Dr. Sabine Kramer – Pfarrerin der Marktkirchengemeinde Halle

Drübeck, 8.6.2012

Laudatio für die Frauen der Reformation

und ihre Bedeutung zur Verbreitung reformatorischer Ideen

Verehrte Delegierte und zum Frauenmahl Versammelte!

Sie bereitete das Essen. Es könnte, wenn es ein Festmahl war, Bärlauchcremesuppe,

Wildkräutersalat, Gemüsepfanne, mit Brot, denn die Kartoffel gab es in Europa noch nicht,

und als Nachspeise Dinkelgrieß, so wie auf dieser Speisekarte, gegeben haben. Sie richtete

den Haushalt, sie kaufte Lebensmittel auf dem Marktplatz. Sie erzog die Kinder. Sechs trug

sie ins Leben, von denen drei oder vier das Erwachsenenalter erreichten. Mit Sack und Pack

begleitete sie ihren Mann auf dessen langen Auslandsaufenthalten im Dienst der Reformation.

Die Rede ist von Walpurga Bugenhagen1, der Frau des Wittenberger Reformators,

Stadtpfarrers und Wegbegleiters Luthers, Johannes Bugenhagen. Walpurga begleitete ihren

Mann nach Braunschweig zur Einführung der Reformation. Sie folgte ihm nach Hamburg, wo

sie 1528 mit einer Totgeburt niederkam. Über ein Jahr weilte sie mit ihm in Lübeck, fast zwei

Jahre verbrachte sie im dänischen Kopenhagen an seiner Seite. Auf diese Weise nahm sie am

beruflichen Wirken ihres Mannes teil. Sie unterstützte ihn bei Repräsentationspflichten. Der

Lebensleistung ihres Mannes wird mit Denkmalen gedacht, beispielsweise in den Städten

Braunschweig, Greifswald, Hamburg und Wittenberg. Von Walpurga hingegen ist nahezu

nichts bekannt. Warum sollten wir uns ihrer erinnern, wozu über sie forschen? Sie verfasste

keine uns erhaltene Schrift zur Reformation, sie schrieb kein reformatorisches Lied wie die

Dichterin Elisabeth von Cruciger, von deren Liedern eins erhalten und als „Herr Christ, der

einig Gotts Sohn“ in unser Gesangbuch und in das Heft zur Frauenversammlung

aufgenommen ist. Auch ist über Walpurga Bugenhagen keine spektakuläre Klosterflucht

bekannt.

Dass die Kirchengeschichte sich mit Frauen der Reformation2, mit Walpurga Bugenhagen und

ihren Zeitgenossinnen befasst, ist, abgesehen von Katharina von Bora, der sich die

evangelische Kirchengeschichte seit 300 Jahren zuwendet, ein Thema erst der letzten

Jahrzehnte. Walpurga Bugenhagen zählt zu den Theologenehefrauen der ersten Generation.

Sie heiratete in der frühen Reformationszeit, bereits drei Jahre vor Luther. Und zwar 1522, als

die Priesterehe noch reichsrechtlich verboten war, als Priester-Konkubinen zwar üblich, aber

als „Pfaffenweiber“ gesellschaftlich geächtet und durch spezielle Kleiderordnungen

stigmatisiert waren. Walpurga Bugenhagen, obgleich verheiratet, bekam die Missachtung als

Ehefrau eines Priesters zu spüren: in der Wittenberger Kämmereirechnung von 1525 ist die

Einnahme eines Bußgelds von zwei Schock Groschen von Clara, Eberhard Jessners Ehefrau,

verzeichnet, weil diese öffentlich über Luthers und Bugenhagens Ehefrau ‚gelästert und übel

geredet hat’.

So wie Walpurga Bugenhagen haben viele Frauen in der frühen Reformationszeit den Mut zur

Ehe mit einem Theologen, Mönch oder Priester aufgebracht. Ihr Jawort war auch ein

Bekenntnis zur reformatorischen Gesinnung. Sie haben das reformatorische Wirken ihrer

Tischrede zum Frauenmahl am 8.6.2012 in Drübeck in der Ev. Kirche Mitteldeutschland

© Pfarrerin Dr. Sabine Kramer, Halle/ Saale, pfrn.sabinekramer@web.de

Partner mit ermöglicht. Sie haben dem evangelischen Leben im Alltag Gestalt gegeben, in

ihrer Familie, bei der Erziehung der Kinder. Diese Frauen zeigen, dass die Leistung ihrer

Männer nicht die eines je einzelnen Heroen war, wie es die Kirchengeschichte lange

dargestellt hat. Die Reformation war eine Kollektivleistung, zu der eben auch Frauen

beitrugen. Sofern diese Frauen ehemals Nonnen und aus dem Kloster geflohen waren, wie

Katharina von Bora, Elisabeth von Meseritz und Ottilie von Gerson, gaben sie die Sicherheit

ihres geistlichen Standes auf und wagten die Flucht in ein ungesichertes Leben. Lassen Sie

uns ihre weithin vergessene Lebensleistung würdigen!

In Wittenberg wirkte als bekannteste dieser Frauen Katharina von Bora, kaum bekannt

sind ihre Weggefährtinnen: Katharina Falk als Bleddin, die Frau des Justus Jonas, Elisabeth

von Meseritz, eine ehemalige Nonne und erste Ehefrau Caspar Crucigers, Anna von Mochau

aus Segrehna, die Frau Andreas Bodenstein von Karstadts, und die Kembergerin Getraude

Pannier, die am 21. Juni 1521 durch ihre Eheschließung mit Bartholomäus Bernhardy die

erste Ehefrau eines Priesters wurde und damit eigentlich als Begründerin des evangelischen

Pfarrhauses gelten kann, auch wenn dieses der Lutherin zugeschrieben wird.

Nicht alle Ehefrauen der ersten Generation evangelischer Theologen konnten unter

günstigen Lebensbedingungen ihre reformatorischen Überzeugungen entfalten. Ein tragisches

Schicksal erlitt die reformatorisch gesinnte, aus dem Kloster entflohene Nonne und Adlige

Ottilie von Gerson, die den am linken Flügel der Reformation angesiedelten Theologen

Thomas Müntzer heiratete. Das Todesurteil für ihren inhaftierten Mann machte Ottilie, die im

Bauernkrieg erneut schwanger war, zu einer hilflosen Witwe, die gedemütigt und bei einer

Vergewaltigung durch einen Soldaten am Rand der Kampfhandlungen entwürdigt wurde.

Daher freue ich mich, dass in die „Wanderausstellung zu Frauen der Reformation“ auch

Ottilie von Gerson mit dem Ort Allstedt aufgenommen ist.

Andernorts haben Frauen mit eigenen Schriften ihre reformatorischen Gedanken

formuliert, erhalten sind u.a. die Flugschrift der Nonne Florentina von Oberweimar zu den

widrigen Umständen im Kloster und ihrer Flucht aus Helfta. Erhalten sind die

bemerkenswerten Sendschreiben der bayrischen Adligen Argula von Grumbach, deren

mutiges Eintreten für die Reformation ihr Leid und noch als 70-Jährige Kerkerhaft einbrachte.

Frauen der Reformation fanden den Mut, selbst die Bibel zu studieren und sich ihre

Meinung zu bilden. Sie lernten lesen, in einer Zeit, in der nur zwischen 5 und 10% der

Bevölkerung lesekundig waren. So bewahrt die Marienbibliothek zu Halle die Bibel der

Adligen Felicitas von Selmenitz auf. Sie ist nicht nur wegen Luthers eigenhändiger Widmung

wertvoll, sondern ebenso wegen der Glossen und Unterstreichungen ihrer einstigen

Besitzerin.

Wieder andere Frauen förderten in ihrer politischen Position die Reformation, wie die

Lutheranhängerin Dorothea, Herzogin von Preußen, so wie Sibylle, die Kurfürstin von

Sachsen. Manche taten dies auch gegen den Widerstand ihres katholisch gebliebenen

Ehemanns, wie Elisabeth, die Kurfürstin von Brandenburg.

Manche Frauen der Reformation, besonders ehemalige Nonnen, fanden als Lehrerin

im Haushalt oder an den bald gegründeten Mädchenschulen ein neues Arbeitsfeld. Für die

meisten allerdings gab es zum Weg in die Ehe keine Alternative.

Tischrede zum Frauenmahl am 8.6.2012 in Drübeck in der Ev. Kirche Mitteldeutschland

© Pfarrerin Dr. Sabine Kramer, Halle/ Saale, pfrn.sabinekramer@web.de

Frauen der frühen Reformation lebten in einer kirchlichen wie gesellschaftlichen

Umbruchssituation mit weithin nicht absehbaren Entwicklungen.

Sie brachten den Mut auf, ihrem Gewissen zu folgen und dem, was sie im christlichen

Glauben bewegte. Damit standen sie häufig außerhalb der gängigen Gesetze und

Gepflogenheiten. Für nicht wenige von ihnen bedeutete dies, Verspottungen, moralischen und

psychischen Druck, das Bestreiten ihrer rechtmäßigen Positionen als Ehefrau oder eheliche

Witwe, finanzielle Unsicherheit, die Abkehr ihrer elterlichen Familie, keine Absicherung im

Witwenfall, mitunter auch Armut oder, wie bei Argula von Grumbach, sogar Kerkerhaft zu

erleiden.

Dennoch gelang es vielen von ihnen, Neues zu gestalten, insbesondere den Alltag als

evangelische Familie, denken wir beispielsweise an den großen Haushalt der Katharina von

Bora. Es gelang ihnen, ihre Rolle an der Seite oftmals bekannter Reformatoren, als

Rezipientinnen oder sogar als Verfasserinnen reformatorischer Schriften auszufüllen.

Die Kenntnis ihrer Lebensgeschichten kann ermutigen, selbst das Leben aus

Glaubenszuversicht heraus zu gestalten.

Auf die Frauen der Reformation möchte ich mein Glas erheben, auf Walpurga Bugenhagen,

die ich für diese Laudatio exemplarisch hervorgehoben habe, auf die „Pfarrnerin“, wie Luther

sie würdigend nannte, auf die zwölf Ahninnen der „Wanderausstellung Frauen der

Reformation“, auf Sie und uns als Nachfahrinnen dieser Frauen.

Auf Ihr Wohl!

___

1 Vgl. zu Walpurga Bugenhagen und Ottilie Müntzer: Inge Mager: Theologenehefrauen als „Gehilfinnen“ der

Reformation. In: Katharina von Bora, die Lutherin: Aufsätze anlässlich ihres 500. Geburtstages / hrsg. von

Martin Treu im Auftrag der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Wittenberg 1999. 113-127

(Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt; Katalog 5).

2 Die Laudatio ist insbesondere bezogen auf Frauen der Wittenberger Reformation.

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