Dr. Tamara Alchammas – Kunstwissenschaftlerin, Freischaffende Künstlerin, Oldenburg

4. Oldenburger Frauenmahl
8. November 2019, 18.00 Uhr bis 22.00 Uhr
in der St. Lamberti-Kirche, Markt 17, 26122 Oldenburg

„Wir sind viele“
Vielfalt als Herausforderung und Chance für Kirche und Gesellschaft

Tischrede von Dr. Tamara Alchammas,
Kunstwissenschaftlerin, Freischaffende Künstlerin, Oldenburg

Sehr geehrte Frau Dr. Schrimm-Heins,
Sehr geehrte Frau Rüsch-Tillmanns,
Sehr verehrtes Publikum, Liebe Frauen,

ich begrüße Sie ganz herzlich und freue mich, heute bei dieser schönen Veranstaltung mit Ihnen hier zu sein und meinen persönlichen Beitrag zum heutigen Abend zu leisten. Am Anfang möchte ich mich kurz vorstellen. Ich heiße Tamara Alchammas und komme ursprünglich aus Syrien. Mittlerweile bin ich eine echte Oldenburgerin geworden, da ich seit guten 14 Jahren in Oldenburg lebe.
Ich möchte meine Zeit in Oldenburg Revue passieren lassen: Ich kam nach Oldenburg, um hier meine Doktorarbeit im Bereich Kunst und Medien zu schreiben. Zuvor hatte ich ein Studium in visueller Kommunikation an der Universität Damaskus in Syrien abgeschlossen.

Vielleicht fragen sich einige von Ihnen, warum ausgerechnet Oldenburg? Diese Frage wurde mir oft gestellt – vor allem dann, wenn die Sonne für eine scheinbare Ewigkeit verschwunden war.

Es war reiner Zufall! Ich hatte meine Unterlagen eigentlich nach Berlin geschickt, aber da es in dem Bereich der Bilderbuchforschung, worüber ich promovieren wollte, nicht so viele Professoren gab, die sich mit dem Thema befasst haben, wanderten meine Papiere von einer Uni zur nächsten durch ganz Deutschland und landeten letztendlich an der Uni in Oldenburg. So erhielt ich eine Zusage von Prof. Jens Thiele und kam direkt nach Oldenburg. Über dieses Schicksal oder besser gesagt: diesen Glücksfall bin ich heute sehr froh.

Dieser Schritt, in ein neues für mich unbekanntes Land zu reisen, war, wie Sie sich vorstellen können, nicht einfach, vor allem, weil ich kein Deutsch sprach. Oldenburg liegt immerhin über ein paar tausend Kilometer von zuhause entfernt. Nur mein Englisch war damals gut.

Mut haben mir zu diesem Schritt meine gesamte Familie und alle meine Freunde in Syrien gemacht.
Also: Bei Nieselregen und trübem Wetter, Höchsttemperaturen von 9 Grad, so wie es in Oldenburg üblich ist, kam ich im November 2004 hier an.

Es war für mich in der ersten Zeit schwierig, in einer völlig fremden Umgebung ganz allein zu sein. Es war vor allem ein ziemlich komisches Gefühl, dass keiner an meiner Tür klopfte, denn ich bin von zuhause viele Menschen um mich herum gewöhnt – ganz abgesehen von den Überraschungsgästen. Außer einer Freundin, die ebenfalls aus Syrien kam und mich am Anfang unterstützt hat, kannte ich hier keinen Mensch. Ich fühlte mich einsam und hatte richtig Heimweh.

Diese Situation hat sich aber schnell zum Besseren gewendet.

Ich erinnere mich noch heute ganz gut daran, als Bouchra (so hieß meine Freundin) und ich in der Silvesternacht auf die Straße gingen, um das Feuerwerk zu sehen. Dort haben wir zwei nette Damen aus der Nachbarschaft kennengelernt, die sich ebenfalls die bunte Silvesternacht im Freien anschauen wollten. Sie waren offen, freundlich, fröhlich und an uns interessiert. Am Ende des Feuerwerks haben sie uns spontan zu sich eingeladen, das neue Jahr zusammen zu feiern und zu begrüßen. Von da an haben wir uns nie wieder aus den Augen verloren und sind Freunde geworden.

So ähnlich ging es weiter, als ich mein Studium hier an der Universität Oldenburg angefangen habe. Zwar war die Bürokratie teilweise etwas kompliziert … Dafür waren die Menschen sehr freundlich.

Ich war echt sehr positiv überrascht, dass die Menschen hier in Oldenburg generell offen, sympathisch, hilfsbereit und an anderen Kulturen interessiert sind. So konnte ich getrost in kurzer Zeit alle meine Vorurteile, die ich von zuhause mitgebracht hatte, beiseitelegen.

Im Laufe der Jahre und durch mein Studium habe ich nicht nur viele Menschen in den unterschiedlichsten Situationen kennengelernt, sondern auch viele Freunde gewonnen. Vor allem hat sich dadurch meine Sprache rasant entwickelt.

Dies habe ich den lieben Menschen um mich herum zu verdanken. Sie waren für mich immer da, wenn ich Hilfe benötigt habe. Sie haben meine Sprache bzw. Aussprache konsequent korrigiert. Das war manchmal nicht so ganz angenehm, doch das hat uns wirklich auch näher gebracht. Wir haben dabei viel gelacht, gelernt, diskutiert … und natürlich auch gekocht, sind spazieren gegangen und vieles mehr. Mit einem Wort: Sie haben mich gut aufgenommen und in die deutsche Kultur eingeführt … Ich fühlte mich in dieser Gesellschaft jeden Tag sicherer und wohler als noch einen Tag zuvor.

All das, was ich Ihnen erzählt habe, hat mit unterschiedlichen Arten von Herausforderungen zu tun! Wie z. B. die neue Sprache zu lernen, sich in einer neuen Gesellschaft zu integrieren und die eigene Arbeit bzw. das Studium zu schaffen.
Herausforderung ist ein wichtiger Begriff nicht nur für mich, sondern für jeden von uns; denn jeder Mensch hat ein oder mehrere Ziele im Leben, die je nach Lebensphase sich unterscheiden und ändern. Manche sind einfach, andere etwas schwieriger zu erreichen. Der Begriff „Herausforderung“ ist meines Erachtens mit vielen Merkmalen bzw. Eigenschaften verbunden, ohne die keine Herausforderung angenommen und bewältigt werden kann.

Diese sind unter anderen:
Mut statt Angst
Wissen statt Unwissen
Fleiß und Lerngier
Freude an der Arbeit
Starker Wille statt schwache Nerven
Durchhaltevermögen
Positives Denken statt negatives
Eine positive Einstellung
Aktiv statt passiv zu sein
Sich selbst motivieren oder Motivation holen (durch Gespräche, Freunde, …) statt antriebslos zu sein
Lösungen suchen statt über Probleme zu klagen
Ein starkes Selbstbewusstsein zu haben
Vertrauen in sich haben und anderen das Vertrauen schenken
Gemeinsam nach Lösungen suchen statt alleine
Unterstützung und Ratschläge annehmen und andere Menschen unterstützen
Kontakte pflegen
Hilfsbereit sein
Sich und anderen Zeit geben

Stellen Sie sich vor, Sie wollen einen Berg besteigen und den Gipfel erreichen. Sie sind sehr weit gekommen, aber durch Hürden, Probleme und Schwierigkeiten, die Ihnen auf den Weg hinauf begegnet sind und überwunden werden sollten, haben Sie das Gefühl, dass das eigentliche Ziel nicht erreichbar ist. Sie schauen in solchen Momenten auf den Gipfel des Bergs und sehen ihn sehr weit entfernt. So weit, als ob man nichts erreicht hat. Hier hat man eine Blockade und wird ein passiver Betrachter sein, dessen Hände gebunden sind und der in diesem Moment so gut wie nichts tun kann.

Genau an diesem Punkt war ich angekommen, zwei Monate, bevor ich meine Doktorarbeit abgegeben habe. Ich war kurz davor, die Arbeit abzuschließen. Obwohl ich eigentlich glücklich über meine Erfolge sein sollte, war ich stattdessen so verzweifelt und zweifelte, ob ich jemals fertig werden würde. Es ging mir in dieser Zeit einfach sehr schlecht.

Gerade in solchen Zeiten spielt das Umfeld eine wichtige und motivierende Rolle. Sei es z. B. durch Aktionen, Anrufe oder nette Gesten von Freunden bzw. Nachbarn oder vieles mehr. An dieser Stelle möchte ich Ihnen erzählen, wie ich aus meiner schwierigen Situation, und auf ganz einfache Art und Weise, rauskam: Eine einfache Postkarte, die ich von meiner ehemaligen Mitbewohnerin und guten Freundin von mir bekommen habe, hat meine Verzweiflung und Überforderungsgefühle in die richtige Richtung gelenkt. Darauf war ein Berg mit einem Mensch zu sehen, dessen Ziel war, den Berggipfel zu erreichen. Auf der Karte stand nur ein kurzer Satz: „Ich glaube an dich und ich weiß … Du schaffst das!“

Das war für mich dieser Moment der Veränderung oder sozusagen der Motivationsgeber. Ab da ging ich meinen Weg mit neuer Energie weiter, den Berg hinauf.
Genau hier sehe ich die unterstützende Funktion der Gesellschaft und den Zusammenhalt der Menschheit. Diese kleinen Gesten sind ganz wichtig, denn sie geben einem den Impuls, den man braucht und können als Motivationsschub für die Zielerreichung wirken.

Den Wegen der Unterstützung sind ja meiner Meinung nach keine Grenzen gesetzt. Jeder in dieser Gesellschaft kann einen Beitrag dazu leisten, wenn man es möchte. Das ist eine persönliche und freie Entscheidung.

Oldenburg hat zwar oft ein mieses Wetter, das ist leider eine Tatsache, aber dafür ein warmes lebendiges Herz! Seitdem ich in Oldenburg bin und selbst, bevor ich der Sprache mächtig war, bin ich so vielen tollen Menschen begegnet, die mich begleitet und unterstützt haben. Meine Nachbarn, meine Freunde und manchmal auch Fremde und neue Leute. An dieser Stelle möchte ich meinen besonderen Dank den Uni-Lotsen der Universität Oldenburg aussprechen. Alle haben etwas gemeinsam: Sie waren offen, freundlich, herzlich, mutig, sie haben Zeit, aber auch Geduld, sie haben Wissen und teilten es gerne. Sie haben vor allem Vertrauen zu den Menschen und wollten gerne etwas geben ohne jegliche Erwartung oder Gegenleistung. In anderen Worten: Sie sind Menschen mit dem Herzen am rechten Fleck. In diesen kleinen aber wichtigen Gesten, die von diesen Menschen kamen, sehe ich Jesus und die kirchlich verankerte Erziehung, die man in einem einzigen Wort fassen kann und zwar in dem Wort „Geben“.

Mit diesem Wort beende ich meinen kurzen Vortrag und bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Dr. Tamara Alchammas

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