Frau Dr. Barbara Hendricks MdB

Kalkar, 03.02.2012

Meine sehr verehrten Damen,

liebe Frauen,

darf ich Sie einladen, an meinem Beruf als Politikerin teilzuhaben?  Sie
wissen, Abgeordnete sind nach dem Grundgesetz ausschließlich ihrem
Gewissen verantwortlich und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.
Ich möchte heute die Frage erörtern: Was sind Gewissensfragen und gibt
es einen Fraktionszwang und wenn ja, wie sieht der aus?

Fraktionen werden von denjenigen Abgeordneten gebildet, die einer Partei
angehören; eine Ausnahme bilden CDU und CSU, die nach jeder Wahl eine
Fraktionsgemeinschaft bilden. Fraktionen sind unabdingbar, um den
parlamentarischen Prozess zu organisieren und die parlamentarische
Meinungsbildung zu befördern.

Da nicht jede(r) Abgeordnete eigene, vertiefte Kenntnisse zu allen
entscheidungsrelevanten Sachverhalten haben kann, haben die Mitglieder
von Fraktionen ein Grundvertrauen in die Kompetenz der jeweiligen
fachlich zuständigen Kollegen – anders wäre die Fülle der Aufgaben nicht
zu bewältigen. Selbstverständlich bleibt es die Pflicht jedes einzelnen
Abgeordneten, sich sachkundig zu machen und etwa andere Erkenntnisse,
als die von den Fachkollegen vorgetragenen in die Debatte einzubringen.

Das ist einer der Hauptgründe, warum der Beruf des /der Abgeordneten einerseits fordernd und andererseits vielfältig ist

Die Meinungsbildung in den Fraktionen ist – wie erwähnt – unabdingbare
Voraussetzung für den parlamentarischen Prozess und zugleich für
verlässliche Regierungsführung.  Für diese ist selbstverständlich die
Meinungsbildung in den jeweiligen Koalitionsfraktionen, die auch die die
Regierung tragenden Fraktionen genannt werden, unerlässlich. Es
versteht sich von selbst, dass die Führung einer Fraktion, zumal einer
Koalitionsfraktion darauf angewiesen ist, vor einer Abstimmung im Plenum
zu wissen, wie die Mehrheitsverhältnisse aller Voraussicht nach sein
werden. Daher haben sich alle Fraktionen Geschäftsordnungen gegeben, in
denen die Mitglieder sich gegenseitig zusichern, es zumindest
rechtzeitig mitzuteilen, sofern man die in der jeweiligen Fraktion
abgestimmte Mehrheitsmeinung im weiteren parlamentarischen Prozess nicht
unterstützen will. Hier kann es selbstverständlich zu erheblichem Druck
von Seiten der Fraktionsführung oder durch Regierungsmitglieder auf
einen Abgeordneten kommen. Dieser Druck wird sowohl intern als auch
öffentlich ausgeübt.

Ich verzichte darauf, Beispiele aus jüngerer Zeit hier zu zitieren, Sie wissen welche Begebenheit ich meine.

Ja, Druck kann es durchaus geben, Fraktionsdisziplin wird eingefordert,
aber Zwang, etwa sanktionsbewehrt gibt es gleichwohl nicht.

Persönlich habe ich großes Verständnis für diese Anforderung an uns
Abgeordnete, denn die Bürgerinnen und Bürger haben ein Anrecht auf
ergebnisorientierte parlamentarische Entscheidungsprozesse und gute
Regierungsführung.

Was sind aber nun Gewissensfragen? Fragen, an denen der einzelne
Abgeordnete ein besonderes Interesse hat, etwa weil der eigene Wahlkreis
berührt ist, sind noch keine Gewissensfragen. Vereinfacht gesagt:
Gewissensfragen sind ethische Grundsatzentscheidungen, die zumeist über
den Beginn oder das Ende menschlichen Lebens, die Würde des Menschen,
eine bindende Aussage treffen.

Der Deutsche Bundestag hat seit vielen Jahren für solche Entscheidungen –
genannt seien hier z.B. Organtransplantation, Spätabtreibungen,
Präimplantationsdiagnostik (PiD) – einen nach meiner Meinung
überzeugenden Entscheidungsweg gefunden. Bei solchen ethischen
Grundsatzfragen verzichten sowohl die Regierung als auch die Fraktionen
auf ihr Recht zur Gesetzesinitiative, vielmehr bilden sich im Parlament
fraktionsübergreifende Gruppen von Abgeordneten, die jeweils
unterschiedliche Gesetzesentwürfe vorlegen. Diese werden dann quer zu
den bestehenden Fraktionsgrenzen beraten und entschieden. Hier wird
niemals von Regierung oder Fraktionen eine bestimmte Entscheidung
erwartet oder gar Druck auf den einzelnen Abgeordneten ausgeübt, aber
z.B. bei der Entscheidung über die PiD hat die Deutsche
Bischofskonferenz alle katholischen Abgeordneten, auch mich
angeschrieben und an das Gewissen der Abgeordneten appelliert.

Ich bin übrigens Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken
und habe mich gleichwohl anders entschieden. Es ist durchaus möglich,
dass man – theologisch begründet – zu einer anderen Entscheidung kommen
kann. Aber ich bin der Auffassung, dass eine befruchtete Eizelle in der
Petrischale nicht gleichzusetzen ist mit einem im Mutterleib
heranwachsenden Embryo; meine Entscheidung folgte meinem Gewissen. –

Lassen Sie mich, liebe Frauen, ein kurzes Resümee ziehen: wir
Abgeordnete sind in der repräsentativen Demokratie dazu verpflichtet,
stellvertretend für die Bürgerinnen und Bürger Entscheidungen zu treffen
und zu verantworten.

Ich beklage mich nicht darüber, das ist das Wesen der repräsentativen
Demokratie. Wir fällen Entscheidungen von manchmal sehr großer Tragweite
in Freiheit und Verantwortung und natürlich können wir auch
Fehlentscheidungen treffen. Angewiesen sind wir auf den Auftrag, den Sie
als Bürgerinnen und Bürger an uns geben, durch Beteiligung an Wahlen.
Darum allerdings möchte ich bitten!

Herzlichen Dank für ihr Interesse

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