Gisa Klönne – Buchautorin aus Köln

Köln, 20.11.2011

FRAUENMUT

Wie wird die evangelische Kirche fit für die Zukunft? Wie
kann sie den vielfältigen Strömungen und Herausforderungen unserer
Gesellschaft, ja der ganzen Welt, gerecht werden? Wie soll sie zum Frieden und
zur Bewahrung der Schöpfung beitragen? Und was speziell sollte sie für Frauen
tun? Das sind eine ganze Menge Fragen, die Katja Kriener auf ihrer Einladung zu
diesem Frauenmahl formuliert hat.

Eine Vision ist erwünscht. Weil aber eine
7-Minuten-Vision eigenlicht unmöglich ist, habe ich beschlossen, mich zu
konzentrieren. Ich werde strikt subjektiv sprechen. Aus meiner Sicht. Der Sicht
einer Frau, einer Feministin, die auch in ihren Kriminalromanen (wie zuvor in
meiner journalistischen Arbeit) nicht so sehr das Verbrechen in den Vordergrund
stellt, sondern seine Ursachen und Folgen für die Menschen, die damit konfrontiert
werden. Und dabei geht es immer auch um die oft sehr verschiednen
Wirklichkeiten, in denen Frauen und Männer leben. Kurz und gut: Ich werde mich
hier und jetzt auf die Sache der Frauen in der Kirche konzentrieren.

Wenn ich meine Vision für die Sache der Frauen in der
Kirche in einem Wort zusammenfassen müsste, dann wäre dies MUT: Mut, auf allen
Ebenen und in allen Belangen ganz selbstverständlich auch eine weibliche Sicht
zu pflegen. MUT also, für die Sache der Frauen laut zu werden, in bester
lutherscher Tradition: Hier stehe ich und kann nicht anders … Und zu diesem
MUT gehört auch, zu beharren, sich nicht einschüchtern zu lassen, oder
beschwichtigen durch Argumente wie: „Aber es ist doch schon viel erreicht.
Anderen geht es noch schlechter. Frauen sind doch mitgemeint.
Gleichberechtigung ist doch heute selbstverständlich“. Denn ja, natürlich ist
schon viel erreicht. Aber ich glaube, noch längst nicht genug.

Die Kirche und die Frauen. Das ist durchaus eine
Geschichte vom Mut. Meine Mutter ist Tochter eines evangelischen Pfarrers aus
Mecklenburg. Doch die Kirche, von der meine Mutter aus ihrer Kindheit
berichtet, ist eine ganz andere, als die, die sich mir heute präsentiert. Ich
recherchiere das gerade intensiv, weil ich aktuell einen Familienroman schreibe.
Daringeht es darum, wie sich Muster,
Traditionen und Traumata – auch unausgesprochen – über Generationen
weitervererben. Die Kirche, mit der meine Mutter in den 30er und 40er Jahren
aufwuchs, war durch den Nationalsozialismus zerrüttet, zerfiel in zwei Ligen:
Die Hitlernahen Deutschen Christen und die Widerständler, die Bekennende
Kirche. Sich letzterer anzuschließen erforderte sehr großen Mut, auch von den
Frauen. Doch gewürdigt wurde dies nicht. Die Kirche dieser Zeit bediente sich
zwar der Kräfte der Frauen, doch sie war und blieb dennoch eine strikt
männliche, patriarchal geprägte und sehr autoritäre. Mit einem männlichen Gott.
Mit von Männern zelebrierten und erfundenen Ritualen der Anbetung und einer von
Männern interpretierten Bibel.


Auch zu Zeiten meiner Geburt, 1964 dürfte das noch nicht
viel anders gewesen sein. Erst mit der modernen Frauenbewegung begann sich
etwas zu ändern. Die ersten – ungeliebten – feministischen Theologinnen erhoben
mutig ihre Stimmen. Die ersten Pfarrerinnen wurden ordiniert. Wäre dies nicht
geschehen, wäre die evangelische Kirche nicht die, die sie heute ist und ich
wäre vermutlich irgendwann ausgetreten. Weil ich mich als Frau und Feministin
nicht vertreten und angesprochen gefühlt hätte.

Doch es ist ja anders gekommen. Heute gibt es
evangelische Pfarrerinnen, inzwischen sogar Bischöfinnen. Es gab – zumindest
kurzfristig – eine EKD-Ratsvorsitzende. Es gibt Segnungen für
gleichgeschlechtliche Paare, geschiedene oder homosexuelle Pfarrer und Pfarrerinnen.
Es gibt eine Bibel in geschlechtsgerechter Sprache. Es gibt ein buntes
Miteinander ganz unterschiedlicher Personengruppen beim Kirchentag, wie ich ihn
in diesem Jahr in Dresden erleben durfte, mit bunten, sinnlichen Andachten,
Diskussionen und Konzerten.

Alles gut also? Kann ich jetzt hier stehen und einfach
fröhlich rufen: Weiter so, liebe Kirche, alles ist gut?

Ich finde es immer wichtig, sich bewusst zu machen, woher
man kommt, welche Wurzeln man hat. Nur dann ist man ja verankert und bekommt
einen Maßstab dafür, wo genau man gerade steht und wo die Reise noch hin gehen
soll.


Im Pfarrhaus meiner Großeltern fiel mir eines Tages ein
unscheinbares Büchlein aus dem Jahr 1917 in die Hände. „Wir Pfarrfrauen“ hieß
das. Ich dachte, dies sei vielleicht ein früh-feministisches Werk, doch da
täuschte ich mich. Es war ein Regelwerk, von wohlmeinenden Pfarrfrauen allen
Schwestern im Amte zur Beherzigung anempfohlen. 12 Leitsätze standen darin, 12
Lektionen in Demut und Bescheidenheit für Frauen in der Kirche: „Die Pfarrfrau
muss bekehrt sein.“ Heißt es da zum Beispiel. „Sie soll eine Beterin sein und
Gebetsgemeinschaft mit ihrem Manne haben.“ Doch diese Gemeinschaft hat klare
Grenzen, eine klare Hierarchie. „Sie soll nicht in ihren Manne als in einen
goldenen Kelch hineinsehen.“ Wird sogleich gemahnt. „Sie soll nicht Herrin,
sondern Gehilfin ihres Mannes sein.“ „Sie soll sich nicht in die Seelsorge
ihres Mannes mischen.“ Und natürlich: „Sie soll sich vor den Gefahren der
Gesellschaft hüten.“

Nicht auffallen, sondern fromm im Hintergrund dienen. Ich
wage zu behaupten, dass dieses traditionelle weibliche Rollenbild, wenn auch
nicht so offensiv postuliert, durchaus noch bis heute nachwirkt. In Chor und
Küche, als Presbyter und in der Jugend- und Altenarbeit. Trotz allem, was
Frauen schon erreicht haben ist, so glaube ich, der Herr Pfarrer in Schwarz der
wirklichkeitsfern von der Kanzel herabpredigt, ein noch immer recht
hartnäckiges Bild, das für viele moderne Frauen ziemlich abschreckend wirkt. Da
suchen sie lieber nach Alternativen, wenn es um Sinnfragen und spirituelle
Bedürfnisse geht. Das Angebot von Buddhismus bis Tarot und Meditation ist
schließlich groß.

Und vielleicht sind auch die der Kirche verbundenen
Frauen zuweilen etwas müde oder beschränken sich zu sehr. Weil ja die
christlichen Werte von Nächstenliebe und Schöpfungsbewahrung durchaus richtige
sind. Weil die Welt nun einmal so ungerecht und fragil ist, wie sie ist. Weil
es so viel Leid gibt. Wieso sollten Frauen sich da noch erlauben von einer noch
viel weiblicher geprägten Kirche zu träumen?


Vielleicht einfach nur, weil niemand vorhersagen kann,
was sich daraus entwickeln würde, und weil es lohnenswert wäre, das
herauszufinden. Schließlich leben wir seit Jahrhunderten mit einem männlichen
Gott. Mit einer männlichen Übermacht in den Gremien, mit männlichen Ritualen.
Wir evangelische Christinnen haben nicht ja nicht einmal eine Maria zu der wir
beten. Dabei gibt es doch Hinweise, dass Jesus durchaus die Gleichberechtigung
der Geschlechter wollte. Es gab Apostelinnen. Es gab Maria Magdalena.

Mehr MUT also, ihr Frauen, möchte ich rufen. Meine Vision
ist eine Kirche mit weiblich geprägter Spiritualität. Mit weiblicher, ja
feministischer Theologie. Mit sinnlichen, vielleicht auch bunteren Ritualen im
Gottesdienst. Eine Kirche mit Christinnen und Christen, die die Sache der
Frauen nicht nebensächlich finden, sondern konsequent vertreten. Was daraus
folgt? Ich weiß es nicht. Aber ich habe den Verdacht, dass darin ein enormes
Potential steckt. Mit einer geradezu anarchischen Kraft zur Veränderung.

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