Tischrede beim Frauenmahl am 30.10.2015 im Historischen Rathaussaal der Stadt Nürnberg
Theologin sein im 21. Jahrhundert – Erreichtes feiern – Zukünftiges gemeinsam gestalten
Die Lizenz zum Leben
Els Dieterich:
„Mein Name ist Dieterich, Els Dieterich, ich habe die Lizenz zum Leben!
Nicht als Agentin des britischen Geheimdienstes, sondern als Theologin, als Pfarrerin und vor allem als Jüngerin Jesu habe ich die „Lizenz zum Leben“. Hineingeboren in eine württembergische Pfarrersdynastie bin ich die erste Frau seit 7 Generationen, die den Beruf der Pfarrerin ergriffen hat.
Zu verdanken habe ich diese Tatsache den christlichen Grundüberzeugungen meiner Eltern, für die das christliche Erbe bindende Kraft hatte. Der paulinische Grundsatz aus Gal 3,28 galt für alle Lebensbereiche. Mit milder Herablassung begegneten wir sexistischen oder rassistischen Äußerungen, die allenfalls „um der schwachen Brüder“ ertragen, oft aber energischen Widerspruch hervorriefen – zumindest aber ernteten sie österlichen Spott.
Meiner Mutter und Großmutter verdanke ich ein starkes Bewusstsein für die Würde einer Frau:
Weiblichkeit ist für mich nie mit einem Makel oder Manko verbunden gewesen, eher im Gegenteil die Chance, über einen riesigen Schatz an Intuition und Kreativität zu verfügen. „Typisch weibliche Eigenschaften“ wie die Lust am Schmücken – vom eigenen Körper über Haus und Hof und auch Kirche und Gemeinde, die Lust am Gestalten, Charme und Einfühlungsvermögen, die Fähigkeit, mehr als eine Sache gleichzeitig zu meistern, habe ich immer als positives Plus angesehen.
Die Entscheidung, Theologie zu studieren und Pfarrerin zu werden, lag Ende der 70er Jahre nahe: die Gleichstellung von Frau und Mann im Pfarramt war durchgesetzt. Die Bildungsoffensive der SPD öffnete allen das Hochschulstudium. Meine Eltern waren stolz auf ihre studierenden Töchter. Das Studium faszinierte mich durch seine Vielfältigkeit. Gewiss begegnete mir immer wieder ein eher bornierter, meist ahnungsloser Sexismus – eben die „schwachen Brüder“, mitunter waren auch „schwache Schwestern“ darunter.
Dass meine Weiblichkeit im Beruf eine Rolle spielen könnte, war eine Überraschung: zumindest Mitte der 80er Jahre war das in der Ausbildungsgemeinde noch ein Problem: Das flehentliche Gebet, doch ja keine Ausbildungsvikarin zu bekommen, wurde mit meinem Kommen beantwortet: Gott hat eben Humor! Der weibliche Körper unter dem Talar weckte so manche Männerphantasie: ein Stöckelschuhverbot im Gemeindehaus wurde ausgesprochen. Und die Vorstellung, dass Frauen erst dann ans Arbeiten denken können, wenn das Treppenhaus gewischt ist, zeugt von einer so tiefen Fehleinschätzung der Prioritäten einer Frau, dass es mich schlicht zum Lachen gebracht hat. Dass „Mannsein allein noch kein Programm“ ist, genauso wenig wie „Frausein“ übrigens, hat wohl inzwischen jede Gemeinde begriffen.
Das Ordinationsgelübde gibt mir in meiner Rolle als Pfarrerin viele Möglichkeiten. Dass Gott auch unser Lassen segnet, lerne ich nur mühsam und gleiche da eher der „tatkräftigen Frau“ aus Sprüche 31 als Maria, die zu Füßen Jesu sitzt. Für mein Selbstbewusstsein im Beruf gilt dasselbe wie für meine körperliche Eitelkeit: solange ich mich im Spiegel betrachte, bin ich mir meines Aussehens bewusst.
Sobald ich aber erst einmal in Aktion bin, vergesse ich mein Aussehen, vergesse ich, dass ich Frau bin und bin stattdessen ganz bei der Sache, ganz bei meinem Tun, ganz bei den Menschen. „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“ hat der große Meister des Lebens verheißen und ich bin froh und dankbar, wenn Menschen in meiner Gegenwart „die Lizenz zum Leben“ spüren!“
Golde Wissner:
„In Anlehnung an den Geheimagentinnen-Einstieg meiner Mutter, könnte ich mich jetzt als „BondGirl“, d.h. korrekterweise als „Dieterich-Girl“ vorstellen. Allerdings hinkt die Analogie schon deswegen, weil auch ich die Lizenz habe, die Lizenz zum Leben.
Diese Lizenz wurde mir vor gut 33 Jahren verliehen. Während meine Mutter noch studierte, durfte ich – noch nicht ein Jahr alt – mit ihr gemeinsam theologische Seminare besuchen. Wer weiß, vielleicht hat das meine spätere Berufswahl schon früh beeinflusst.
In den 80er Jahren war die Frauenbewegung in Tübingen stark und ich weiß noch, wie ich im Kindergartenalter das erste Mal froh war, ein Mädchen und kein Junge zu sein. Damals wurde die Walpurgisnacht mit Kundgebungen und Demos auf dem Marktplatz gefeiert. Ich stand mitten im weiblichen Getümmel und meine Mutter erklärte mir, dass es Männern an diesem Abend verboten sei, auf den Marktplatz zu kommen. Und wenn doch einer käme, würde er in den Brunnen geworfen.
Ich verstand das alles noch nicht so genau, aber ich war stolz, dank meines Geschlechts, Teil dieser aufgekratzten fröhlichen Atmosphäre sein zu dürfen.
In den folgenden Jahren erlebte ich meine Mutter und ihren Berufsalltag so wie es vermutlich die meisten Kinder und Jugendliche tun: Nicht besonders einfühlsam und interessiert, weil man viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist. Jedenfalls hielten mich die Erfahrungen und Beobachtungen als Pfarrerinnentochter nicht davon ab, ebenfalls Theologie zu studieren und die Ausbildung zur Pfarrerin zu machen.
Eine Frau im Pfarrberuf? Das war für mich gar keine Frage. Wie unbekümmert ich an die Sache heran ging, wurde mir erst vor Augen geführt, als mich eine Kommilitonin einmal fragte: „Du, Golde, könntest du mal ein Treffen für mich mit deiner Mutter arrangieren? Ich hab so viele Fragen dazu, wie es ist als Frau im Pfarrberuf!“ Ich war verblüfft. Fragen und Pfarrberuf = ja. Aber, dass das FRAUSEIN das Problem sein könnte, das hatte ich bisher fröhlich ausgeblendet.
Natürlich bin ich heute, nach den ersten Berufsjahren, nicht mehr ganz so unbekümmert. Aber bestimmt gelassener als die Frauen damals auf dem Marktplatz in Tübingen bei der Walpurgisnacht.
Und doch bin ich ihnen und besonders der einen hier an meiner Seite unendlich dankbar, dass sie mit ihrem Engagement das Frausein im Pfarrberuf zu einer solchen Selbstverständlichkeit gemacht haben.
Über 50 % der Theologiestudierenden sind heute weiblich. Mehr als die Gleichberechtigung im Amt ist die Vereinbarkeit von Familie und Pfarrberuf das Thema, das viele Theologinnen und Theologen in meiner Generation umtreibt. Auch mich, die ich bereits zwei kleine Kinder habe. Die Bedürfnisse des Partners, der Kinder und der Gemeinden gleichzeitig unter einen Hut zu bringen – darf nicht nur die persönliche Herausforderung sein, sondern muss zunehmend auch von der Kirche angegangen werden, damit alle Beteiligten lebensfroh bleiben.
Denn – egal ob Frau, ob Mann – wer seines Lebens froh ist, kann die Lizenz des Lebens weiter sagen, die frohe Botschaft des Lebendigen: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“