Oldenburg, 31.10.2012
Liebe Frauen!
Willkommen in den Wechseljahren!
Die Unschuld der Kindheit und der Größenwahn der Jugend liegen weitgehend hinter uns. Manche Veränderungen, die wir erlebt haben – davon einige nicht freiwillig – haben uns zu dem gemacht, was wir heute sind: Frauen mit Vergangenheit. Und – so Gott will und wir leben – Frauen mit Zukunft!
Vielleicht liegen ja Ihre persönlichen Wechseljahre ein Weilchen zurück, womöglich erwarten Sie sie erst im „Irgendwann“ oder vielleicht stecken Sie gerade mitten drin. Und ich meine nicht nur das Klimakterium, sondern all die Wechselfälle des Schicksals, die wir überleben. Ja, manche Änderungen waren schrecklich, aber trotz aller Schmerzen stehen wir heute hier. Nicht mehr so ganz taufrisch, vielleicht innerlich und äußerlich etwas zerzaust, aber nicht zerbrochen. Das ist die wichtigste Erfahrung der Wechseljahre:
Veränderungen bedeuten nicht das Ende.
Ein Blick in die Welt zeigt, dass nichts so beständig ist, wie der Wechsel. Und wir sehen:
Der Mangel an Veränderung bringt den Tod.
Wer über den Tellerrand hinausblickt, sieht, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Die Menschheit verbraucht Rohstoffe, als gäbe es sie in unendlicher Menge. Sie verpestet Boden, Wasser und Luft, und kümmert sich keinen Deut um die tödlichen Folgen. Die wenigen Mahnerinnen und prophetischen Warnerinnen gelten – je nach politischem System – als Feigenblatt, Störerinnen oder Aufwieglerinnen.
Wir brauchen ein anderes Konsumverhalten.
Unsere Politik hat wenig getan, um Schluss zu machen mit Verschwendung, Zerstörung und Missbrauch. Jaja, unsere Umweltschutzbedingungen sind hart für uns. Doch sie sind lachhaft für diejenigen, die für die so genannte „Zivilisation“ Rohstoffe aus dem Boden holen, für raffinierte Mahlzeiten und unsere persönliche Mobilität landwirtschaftliche Produkte anbauen, die sie selbst nicht nähren oder denen die Erwärmung der Meere das Wasser ins Haus laufen lässt.
Willkommen in den Wechseljahren.
Wir leben in einer Demokratie und diskutieren, ob Ministerinnen ihre Hausaufgaben abschreiben, oder ob sie ihren Teppich verzollen, anstatt dafür zu sorgen, dass das ungerechte Bildungswesen reformiert wird und Deutschland aufhört zu glauben, dass die Demokratie am Hindukusch verteidigt wird. Wir reden über den Juchtenkäfer in Stuttgart und vergessen das Gutachten, das voraussagt, dass der Tunnel, durch den der Zug nach dem Bahnhofsumbau fährt, mit Wasser zulaufen wird, anstatt das Projekt komplett zu überdenken.
Ich blicke in nachdenkliche Gesichter. Aber auch in skeptische. Sie finden es ganz in Ordnung, dass ich „denen da oben“, im fernen Berlin, den Marsch blase? Und selbst in die Landeshauptstadt könnte mal der Blitz reinfahren, meinen Sie?
Wir brauchen einen Politikwechsel.
Wir haben unsere Stimme zwar „abgegeben“ aber wir bleiben als Wählerinnen in der Verantwortung! Wie haben diejenigen, die Sie gewählt haben, abgestimmt: Für oder gegen Waffen für den Nahen Osten? Für oder gegen den Zwang zur Offenlegung von Zahlungen an nationale Regierungen für Rohstoffe? Für oder gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Bundesrepublik? Für oder gegen einen menschenfreundlichen Umgang mit Asylsuchenden?
Kann es sein, dass es Sie deshalb nicht interessiert, dass sich draußen, in der großen weiten Welt, etwas ändert, weil es hier genug Baustellen gibt?
Wahrscheinlich haben Sie Recht! Deshalb ermutige ich Sie, hier in Ihrer Stadt, in Ihrem Dorf, im Landkreis und im Land Dinge aktiv zu verändern.
„Was können wir denn hier schon ändern?“, höre ich einige fragen.
Ein paar Anregungen habe ich:
Sorgen Sie in Ihrer Gemeinde dafür, dass keine Grabsteine aus Kinderarbeit auf die Friedhöfe kommen. Dass Energie regional erzeugt wird. Dass ALLE Lebensmittel und Produkte, die Sie konsumieren, egal, ob sie hier oder woanders produziert werden, so gehandelt werden, dass die Erzeugerinnen fair behandelt werden.
Ändern Sie Vorschriften und Bedingungen, dass die Schwachen nicht zurück gelassen werden, dass alle Menschen friedlich zusammenleben und an den Errungenschaften unserer Demokratie im gleichen Maße
teilhaben können.
Willkommen in den Wechseljahren!
Ihre Kirche hat einen wunderbaren Anfang gemacht. Es war nicht „die“ Kirche, sondern Ihre Gemeinde, vielleicht sogar Sie persönlich, die in diesem Sommer beim Zukunftskongress mitgedacht hat. Dazu beglückwünsche ich Sie und Ihre Kirche und ich erwarte, dass sich auch für diejenigen etwas zum Besseren ändert, die keine Kirchenglieder sind.
Aber vielleicht ist Ihnen all dies zu abstrakt, nicht persönlich genug.
Dann sage ich erst recht:
Willkommen in den Wechseljahren!
In Ihren Wechseljahren!
Gerne hätten Sie so manches geändert? Dann ist jetzt der ideale Zeitpunkt dazu! Fangen Sie bei sich selbst an! Ändern Sie, was Sie stört. Die ängstliche Stimme, die immer warnt und dämpft, gehört dem kleinen Mädchen, das es nicht mehr gibt. Jetzt sind Sie groß und dürfen stark sein. Nein, stark sein bedeutet nicht, immer alles selbst zu machen. Nein-Sagen können nur die wirklich Starken.
Und dann kann auch um uns herum Veränderung stattfinden.
Mich macht der Gedanke froh, dass ich ein Teil bin dieser Wechseljahre. Gemeinsam mit vielen Frauen wie Ihnen und – auch mit Männern. Manchmal geht es mir zu langsam und ich hoffe, dass wir mehr werden, um den Wechsel zu beschleunigen. Gemeinsam können wir Dinge und Zustände ändern!
Wechseljahre! Wie hat man uns bange gemacht. Und genau so wie man behauptet hat, dass alt werden unattraktiv macht, will man uns einreden, das Streben nach Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung sei unsexy.
Doch, weshalb sollten diese böse Stimmen diesmal Recht haben? Die Profiteure und Gewinnler, die Ausbeuter und Gierhälse, die Demagogen und Hetzer haben immer gelogen.
Schrecken muss uns das nicht. Denn unsere Rettung liegt nicht in uns, sondern „Christus ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen. (1.Petrus 1,20 – Losungstext 30.10.2012) Und weil dem so ist, rufe ich Ihnen fröhlich zu:
Willkommen in den Wechseljahren!