#entscheide ich

Interview mit Margot Papenheim

1. #entscheidedich lautet der Aktions-Hashtag zum Tag der Organspende am 5. Juni. Was halten Sie davon?

Die Aufforderung #entscheidedich ist zweifellos zu begrüßen. Auch im Jahr 2020 erfolgten in Deutschland noch fast acht von zehn Entnahmen von Spendeorganen aufgrund eines lediglich mündlich erklärten oder vermuteten Willens der Spender:innen. Wenn es überhaupt keinen Anhaltspunkt für die Spendebereitschaft gab, trafen Angehörige diese Entscheidung selbst. Das heißt: Eine Entscheidung für oder gegen Organspende im Fall des Falles treffen noch immer viel zu wenige Menschen. Und das, obwohl in den letzten Jahren zahllose Debatten geführt, Gesetze verändert und Werbekampagnen für die Organspende lanciert wurden.

2. Warum stagniert die Spendebereitschaft?

Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Es wird zum Beispiel immer wieder behauptet, dass die Menschen sich eben einfach nicht mit ihrem Tod auseinandersetzen wollen. Unsere Erfahrung aus zahllosen Gesprächen ist das nicht. Ich denke, dass es viele Gründe dafür gibt. Einer davon ist die – unberechtigte – Sorge, als Organspender:in nicht mehr selbst ausreichend medizinisch behandelt zu werden. Ein anderer die Befürchtung, dass eine durchgeführte Organspende ein gutes Sterben in Würde verhindert.

3. Wie lässt sich die Entscheidung für oder gegen eine Organspende überhaupt gut treffen?

Zwei Bedingungen sind besonders wichtig für eine gute Entscheidung: Sie muss gut informiert und freiwillig getroffen werden. Oft hapert es an beidem.

Die Informationen umfassen eben auch schwierige medizinische und ethische Fragen, die nicht von vornherein ausgeblendet werden können. Und mit der Freiwilligkeit ist das oft auch so eine Sache: Wenn zum Beispiel moralischer Druck aufgebaut wird, wenn etwa in kirchlichen Kreisen allzu kurz vom Gebot der Nächstenliebe auf eine vermeintliche ethische Verpflichtung zur Organspende-Bereitschaft geschlossen wird. Oder wenn mit Blick auf die Zielgruppe junger Menschen deren Lust auf „Held:innen sein“ getriggert wird.

4. Sie haben selbst mit einem Team vor acht Jahren ein umfangreiches Positionspapier sowie eine Kampagne Thema Organspende erarbeitet. Was wollten Sie erreichen?

Wir haben damals Forderungen für eine veränderte Praxis bei der Organspende formuliert – unter anderem, dass die Entnahme der Spendeorgane grundsätzlich unter Vollnarkose erfolgt. Denn es ist nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass hirntote Menschen bei der Organentnahme keine Schmerzen mehr empfinden können.

Inzwischen ist offiziell nicht mehr von „Hirntod“ die Rede. Laut deutschem Transplantationsgesetz muss der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms festgestellt werden. Das ändert jedoch nichts daran, dass begründete Zweifel bestehen, ob ein Mensch in diesem Zustand bereits endgültig tot ist. Nach unserem Verständnis sind „Hirntote“ vielmehr – unumkehrbar – sterbende Menschen. Tot sind sie erst, wenn nach Beenden der Beatmung im Krankenbett oder auf dem Operationstisch auch die noch aufrecht erhaltenen körperlichen Funktionen erlöschen oder die Organe entnommen sind.

5. Die angesprochenen Differenzierungen sind auf dem herkömmlichen Organspendeausweis nicht vorgesehen. Warum eigentlich nicht?

Weil laut Definition der Bundesärztekammer Menschen mit Hirntodsyndrom Tote sind. Die Evangelischen Frauen in Deutschland sehen das anders. Darum sind deren alternativen Organspendeausweise zwei Ausweise in einem: Sie trennen die Erklärung zur Organspende nach „Hirntod“ von der Erklärung zur Gewebespende nach dem Eintritt des Todes. Denn anders als Spendeorgane werden Gewebe tatsächlich Leichnamen entnommen, teilweise bis zu 72 Stunden nach Eintritt des Todes. „Anders“ ist auch, dass die Gabe einer Vollnarkose zur Bedingung für eine Organentnahme gemacht werden kann. Und, dass im Fall des Falles eine andere Person der Organspende noch einmal ausdrücklich zustimmen muss – oder ihr eben auch widersprechen kann. Denn am Ende müssen die Angehörigen mit einer vollzogenen Organspende gut weiterleben können. Auch das kann eine Frage der Nächstenliebe sein, das bei der eigenen Entscheidung für Organspende zu berücksichtigen.