Dr. Sabine Ferenschild – Institut Südwind e. V.

Köln, 20.11.11

In der Einladung zum heutigen Frauenmahl hieß es: „Unsere
Zeit ist von gesellschaftlichen Umbrüchen und sozialen Spannungen geprägt.
Davon sind auch Frauen betroffen.“ An diesen Satz möchte ich mit einem Blick
auf Frauen, die migrieren, anknüpfen.

Weltweit gibt es 200 Millionen ArbeitsmigrantInnen, unter
diesen sind 100 Mio. Frauen. Zu diesen MigrantInnen, die Grenzen überschreiten,
kommen ungefähr 700 Mio. BinnenmigrantInnen hinzu. Allein in China sind ca. 200
Mio. Menschen (unter ihnen mehr als 100 Mio. Frauen) als BinnenmigrantInnen
unterwegs, um in einem anderen Teil des Landes eine Arbeit und damit
Existenzsicherung zu finden.

Weltweit stoßen diese Menschen auf Ausgrenzung,
Rechtlosigkeit und Ausbeutung: Sie werden als Fremde wahrgenommen, die Leben
und Arbeitsplätze der Mehrheitsgesellschaft bedrohen; sie werden schlecht
entlohnt, haben miserable Wohnbedingungen, keine soziale Sicherung und kaum
Möglichkeit, ihre wenigen Rechte, z.B. vorenthaltene Löhne, einzuklagen. In
China z.B. verlieren WanderarbeiterInnen ihre Bürgerrechte, wenn sie ihren
permanenten Wohnsitz verlassen. Sie dürfen mittlerweile zwar befristet dort
wohnen, wo sie einen Arbeitsplatz gefunden haben. Verlieren sie aber diesen
Arbeitsplatz bzw. erhalten keinen Arbeitsvertrag für ihre Arbeit, dann können
sie jederzeit ausgewiesen werden, ihre Kinder dürfen in der Regel keine
staatliche Schule besuchen – und wenn doch, dann nur gegen hohe Gebühren.

Was hat das mit uns zu tun? Zweierlei:

Zum einen produzieren die WanderarbeiterInnen in China
die vielen schönen Dinge, die wir hier so preiswert kaufen können – sei es die
Tischdecke auf diesem Tisch oder das iPad, das sich Ihre Kinder oder Sie selbst
vielleicht wünschen. Das iPad wird z.B. in einer Fabrik in der chinesischen
Provinz Sichuan, der Partnerprovinz Nordrhein-Westfalens, hergestellt, in der
100.000 ArbeiterInnen, überwiegend WanderarbeiterInnen arbeiten.

Zum anderen arbeiten MigrantInnen in großer Zahl auch bei
uns, hier in Köln – und verrichten zu niedrigsten Löhnen notwendige Arbeiten
wie Reinigung in Privathaushalten und im öffentlichen Raum, sie arbeiten in
Restaurants und in der Kinderbetreuung. Viele leben ohne Papiere hier und
können, wenn sie „auffallen“, abgeschoben werden. Sie gehören zu den zahllosen
Menschen weltweit, die wegen fehlender Rechte und aufgrund fehlender
Perspektiven in ihrer Heimat auch bei uns und von uns ausgebeutet werden.

Wie stelle ich mich angesichts dieser hier nur
angerissenen Situation eine Kirche der Zukunft vor?


Kirche, ob als Kirche im Hier und Jetzt oder als Kirche
der Zukunft, kann nur Kirche sein, wenn sie die Bedrängnisse, Nöte und Sorgen
der bei uns Fremden als ihre eigenen Bedrängnisse, Nöte und Sorgen versteht.
Daraus folgt nicht nur die Verpflichtung der Kirche zu diakonischem Handeln als
eine ihrer Kernaufgaben – diakonisches Handeln, das Hilfestellungen zur
Existenzsicherung bietet. Vielmehr bedeutet die Vergegenwärtigung, dass uns in
den Fremden Christus begegnet, eine notwendige Ortsveränderung der Kirche. Die
Kirche Christi ist da, wo die Bedrängten, die Fremden, die Ausgebeuteten sind.
Von diesem Ort aus haben die Kirchen unserer Zeit die Aufgabe, nach den
Ursachen von Bedrängnis, Ausgrenzung und Ausbeutung zu fragen. Von dort aus
müssen sie als Teil der Bewegungen, die sich für weltweite Gerechtigkeit,
Menschenwürde und soziale Sicherheit einsetzen, nach Wegen aus den
strukturellen Missständen suchen.

Es gibt Kirchen im Süden, die hierfür ein Vorbild sein
können: Die evangelische Kirche von Marokko, die lange eine Kirche von Weißen
in Nordafrika war und Stück für Stück, bedingt auch durch die Rückkehr ihrer
Mitglieder nach Europa, schrumpfte, entwickelte sich angesichts der
bedrückenden Situation von schwarzafrikanischen MigrantInnen in Marokko zu
einer Kirche der MigrantInnen. MigrantInnen aus Sub-Sahara-Afrika sind Teil
dieser Kirche und prägen die Arbeit und das Engagement dieser Kirche, das auch
und wesentlich in der Unterstützung von irregulären MigrantInnen besteht. Wo
sind solche Prozesse der Umkehr bei uns festzustellen?

Frauenmahl Logo