frauen trotz aller redlichen Bemühungen von keiner Seite Glauben geschenkt wird. Das mag möglicherweise auch ihre Stärke ausmachen.
Angesichts von Terror, Krieg und Gewalt einerseits und angesichts neuer populistischer Positionen und dem Erstarken von rechtsextremistischen Gruppen, gilt es jetzt erst recht, dass sich Frauen aus unterschiedlichen Religionen oder Weltanschauungen gemeinsam für das friedliche Zusammenleben einsetzen. Solche Veranstaltung wie diese sind hierfür ein gelungenes Beispiel.
Ich danke Ihnen für die Einladung.