Dr. Urte Bejick – Theologin, Referentin für Seelsorge mit älteren Menschen

Dr. Urte Bejick für die Jahrestagung des Konventes Evangelischer Theologinnen vom 14.-17. Februar 2016 in Bad Herrenalb

Nach Margarete Blarer sind zahlreiche diakonische Einrichtungen der Jugend- und Altenhilfe im süddeutschen Raum benannt.

Margarete Blarer wurde 1493 in Konstanz geboren. Die Familie Blarer stammte aus ursprünglich aus Thurgau, gehörte zu den wohlhabenderen und war im Rat der Stadt vertreten. Margaretes Brüder Thomas (1501-1567) als Bürgermeister und Ambrosius (1492-1564) als Prediger waren maßgeblich an der Reformation der Stadt Konstanz beteiligt.

Margarete Blarer führte eine reiche Korrespondenz, sie las und kommentierte theologische Schriften, ermöglichte ihrem Bruder durch Geschäfte im Leinenhandel eine ungestörte, unbesoldete Tätigkeit im Dienst der Kirche und wirkte über Kindererziehung und Armenfürsorge auf die soziale Ausgestaltung der Reformation in Konstanz ein. Sie starb 1541 an den Folgen der Pest.

Ein Brief von Margarete Blarer (1493-1541)

Liebe unbekannte Schwestern,
ich kenne euch nicht und auch mein Name wird euch nach Jahrhunderten nicht mehr viel sagen. Was liegt auch an einer Margarete! Aber ich hoffe doch sehr, dass sich die Lehre unseres verehrten Dr. Martin Luther bis zu euch rein erhalten hat, wenn auch in der etwas vernünftigeren, moderneren Auslegung, wie sie unsere lieben Brüder und Schwester in Zürich vertreten. Gibt es die Schweiz überhaupt noch? Und ist es so, dass bei euch die Frauen Theologie studieren und sogar auf die Kanzel steigen? Erasmus von Rotterdam hat das damals gesagt- ja, ich habe ihn selbst kennen gelernt.

Aber ich erzähle mal von Anfang an: Ich heiße Margarete Blarer und bin 1493 geboren. Mein Vater Augustin Blarer war Leinenhändler in Konstanz, saß auch im Rat der Stadt. Ich habe eine Schwester Barbara und zwei Brüder: Thomas und Ambrosius. Mein Vater hat gerne gelesen und gemeint: Wenn die beiden Buben Latein lernen, warum nicht auch Margarete? Drüben in Italien lassen die großen Familien jetzt auch ihre Töchter die studia humanitatis betreiben- unsere Margarete kann das auch. Natürlich konnte ich das- manchmal war es langweilig und schwer, aber doch so interessant, eine andere Sprache, eine andere Denkweise kennen zu lernen. Lernen die Mädchen bei euch Latein? Das ist so wichtig, denn nur wer in meiner Zeit Latein oder gar das Altgriechische konnte, konnte überhaupt in gelehrten Kreisen mitreden. War eine schöne Zeit.

Na, so mit 16 oder 17 hatte ich nicht mehr die rechte Lust dazu. Andere Mädchen heirateten- wollte ich nicht, nie. Ich meine, ich hatte mit Erasmus höchstselbst diskutiert und dann soll ich plötzlich einem Ehemann gehorchen? Dann geht halt ins Kloster, hieß es. Von wegen, will ich auch nicht. Meinem Bruder Ambrosius gefiel es ja auch nicht da.

Und dann kam alles auf einmal: Thomas hatte uns von seinem Studienort Wittenberg die Schriften dieses Martin Luther geschickt und dann stand Ambrosius vor der Tür und war auf einmal aus dem Kloster geflohen. Ich versteckte ihn auf dem Dachboden. Und dann ging es so schnell: Die Lehren des Martin Luther verbreiteten sich hier in Konstanz in Windeseile, die Bürgerschaft vertrieb den Bischof nach Meersburg, Thomas wurde Bürgermeister und Ambrosius Prediger. Leider konnte unser lieber Vater das nicht mehr erleben. Aber nach Vaters Tod habe dann ich das Leinengeschäft übernommen- Ambrosius war ja kein ordentlich angestellter Prediger und so konnte ich ihn finanziell unterstützen. Gern hätte ich selbst auch mal gepredigt- aber es war immer so viel zu tun.
Das Geschäft, die Haushaltung- meine alte Mutter und Ambrosius lebten ja noch im Haus und dann hatten wir ja ständig Besuch: von anderen Predigern und Gelehrten, von Flüchtlingen aus dem papistischen Italien.

Gelesen habe ich natürlich weiterhin- Schriften von Melanchthon und Luther, auch wenn dessen nördlicher Dialekt doch etwas schwer zu verstehen war, hier im Alemannischen. Aber ich war doch froh, dass die Schriften auf Deutsch waren, zum Übersetzen hatte ich nicht mehr die Zeit. Mein Vater hatte uns Kinder gelehrt, von unserem Reichtum den Armen zu geben. Das wollte ich fortführen- nur eben so, wie Dr. Luther das gesagt hat: den wirklich Armen. Wer arbeiten kann, dem soll Arbeit vermittelt werden. So habe ich das auch gehalten. Bloßes Almosengeben aus schlechtem Gewissen ist kein Verdienst. Fromme Werke machen nicht gerecht. Deshalb hat der Rat der Stadt auch nach und nach die Klöster aufgelöst. Mit den Nonnen vom St. Peter-Kloster hatte ich immer guten Kontakt- die wollten ihre männlichen Beichtväter los werden. Klar, habe ich das kräftig unterstützt. Dass dann auch die Beginengemeinschaften aufgelöst wurden, das hat mich doch etwas bedrückt. Wer sollte denn für die Kranken und Sterbenden sorgen? Aber ich greife vor.

Zunächst mal: Ulm 1531- da war ich gerade 38 Jahre alt. Wir hatten Verwandte in Ulm besucht und wollten zurück reiten, als es hieß, Margarete, den musst du kennen lernen. Da kam so ein Männlein- Herr Martin Bucer, Prediger in Straßburg. Von dem hatte ich gehört- war ja der erste Priester, der geheiratet hatte. Ein Skandal war das gewesen. Und er hat mich gleich drauf angesprochen, warum ich nicht verheiratet sei. Dem hab ich gleich mal eine Antwort gegeben! Als ob ich einen Meister und Herrn bräuchte! Er hat mir dann von Straßburg aus geschrieben und sich ganz lieb entschuldigt und mir gleich noch Bücher von Luther und eigene Schriften beigelegt. Ist ein sehr freundlicher und gelehrter Mann, wenn auch etwas weltfremd und leichtfertig. Aber ich freue mich so, mich mit ihm regelmäßig auszutauschen. Den Rhein runter und zurück- das geht ja so schnell heute mit der Post. Und dann hat er mir noch dringend geraten, mein Lateinstudium wieder aufzunehmen. Ich habe mir gleich einen Privatlehrer genommen- ich kann noch so viel, kein Problem. Und dann hat er mir auch noch geschrieben, ich soll doch Griechisch lernen, damit ich das Neue Testament in Original lesen kann. Das ist wahr, das muss eine gelehrte Frau können. Bloß dann hat mein lieber Bruder interveniert: die Vorbereitung seiner Hochzeit, der Haushalt, der Handel! Zum Lernen braucht man eben auch freie Zeiten für sich. Auch sonst haben diese beiden Männer, die ich beide sehr liebe, gerne zusammen gehalten.

Eine Zeit habe ich mir mit Katharina Schütz geschrieben, dieser Frau aus Straßburg, die sogar eigene fliegende Blätter drucken lässt. Auf Deutsch, sie kann ja kein Latein. Und natürlich haben wir theologische Fragen disputiert und uns auch mal gestritten und dann schreibt mir der liebe Martin, ich soll diesen Frauenzank sein lassen. Was heißt da Frauenzank- bei den Männern heißt das ein theologischer Disput und ich wir Frauen werden uns ja wohl auch mal uneins sein können. Und die ewige Suche nach einem Ehemann für mich- 40 Jahre habe ich es gut und lustig alleine geschafft. Wenn dann aber mal jemand auftauchte, den ich nicht ganz so übel fand – wir hatten da jenen jungen Flüchtling aus Italien im Haus, ehemaliger Mönch, nein, dann heißt es gleich: der ist aber 10 Jahre jünger, das gehört sich nicht. Und solche Männer nennen sich selbst „reformatorisch“!

Und ihr, Schwestern? Habt ihr das überwunden oder müsst ihr auch so etwas noch hören? Nein, das kann ich mir nicht denken, ich glaube, es ist alles eine Frage der Zeit und in 10 Jahren oder wenn es hoch kommt 20 dürften doch wir Frauen über so was hinweg geschritten sein.

Aber sonst bin ich dem Martin Bucer und seiner lieben Frau Elisabeth sehr zugetan. Ich versuche immer, ihnen auch finanziell zu helfen, so ich kann. Nur in letzter Zeit schreiben wir etwas seltener. Es ist so, dass ich den Dr. Luther sehr verehre, aber manchmal ist es auch unverständlich und schlicht falsch, was er schreibt. Und lässt sich nicht belehren!

Die gelehrten Männer in Zürich sagen, dass beim Mahl des Herrn dessen Gegenwart in unserer Mitte entscheidend sei. Das leuchtet ein. Aber er, der Luther, macht da einen Rückzug, ist fast schon wieder katholisch in seinem Verständnis. Dieses Einknicken machen wir hier in Konstanz nicht mit- da bin ich mir mit meinen Brüdern einig. Aber er nun, der liebe Martin Bucer : Nein, man müsse doch diplomatisch sein, und man könne das Ganze doch auch so deuten und ich solle mit meinen Brüdern reden. Der liebe Martin in seiner Einfalt aber auch- jedes Zugeständnis holt womöglich den Bischof nach Konstanz zurück. Das wollen wir nicht, wir wollen eine freie christliche Stadt wie die in Zürich auch.

Aber was sollen solche Streitereien? Im Jahr des Herrn 1537 bin ich dann schwer erkrankt. Aber ich habe es ja überstanden. Und dann gab es noch diesen Betrugsskandal im Leinenhandel! Zwei Mitglieder unserer Gesellschaft „Zur Katz“ hatten größere Summen veruntreut und wir, die vermögenden Blarers. Sind auf einmal fast arm. Ich habe das Geld dann in Grundstücke in der Schweiz angelegt. So ein Landgut kann einen zur Not ja ernähren. Aber das Geld…wichtig ist doch die Freundschaft, der Zusammenhalt und gegenseitige Hilfe. Ich habe dann, wie in der Vergangenheit auch, verwaiste Kinder in unserem Haus aufgenommen und sie unterrichtet, vor allem die Mädchen, damit die schreiben lernen. Und beten.

Im Augenblick mache ich mir so Sorgen um Martin Bucer und die Seinen. In Straßburg herrscht die Pest. Auch hier in Konstanz hat es erste Erkrankungen gegeben. Jetzt rächt es sich, dass die Beginengemeinschaften aufgelöst wurden. Aber unser Rat der Stadt hat – ganz christlich- darauf bestanden, dass alle Prediger in der Stadt bleiben und die Kranken trösten. Auch in meinem Haus ist ein kleines Mädchen erkrankt. Ich werde es nicht vor die Tür setzen. Ich gehe auch täglich auf die Bodenseeinsel, ins Pestspital, um die Kranken zu pflegen und ihnen beizustehen. Ich denke, das ist uns doch aufgegeben.

Ich habe doch solch ein reiches Leben gehabt- voller Bücher, Gespräche, Briefe, voller Feste und Gastmähler. Mit den gelehrtesten Männern und auch Frauen habe ich diskutiert. Und jetzt will ich auch diesen Armen beistehen.
Ob von mir mal eine Spur bleiben wird? Ich weiß es nicht.

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