Edda Bosse – Präsidentin der Bremischen Evangelischen Kirche

Tischrede von Edda Bosse, Präsidentin der Bremischen Evangelischen Kirche beim 3. Oldenburger Frauenmahl am 28. Oktober 2016 im Lambertus-Saal der St. Lamberti-Kirche
 
Liebe Gastgeberinnen und Mit-Gäste am heutigen Oldenburger Frauenmahl!
Als siebte und letzte Rednerin darf ich eine Geschichte erzählen. Nehmen Sie es als Gute-Nacht-Geschichte für den Heimweg oder als Dank-Geschichte an die Ausrichterinnen dieses besonders schönen, inspirierenden Abends oder denken Sie an die bedeutungsträchtige Zahl Sieben aus Bibel, Märchen oder Mythos. Es wird meiner Erzählung aber kein: „Es war einmal“ vorangestellt sein und damit in den tiefen Brunnen der Vergangenheit geschaut, sondern quicklebendige Gegenwart geschildert, die verbunden ist mit ganz viel Hoffnung auf Zukunft in Geschwisterlichkeit.
Ich war in Afrika. In diesem Jahr im April reiste ich mit dem Generalsekretär der Norddeutschen Mission und Vertretern der Reformierten Kirche – der Oldenburger Bischof konfirmierte seine Tochter und konnte dieses Mal nicht mitkommen – nach Ghana und Togo. Die evangelisch/ presbyterianischen Kirchen beider Länder sind Partnerkirchen der Norddeutschen Mission, schon seit langer Zeit in einer sehr wechselvollen Geschichte.
Togo war unsere zweite Station. Das einwöchige Programm mit Konferenzen, Gesprächen, Begegnungen und Projektbesichtigungen war täglich vollgepackt, vom frühen Morgen bis Sonnenuntergang, der ja zwischen halb sieben und sieben Uhr abends sehr schnell geschieht. Der Tag geht, die Nacht kommt – dazwischen gibt es keine Dämmerstunde, in der das Gewesene sich in mildem Licht langsam verabschiedet, Farben und Kontraste sanft ineinander übergehen und das Tempo aller Aktivitäten sich allmählich reduziert.
Darum ratterte und schaukelte unser Toyota-Van auch in rasanter Fahrt über die rotsandige Piste von Schlagloch zu Schlagloch durch die Savanne, ließ unsere Köpfe gegen die Decke knallen und die Knochen im Gerippe klappern. Denn wir wollten vor Einbruch der Nacht unbedingt noch Messiwobe erreichen, wo eine Gruppe von Männern und Frauen einen Gemüsegarten geschaffen hat. Wir hatten den Besuch versprochen und sie warteten auf uns – das Versprechen mussten wir halten. Ein kleines Projekt, keine Schule, kein mittleres Unternehmen, keine Brunnenbohrung oder Medizinstation, nein, eine kleine dörfliche Initiative mitten im Nirgendwo. Und wir waren spät dran.
Wir stoppten vor der Brücke über einen Fluss. Wie darüber kommen? Die Straße war unterhöhlt und ausgewaschen, ein paar zusammengelegte Stöcke versprachen keine stabile Unterlage für ein Auto.
Wir stiegen aus und balancierten rüber. Und da standen sie schon – ein bisschen besorgt und mit der vorweggenommenen Enttäuschung, dass wir nicht mehr auftauchen würden: junge Frauen und Frauen mittleren Alters, ein paar Kinder hüpften drum herum; Männer, jünger und etwas älter. In einem Korb gackerte ein Huhn. Und mit etwas Abstand zur erwartungsvollen Gruppe, eine ganz Alte, die sich auf einen Stock stützte und ein ebenso alter Mann, zahnlos, dürr, mit dünnem Bart und einem Hut auf dem Kopf. Während die Gruppe sich bei unserer Ankunft sofort in einen Jubelchor verwandelte, uns die Hände schüttelte, und bonjour, bonjour und merci merci rief, uns nötigte unsere Schuhe auszuziehen und aus dem Gebüsch Gummistiefel hervorzauberte, tanzte und sang und uns dabei auf einen schmalen Pfad durchs Gebüsch lotste, standen die beiden Alten regungslos und mit einer ehrfurchtgebietenden Würde, die mich sofort tief beeindruckte, da und sahen uns an. Mit Abstand schlossen sie auf und folgten in ihrem eigenen Takt.
Aus dem Buschwerk heraustretend erschloss sich uns eine weite beackerte und bebaute Fläche, von Laubbäumen umsäumt und einen weiten Blick auf das leicht ansteigende Gelände frei gebend. Da standen plötzlich dicke Kohlköpfe in perfekten Reihen im fetten Boden, da sah man feste, erntereife Salatköpfe – „et voilà les aubergines, le paprika, regardez, les tomates“ – wurden unsere Blicke geleitet.
Oben weiter versuchten sie es gerade mit Gewürzen: Ingwer, Pfeffer und auch Peperoni oder Okra gediehen hier gut.
Zwischen den Laufpfaden der Beete liefen die Frauen und Männer, die sich in diesem Projekt zusammengetan hatten und erzählten, gestikulierten, sangen und ihre Augen blitzten vor Stolz. Denn sie spürten unsere Bewunderung und unser Erstaunen, unsere Mit-Freude – eben waren wir stundenlang durch Sand und Dürre gefahren und nun dies! „C’est un Jardin du Paradis“ entfuhr es mir, ein Paradiesgarten. Was habt ihr hier mitten in der Wildnis gemacht? Das Dorf lag nicht weit entfernt, das Land, das sie bebauten, war kircheneigenes. Die Kirche hatte es zur Verfügung gestellt, beim Roden und Urbarmachen geholfen und die Dorfgemeinschaft hatte es zum Gemüsegarten gemacht, der dem eigenen Bedarf diente. Endlich frisches Gemüse, endlich der Mangelernährung vorbeugen, endlich den Kindern zum Wachstum das geben, was sie benötigen.
Und es wuchs mehr daraus. Der nahe gelegene Fluss ermöglichte eine kontinuierliche Bewässerung, die Pumpe bezahlte die Norddeutsche Mission. Die guten Wachstumsbedingungen ermöglichten plötzlich mehrere Ernten im Jahr – das Dorf würde über den eigenen Bedarf hinaus Gemüse verkaufen können auf den umliegenden, dennoch weit auseinanderliegenden Märkte. Vitaminreiches, gesundes, biologisch angebautes Gemüse. Aber zu Fuß nicht zu erreichen. Ein Fahrzeug wäre nötig. Ein kleines dreirädriges Fahrzeug mit großer Ladefläche wäre vonnöten, ein Töff-Töff, wie die Experten sagen. Sie würden ihr Gemüse verkaufen können und damit Geld verdienen – Geld, das sie für die Reparatur ihrer Häuser gebrauchen können, für Möbel und Geräte, für den Schulbesuch ihrer Kinder … für so Vieles!
Ich spürte in diesem Augenblick: Dieser Jardin du Paradis, das ist DEIN Projekt, das ist DEINE Brücke nach Afrika, das ist jetzt DEINE Mission – für diese Geschwister in Christo, für ihren Fleiß, ihre unbändige Energie, ihren Glauben an ihre Zukunft, ihr Recht auf Teilhabe – als unsere gemeinsame Verantwortung für diese Welt. Und ich sah die beiden Uralten, die am Rand des Feldes standen, mit großer Stille dem Trubel zusahen und dem Ganzen aus den Augen ihren Segen gaben.
Die Gesichter der Gärtnerinnen und Gärtner, ihre tiefe, unbändige Freude an dem, was sie uns zeigten, das Ergebnis ihrer Überlegungen, ihrer gemeinschaftlichen Entscheidungen und ihrer Hände Arbeit, die dicken Kohlköpfe und die herrlichen Tomaten haben mich bis heute nicht losgelassen. Liebe Damen, es geht nicht mehr um Entwicklungshilfe, sondern um das Einstehen und Dankbarsein für diese Schöpfung – auf Augenhöhe.
 Im Sommer hatte ich Geburtstag und lud meine Familie und viele, viele Freundinnen ein. Ich habe von Afrika erzählt und vom Paradiesgarten und wir haben das Motor-Dreirad zusammengesammelt.
Vielleicht ist es jetzt schon unterwegs nach Messiwobe in Togo – in Einzelteilen. Die Männer möchten es selbst zusammenbauen, damit sie genau wissen, wie alles zusammengehört – Reparaturen gibt’s immer. Dies ist eine Geschichte von der Reformation und der Einen Welt und zugleich eine Geschichte vom Sichtbarwerden der bedingungslosen Liebe Gottes.
 
Vielen Dank!

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