„Es geht derzeit um existenzielle Fragen“

Die Politikwissenschaftlerin und Journalistin Antje Schrupp ist eine der wichtigsten feministischen Stimmen im Internet – und sitzt im Präsidium der Evangelischen Frauen in Deutschland. Hier spricht sie über evangelische und politische Perspektiven. | Interview: Anne Lemhöfer


Liebe Frau Schrupp, die politische Lage ist zu Beginn des Jahres 2025 unübersichtlicher denn je, die Debatten werden scharf geführt – und eines der wichtigsten feministischen Anliegen, die Abschaffung des Paragrafen 218, schafft es aller Voraussicht nach vor den Neuwahlen am 23. Februar nicht mehr zur Abstimmung in den Bundestag. Sind Sie desillusioniert?

Ich bin enttäuscht, ja. Die größte Enttäuschung ist dabei die Haltung der FDP. Die Partei steht nicht mehr für Liberalismus und Selbstbestimmung, es geht nur noch um Populismus, wie so oft in diesen Tagen. Von ihren Werten her müssten die Liberalen für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen stimmen, sie blockieren aber den Gesetzentwurf zur Abschaffung des Paragrafen 218 aber nicht nur, sondern agitieren geradezu dagegen. Mit Tricksereien versuchen sie, den formalen Weg des Papiers zu verhindern. Die Ampel hätte sonst ja die Mehrheit dafür gehabt. Mehr Verständnis habe ich da für die ablehnende Haltung der CDU/CSU-Fraktion, auch wenn ich sie nicht teile. Sie rührt eben aus deren meiner Meinung nach zwar verfehlten, aber weit verbreiteten christlichen Tradition.

Glauben Sie, dass der Vorstoß und das Engagement so vieler Feministinnen und Verbände, darunter EFiD, die Debatte trotzdem weitergebracht hat?

Ja, das glaube ich. Allein die intensive Diskussion über das Thema hat, so empfinde ich das, zu einer gewissen Neuausrichtung gerade in kirchlichen Verbänden, mit Abstrichen auch im Rat der EKD geführt. Ich bin mir sicher, dass nicht nur die meisten evangelischen, sondern auch eine Mehrheit der katholischen Frauen inzwischen für eine Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch ist. Die Diskussion hat auch dazu geführt, dass nicht länger nur über das Lebensrecht von Embryonen gesprochen wird, sondern dass jetzt klar ist, dass wir eine Trennung von ethischen Positionen und politischen Gesetzen brauchen. Das ist eine spannende inhaltliche Debatte, wie es sie lange nicht mehr gab.

Wie könnte der Diskurs jetzt weitergehen?

Mich erreichen im Moment öfter Anfragen von Gruppen, etwa des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung in Berlin, die daran interessiert sind, auch das bürgerliche, konservative Spektrum mit Argumenten zu überzeugen. Denn es geht ihnen in der Debatte eben nicht darum, zwei Fronten zu verhärten, die nicht zueinanderfinden können. Sie wünschen sich einen politischen Austausch im besten Sinne, in dem der Wahrnehmung nach nicht nur die radikalen Feministinnen auf der einen und ein verbohrtes konservatives Milieu auf der anderen Seite stehen. Das freut mich sehr, und für einen solchen inhaltlich fundierten Austausch steht auch EFiD.

Wie stark ist dieses konservative Milieu im Umfeld der Kirchen?

Die evangelische Kirche repräsentiert traditionell ein sehr bürgerliches Milieu, das ist in den 1980er Jahren ein bisschen aufgebrochen, als die Positionen linker wurden. Allerdings ist dieses ursprüngliche Milieu immer noch stark vertreten und es besteht im Moment die Gefahr, dass Teile davon nach rechts rücken und für Rechtspopulismus empfänglich werden. Es ist eine große christliche Aufgabe, diese Gefahr einzudämmen, vielleicht die größte Aufgabe unserer Zeit.

Wie könnte das zu schaffen sein?

Es ist ein Balanceakt. Denn wir müssen gleichzeitig unsere eigenen Positionen standhaft vertreten und trotzdem gesprächsbereit bleiben. Mit wem sprechen wir, und mit wem nicht? Wir müssen in jedem Einzelfall rote Linien neu verhandeln. Das verlangt viel Fingerspitzengefühl, gerade in ländlichen Regionen und in den ostdeutschen Bundesländern. Aber es führt kein Weg daran vorbei, denn wir erleben gerade die schleichende Normalisierung des Faschismus. Im Vergleich zu den Themen, über die wir uns früher die Köpfe heiß geredet haben, geht es heute um existenzielle Fragen.

Wie weit kommt man mit guten Argumenten?

Ich glaube, wir müssen uns auch klar machen: Menschen, die politische Entscheidungen treffen, treffen sie nicht unbedingt, weil sie sich lange und ausgiebig mit einem Thema beschäftigt haben. Da ist viel Mitläufertum dabei, Menschen sagen, was sie bei anderen Menschen hören. Gerade deshalb ist es wichtig, mit den eigenen Positionen sicht- und hörbar zu werden und sich deutlich vom Rechtspopulismus abzugrenzen. Die Kirchen eiern da manchmal zu sehr herum.

Inwiefern?

Auf christlichen Social Media Accounts liest man ganz viele sanfte Sinnsprüche, auf die sich alle einigen können, sozusagen als kleinste gemeinsame Nenner. Die Menschen suchen aber nach klaren Botschaften. Es ist allerdings nicht leicht, die in eine zutiefst gespaltene Gesellschaft hinein zu kommunizieren. Klare Positionen für Menschlichkeit und Selbstbestimmung, wie sie auch EFiD vertritt, müssen aber manchmal auch wehtun.

Antje Schrupp (60) ist unter anderem Redakteurin der Zeitung „Evangelisches Frankfurt“ und bezieht in zahlreichen Online-Zeitungen, -Portalen und Blogs aus feministischer Perspektive Stellung zu aktuellen Themen. Unter anderem schreibt sie Kommentare im Zeit-Blog 10 nach 8 . Antje Schrupp ist Buchautorin und gefragte Referentin und Rednerin auf Veranstaltungen und Podien.