Tischrede anlässlich des ersten Frauenmahls in Gelsenkirchen am
14.09.2017 von Ursula Theißen, Leiterin des Frauenkulturbüros
Das Frauenkulturbüro NRW unterstützt Künstlerinnen durch vielfältige Programme.
www.frauenkulturbuero-nrw.de
Liebe Frau Röckemann, liebe Frau Fischer, liebe Elke Schumacher –
großes Kompliment zu dieser wunderbaren Veranstaltung, dem schönen
Rahmen im stadtbauraum und den exquisiten Speisen !!!
Guten Abend meine sehr verehrten Damen, liebe Frauen,
ich freue mich, dass ich in meiner Funktion als Leiterin des Frauenkulturbüros Nordrhein-Westfalen heute Abend zu Ihnen sprechen darf.
Ähnlich wie dieses köstliche Dessert auf unseren Tellern nehmen viele die Kunst- und Kulturförderung als Sahnehäubchen unserer Gesellschaft wahr.
Die harten Standortfaktoren wie Wirtschaft, Infrastruktur und Arbeitsplätze bestimmen das Leben in unseren Städten, gelten als Kriterien für Neuansiedlungen von Gewerbetreibenden, Handel und Banken.
Die Kultur und die Kunst sind eindeutige weiche Standortfaktoren, zielen sie doch darauf ab die Dinge, das Leben, die Politik – einfach alles – in einem anderen Licht erscheinen zu lassen – sie intervenieren, sie experimentieren, sie machen was sie wollen.
Ja, und das gilt auch für uns: wir Frauen nehmen unsere Welt aus einem anderen Blickwinkel wahr. Wir streben nach Lebensqualität, nach Schönheit, nach dem Maß der Dinge, nach der Mitte ohne Mittelmaß.
Dafür nehmen wir Brüche in Kauf, oft verbunden mit finanziellen Einschränkungen. Es ist immer wieder erstaunlich, welche Zickzack-Biografien Frauen vorzustellen haben: Vor der Ehe, vor den Kindern, mit den Kindern, ohne Kinder, nach den Kindern ohne Mann, mit Mann, mit Frau, mit Enkelkindern – Frauen gehen konsequent ihren Weg, aber selten geradeaus!
Und auch wenn man sie zumeist in Teilzeit, im Minijob, im Ehrenamt antrifft, so bewegen sie doch vor allem auf der sozialen, kommunikativen Ebene unbezahlbar viel. Die Brücken von Mensch zu Mensch – ganz analog – bauen Frauen. Ich habe irgendwo den schönen Spruch gelesen: der Computer ist das Lagerfeuer des modernen Menschen.
Nahezu alle Arbeiten werden heute am PC verrichtet, von Mensch zu Mensch wird ausgetauscht gegen von Mensch zu Smartphone. Doch so sehr die jungen Frauen auch selbstverliebt ihre Selfies hochladen – es sind doch vornehmlich die Frauen, die sich ganz analog von Mensch zu Mensch im Stadtteil, in der Kita, in den Schulen engagieren, um das Miteinander der Kinder, die Fürsorge für die Alten, das Engagement in der Nachbarschaft zu garantieren.
Künstlerinnen sind an diesen non-profit-Prozessen mit aller Vehemenz beteiligt. Kunst machen heißt: kompromisslos sein, die Welt verändern wollen, anderen den Spiegel vorhalten, intervenieren. Agierend wie eine Unternehmerin muss die Künstlerin in der eigenen Stadt zugegen sein und öffentlichkeitswirksame Projekte und künstlerische Veranstaltungen realisieren. Darüber hinaus muss sie sich in internationalen Zusammenhängen verorten, die sie dringend für ihre künstlerische Reputation benötigt. Nur so wird ihr dann die Anerkennung der Förderinstitutionen zuteil, die sie mit Einladungen und Projektfinanzierungen, Stipendien und Preisen auszeichnen sollen.
Dieser Spagat ist hart verdientes Brot in Zeiten leerer, öffentlicher Kassen.
Die Förderung von Kunst und Kultur ist eine freiwillige Aufgabe der Städte und Länder. Geht es den Kämmerern schlecht, so hat dies unmittelbare Konsequenzen für die Kulturinstitutionen und vor allem für die Freie Szene. Die Nothaushalte bewilligen nur die wenigsten Projektanträge.
Und so klafft die Schere zwischen Broterwerb und künstlerischer Arbeit bei den Künstlerinnen und Künstlern stark auseinander. Künstlerinnen verdienen ca. ein Drittel weniger als ihre männlichen Kollegen. Der durchschnittliche Jahresverdienst einer Künstlerin liegt bei 11.415 €, bei Männern 16.667 €. Fügt man dem noch hinzu, dass in Deutschland neun von zehn Alleinerziehenden Mütter sind, lässt sich erahnen wie prekär der Lebensalltag von Künstlerinnen trotz Akademieabschluss sein kann.
Aber gerade deshalb ist es so bemerkenswert, dass die Künstlerinnen sich nicht verdrängen lassen. Sie machen weiter, entwickeln Ideen – oft machen sie auch Menschen Kunst zugängig, die in ihrem gewohnten Umfeld kaum Berührungspunkte mit der Kunst haben, zum Beispiel in Projekten mit Flüchtlingen.
Ich möchte abschließend diese Gelegenheit nutzen, einen direkten Appell an Sie zu richten: unterstützen Sie Künstlerinnen in Ihrem Umfeld, besuchen Sie ihre Ateliers, lassen Sie sich inspirieren, vielleicht kaufen Sie auch mal ein kleines Original für Ihr Zuhause – es wird Ihnen Freude machen.
Und hier schließt sich der Kreis – wir sind immer noch beim Dessert.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und guten Appetit!