Impulsvortrag Frauentreff Meißen am 8.3.2015
Guten Tag, Ich freue mich dass ich hier bin.
Ich arbeite als Regisseurin in Berlin. Dokumentarfilm ist mein Schwerpunkt und meine Leidenschaft. Ich experimentiere allerdings auch mit anderen visuellen Erzählformen, wie Fiktion, Fotografie und Video als Performance-Element.
Ich bin also eine Bildschaffende und dadurch begleitet mich die Beschäftigung mit der Wahrheit im Bild ständig – die Fragestellung danach ist eigentlich berufsimmanent. Vor allem beim dokumentarischen Arbeiten. Dort besteht schließlich beim Zuschauer die Vorstellung, dass ein Dokumentarfilm die Wirklichkeit, das echte Leben, repräsentiert. Doch jeder der schon mal versucht hat ein Ereignis fotografisch oder filmisch wiederzugeben, hat das subjektive und manipulative Wesen von Bildern kennengelernt. Wie schwierig ist es, etwas so fotografisch festzuhalten wie man es sieht und fühlt, meist gibt es eine große Diskrepanz zwischen dem Erleben und der Abbildung.
Es wird sehr deutlich dass ein Foto immer ein sehr beschränkter, subjektiver Ausschnitt einer komplexen und viel größeren Realität ist, in der technische Entscheidungen einen großen Einfluss auf die Wirkung des Bildes haben.
Es spielt zum Beispiel eine Rolle, ob ich das Subjekt meines Bildes in Beziehung zu seinem Umfeld zeige oder ihn bildlich isoliere – Großaufnahme oder Totale. Die Kamerahöhe hat einen anderen Effekt: zeige ich jemand aus der Untersicht, wirkt er überzeugend, wähle ich die Aufsicht bekommt jemand eine eher zweifelnde Aura. Dann wirkt im Film der Ton und die Musik. Obwohl wir es meist nur unbewusst wahrnehmen, lesen und interpretieren Sie ein Bild vollkommen anders gelesen, je nachdem was Sie dazu hören. Im Schnitt entscheiden die Filmemacher die Abfolge und definieren durch die Länge die Intensität des Gezeigten – damit erzeugen wir Spannung, Humor, Zusammenhänge – und das oft künstlich.
Alleine die Tatsache dass Fotografen oder sogar ein Filmteam vor Ort ist, verändert die Situation vor der Kamera. Die Kamera wirkt auf manche Menschen wie ein Katalysator und provoziert untypische Handlungen, andere gehen in die Defensive und möchten nichts zeigen, bzw von sich irreversibel abgebildet haben.
All dies macht deutlich wie subjektiv und zufällig sowohl das Schaffen, wie auch die Rezeption eines Bildes ist.
Ein Bild ist immer ein Ausschnitt. Wenn wir nicht von Bildern manipuliert werden wollen, tun wir gut daran, uns immer wieder daran zu erinnern dass ein Bild keine wirklichkeitsgetreue Repräsentation von Leben ist. Leben ist vielmehr das Rohmaterial, aus welchem der Bildschaffende sein Kunstwerk formt, und auf diesem Weg hunderte Entscheidungen trifft.
Ich möchte etwas über die emotionale Kraft von Bildern sprechen. Diesen Aspekt von Bildern habe ich bereits bei meinem ersten Kurzfilm kennengelernt. Dieser Film, er heißt l’après-midi, funktionierte weitgehend über Bilder, es gab keinerlei Dialog. Er erzählt einen Nachmittag einer jungen Frau, die sich in einem surrealen Wald verläuft. Es war ein besonderer Drehort in Südfrankreich: Ein Wald mit mathematisch angepflanzten Bäumen, die verhindern sollen, dass die Sanddünen wandert. Außer den Pinienbäumen gab es kein anderes Leben und es herrschte vollkommene Abwesenheit der üblichen Waldgeräusche. In meinem Film wird nun die junge Frau angesichts der gleichförmigen Weite und sterilen Leblosigkeit des Waldes immer angstvoller. Sie rennt vor etwas davon, das zuerst nur in ihrem Kopf eine Bedrohung ist. Und plötzlich ist da auch jemand. Wie Gespenster tauchen schwarz gekleidete, gesichtslose Männer auf, die sie stumm anstarren und verfolgen.
Als der Film fertig war und ich ihn Publikum zeigte, war ich von der emotionalen Wirkung der Bilder ziemlich überrascht. Wahrscheinlich durch den fehlenden Dialog und die abstrakte Erzählweise verstärkt, füllten die Zuschauer die Lücken in der Erklärung mir ihren eigenen Gedanken und Bildern. In den anschließenden Diskussionen merkte ich, dass bei den Zuschauern ein persönliches Erleben stattgefunden hatte.
Dem Bild immanent ist eine Wechselbeziehung zwischen dem Betrachter und dem Betrachteten. ,Der Betrachter macht das Bild.‘ Der Betrachter ist autonom, er füllt die Bilder für sich selbst mit Bedeutung.
Und das zeigt die eigentliche Kraft der Bilder. Wir sehen ein Bild und werden durch Gefühle wie Liebe, Angst, Trauer, Freude berührt. Wir können dadurch indirekt und doch persönlich durch ein Bild etwas über uns erfahren.
Bilder prägen uns nachhaltig. Die frühen Bilder, die uns als junge Menschen bewegt haben, kehren oft im Laufe eines Lebens zu uns zurück. Sie werden stärker und klarer, und wenn wir uns die Mühe machen, sie zu dechiffrieren, erzählen sie viel über unsere Persönlichkeit und Prägung.
In Zeiten der Bilderflut, gilt es, diesem Gefühl von einem Bild berührt zu werden, wahrzunehmen und ihm Raum zu geben. Denn dann reagieren die in uns ruhenden Wünsche, Möglichkeiten und Träume. Bilder können uns in unsere Tiefe leiten und ein Weg zur Erkenntnis sein.
Die Idee zu l’après-midi war eine Art Traumbild, das ich damals gar nicht so genau erklären konnte. Erst später konnte ich es deuten. Nämlich als mir die belastende Bürde der Frauen bewusst wurde, ständig Blicken ausgesetzt zu sein. Blicken von Männern, Blicken von Frauen, und Blicken auf sich selbst.
Deswegen möchte ich jetzt beim Thema Wahrheit in Bilder in Verbindung mit dem internationalen Frauentag auf die historische und kulturelle Darstellung von Frauen zu sprechen kommen – über "Frauenbilder" im wahrsten Sinne des Wortes. Es prägt uns nicht nur, was wir sehen sondern auch wie wir gesehen werden.
In der Geschichte der europäischen Ölmalerei gab es eigentlich nur eine Kategorie, in der Frauen immer und immer wieder vorkamen: der Akt, die schöne Frau. Wir können darin eine starke Konvention entdecken wie Frauen gesehen und bewertet wurden. Als Frau geboren zu sein heißt, in einen beschränkten Raum geboren zu werden. Ein kleines Beispiel: Vor zwei Tagen wurde zum ersten mal eine Frauenquote von 30 % für Vorstände in Wirtschaftsunternehmen gesetzlich beschlossen. Toller Erfolg, doch dennoch nur 30 %. Frauen haben, obwohl sie 50 % der Bevölkerung ausmachen, immer noch nicht die gleichen Möglichkeiten ihre Rechte auf Selbstbestimmung, berufliche Verwirklichung und Freiheit auszuleben. In meinem Berufsfeld, dem der Geschichtenerzähler, verhält es sich nicht anders.
Obwohl inzwischen 42 % Regisseurinnen an Filmhochulen abschließen, bestreiten nur 11 % Regisseurinnen im Fernsehen das Programm zur besten Sendezeit. Wenn in einer Gesellschaft 85 Prozent aller Filme von Männern inszeniert werden, reduziert das die Vielfalt erzählenswerter Geschichten, anderen Frauenbildern, neuen Rollenmodellen. Es ist problematisch dass der Genie-Begriff nach wie vor dem Mann gehört, und die Frau ist die Muse.
Dass die soziale Präsenz der Frau dennoch so groß ist, liegt an der Anpassungsgabe und dem Erfindungsreichtum der Frau sich in einer von Männern geprägten Welt zurecht zu finden. Doch wird vielen Frauen oft von frühster Kindheit an beigebracht, sich ständig selbst zu mustern und zu überprüfen. Das geht auf Kosten der Integrität – das Selbst zweiteilt sich. Viele Frauen werden die ganze Zeit vom Bild ihrer Selbst begleitet. Sie sind Beobachterin und Beobachtete zugleich. Und der Beobachter in uns selbst, ist oft ein männlicher Blick. Damit fühlen sich viele Frauen als visuelles Objekt, als Ansicht. Etwas das nach Äußerlichkeit bewertet wird, und wir alle spüren, das ist nicht richtig.
Mein transsexueller Freund erzählte mir von dem großen Unterschied als Mann durch das Leben zu gehen: Er wird einfach viel weniger angesehen, seit er nicht mehr die gutaussehende Frau ist, die er davor war. Er erzählte mir, wenn er früher als Frau einen Raum betreten hat, kuckten die Frauen – was hat sie an, wie sieht sie aus, ist sie jünger, älter, schöner – und kucken Männer – ist sie zu haben, gefällt sie mir.
Meine älteren Freundinnen erzählen mir, dass diese Blicke dann plötzlich schlagartig aufhören. Ebenfalls eine miese Erfahrung. Da bleibt nur zu wünschen, dass trotz der ganzen Blicke die Frauen nicht ihr Selbstwertgefühl über ihr Äußeres aufgebaut haben. Die Vergänglichkeit dessen wird einem spätestens dann schmerzhaft bewusst.
In diesem Fall versperrt das Bild das wir und andere sich von uns machen, die Erkenntnis, das Eigentliche zu sehen, sich selbst und den Anderen zu erkennen. Wir sollten fordern als Persönlichkeit wahrgenommen zu werden, unsere Leistungen und Fähigkeiten, ein großes Herz. Als Mensch. Als Profi im Beruf. Als Frau.
„Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. ]etzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin“.
Dieser Satz ließ mich an die Erfahrung denken, die ich bei meinem Film Global Home gemacht habe. Ich portraitierte darin fünf Menschen die Teil eines weltweiten Reisenetzwerks sind, es heißt couchsurfing. Darin bieten sich Leute an, dass sie sich auf Reisen unterstützen, indem sie den Gästen ihre Stadt zeigen, oder sie sogar bei sich zuhause aufnehmen. Geld ist dabei ausgeschlossen. Indem es dadurch kein finanzielles Interesse aneinander gibt, wird ein Teil in uns angesprochen, der Gastfreundschaft und Nächstenliebe heißt.
Ich suchte fünf Leute aus dem Netzwerk aus, die alle visionär mit der zusammenwachsenden Welt umgehen: Den Gründer des Netzwerks in San Francisco, eine spirituelle brasilianische Tänzerin in der Türkei, eine Öko-Aktivistin in der Westbank / Palästina, eine Wildtierforscherin in Tokio und einen Tuareg in Mali.
Ich wollte in diesem Film eine Chance in der Globalisierung betonen, und der Welt der schlechten Nachrichten, der angstschürenden Meldungen, der Zäune und Grenzen, etwas entgegen setzen.
Der erste Kontakt fand über Bilder statt, über Profilseiten. Einer meiner Protagonisten, ein Tuareg aus Mali, hatte neben Bilder von sich und seinem Kamel auch richtige Poser-Fotos mit Sonnenbrille im Swimmingpool. Ich spürte großes Interesse, und doch machten mich die Bilder misstrauisch. Wie leicht ist es mit Bildern seine eigene Wunschidentität zu inszenieren. Wie komme ich hinter die erste Schicht der Bilder?
Ich verlagerte die Kommunikation bald auf andere Medien, wir schrieben und telefonierten, und ich wurde wieder in meinem ersten Gefühl versichert. Als wir uns dann in Mali persönlich kennenlernten, war es als hätte ich einen fremden Freund, einen Bruder gefunden.
Die Begegnung mit einem Fremden, in denen man sich selbst erkennt gehört zu den wertvollsten Momenten auf Reisen. Diese einfache und doch so große Erkenntnis, dass Menschen überall ähnliche Wünschen und Bedürfnisse haben, entwertet all die Xenophobie die wir uns sonst erklärbar machen.
Diese Angst vor dem Fremden wird weitgehend von einseitigen Medien geschürt – meist um politische Härte zu rechtfertigen um eigene Interessen durch zu setzen.
Netzwerke wie zum Beispiel dieses Reisenetzwerk (Servas, Couchsurfing, Hospitality Club) setzen dem etwas dagegen. Es geht um eine Begegnung auf Augenhöhe.
Natürlich ist es unheimlich, wenn man zum ersten mal jemanden Fremden zu Gast hat, den man noch nie persönlich getroffen hat. Man reproduziert die schlechten Geschichten, man steckt in vorgefertigten Bildern solange fest, bis man sie mit eigener persönlicher Erfahrung entwertet hat.
Denn so funktionieren wir Menschen auch: ]ede persönliche Erfahrung prägt sich so viel tiefer ein, wiegt soviel mehr als die Erfahrungen aus zweiter Hand, wie auch Berichterstattung.
Wie sehr Berichterstattung bilderbasiert ist, wurde mir deutlich als ich meine Wahrnehmung überprüfte. Sehe ich nur, was ich schon weiß? Wie finde ich neue Bilder und reproduziere nicht etwas, das ich eigentlich nur wiedererkenne, das aber nicht das Wesen trifft.
Deswegen versuchte ich soviel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen, auch bei seinen banalsten Alltagverrichtungen dabei zu sein. Nur so war es möglich, die Bilder, die ich bereits über Mali und die Tuareg gesehen hatte, loszuwerden, und nach und nach eine andere Perspektive kennenzulernen.
Zeit und Augenhöhe ist ein wesentlicher Aspekt die Perspektive eines Anderen einnehmen zu können. Und wir alle wissen dass Zeit ein Luxus in der Beschleunigung des Z1. Iahrhunderts geworden ist. Dies wurde ganz offensichtlich als ich in Timbuktu plötzlich auf eine Gruppe Touristen im klassischen Massentourismus stieß. Da wurden Kamele fotografiert, Kostüme, Äußerlichkeiten.
Wir müssen acht geben, nicht immer die selben Bilder zu reproduzieren, nur das Erwartete zu suchen, und sich mit dem Wiedererkennbaren zufrieden zu geben.
Denn wir alle sind unterschiedlich, wir alle sehen die Welt aus einer leicht anderen Perspektive. In Bilder diese Einzigartigkeit festzuhalten, ist eine Aufgabe für alle Fotografen. Wie gesagt: Ein Bild ist immer ein Ausschnitt einer subjektiven Realität des Fotografen. Wir sind alle Chronisten unserer Zeit. Bilder schaffen ist demokratisch geworden. Wir alle haben die Möglichkeit unseren individuellen Blick zu schärfen. Und ein Vergrößerungsglas anzulegen, auf etwas, das ohne unseren individuellen Blick nicht gesehen werden würde.
Ich möchte Ihnen allen meinen herzlichen Glückwunsch zum Frauentag aussprechen.
Und damit verbunden möchte ich Sie alle ermutigen gängige Rollen zu hinterfragen, als Schwestern zusammen zu halten und daran zu arbeiten neue Bilder und Geschichten zu erzählen!