Heidi Knake-Werner – ehem. MDB, ehem. Berliner Sozialsenatorin (Die Linke)

Berlin, 30.11.2011

Thesen zu Frauen und Armut

70% der Hungernden weltweit sind Frauen und Mädchen. Eine
erschütternde Zahl und unsägliches Leid, was darin zum Ausdruck kommt. Viele
von uns üben Solidarität und ärgern sich über die bescheidenen Hilfsprogramme
der reichen Länder.

Aber wie steht es eigentlich in unserem eigenen Land mit
der gerechten Verteilung der Ressourcen, mit der Beseitigung von Not und Armut?
Nein, es ist in den seltensten Fällen Hunger, der die Menschen bei uns plagt
und angesichts der Lage in afrikanischen oder Ländern in Asien herrscht bei uns
schier grenzenloser Wohlstand.

Umso mehr muss es uns deshalb doch empören, dass in
unserem reichen Land, die Zahl der Armen von Jahr zu Jahr wächst und auch bei
uns sind die Frauen dabei in der Mehrheit.

Bei der Rentendebatte neulich im Bundestag als es um das
Konzept von Frau von der Leyens Mindestrente ging, fiel der bemerkenswerte
Satz: „Ruhestand war gestern, heute gilt Maloche bis zum Umfallen“. Knapp eine
Millionen Frauen und Männer im Rentenalter suchen sich
Zuverdienstmöglichkeiten, weil ihre Rente zum Leben nicht reicht. Zweidrittel
davon sind Frauen, obwohl viele von ihnen ein Leben lang gearbeitet haben.

Die Rente sichert den einst erreichten Lebensstandard schon
längst nicht mehr, sie schützt nicht einmal mehr vor Altersarmut.

Frauen, die heute in Rente gehen, erhalten im Westen
durchschnittlich 494 Euro, im Osten sind es immerhin noch 666 Euro, aber beide
liegen deutlich unter der Armutsrisikogrenze, die heute mit 801 Euro angegeben
wird.

Wenden wir uns also den Ursachen für diese bedrückende
Entwicklung zu.

Wenn man den ersten Genderdatenreport Berlins aus dem
Jahr 2010 auf den Punkt bringen will, dann lässt sich kurz und knapp
konstatieren: Frauen in Berlin sind schlau aber arm.

Trotz guter Bildungsabschlüsse, häufig sogar
Hochschulqualifikationen spiegelt sich das für die Mehrheit der Frauen nicht in
adäquaten Erwerbs- oder gar Karriereverläufen wider.

All dieser Veränderungen zum Trotz bleibt die Verantwortung
für Familie und Hausarbeit bei den Frauen. Und die nach wie vor
unbefriedigenden Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
führen dazu, dass Frauen nur eingeschränkt erwerbstätig sind. Ministerinnen
lasse ich hier mal raus, Ausnahmen bestätigen die Regel.

Es ist doch eher typisch, dass 40% der weiblichen
Führungskräfte kinderlos sind und Ausdruck einer ziemlich armseligen
Gesellschaftspolitik.

Experten stellen denn auch fest, wir haben zwar die
bestausgebildete Frauengeneration und eine zunehmende Erwerbsquote unter den
Frauen und dennoch ist der Satz „Armut ist weiblich“ längst nicht überholt,
weil Frauen strukturell benachteiligt sind. Typische Frauenberufe wie
Verkäuferin, Kassiererin, Krankenschwestern, Pflegekräfte sind häufig schlecht
bezahlt, haben ungünstige Arbeitszeiten oder werden nur in Teilzeit angeboten
und Frauen sind strukturell benachteiligt, weil sie nach wie vor den größten
Teil der unbezahlten Arbeit leisten.

Die Folgen sind vielfältigund haben sich trotz aller Fortschritte kaum
geändert:

-gebrochene
Erwerbsbiografien wegen Erziehungsarbeit

-keine der
Qualifikation entsprechende Tätigkeit

-Teilzeitarbeit

-Arbeit im
Niedriglohnsektor

-Prekäre
Beschäftigung

-Verantwortung
für Pflege der Elterngeneration

Für Berlin kommt hinzu, dass Migrantinnen auch deshalb
ein hohes Armutsrisiko haben, weil sie doppelt so häufig von Erwerbslosigkeit
betroffen sind Gerade die Generation der Frauen, die vor 50 Jahren der
Anwerbeabkommen als Arbeitskräfte oder Ehefrauen gefolgt sind, leben heute in
einer ausgesprochen prekären Lebenssituation. Gerade heute jährt sich dieser
Tag zum 50.Mal und findet in den Medien große Aufmerksamkeit. Acht Seiten in
der Berliner Zeitung, aber kein Wort über die prekäre Lage vieler Frauen heute.

Es gibt allerdings kaum ein größeres Armutsrisiko in
Deutschland, als die Frauen, die allein ein Kind großziehen. 40% aller
alleinerziehenden Frauen in Deutschland leben vom Alg II, auch ihre Kinder sind
arm und sie selbst werden vermutlich auch arme Großmütter. Da wird gerade von
einer großzügigen Rentenerhöhung im Jahr 2012 gesprochen, aber das die
Inflationsrate schon in diesem Jahr 2,6% beträgt erwähnt in diesem Zusammenhang
niemand.

Der Anteil der alleinerziehenden Frauen ist in den
letzten Jahren deutlich angestiegen, ihre Lebenssituation ist äußerst belastet,
da sie eine doppelte Benachteiligung zu bewältigen haben. Sie müssen die
Verantwortung für die Kinder allein tragen und haben nur sehr eingeschränkte
Chancen, den Lebensunterhalt zu sichern. Mehr als ein Viertel aller
alleinerziehenden Frauen leben von Sozialhilfe. Neben den materiellen Engpässen
gibt es noch weitere Aspekte, die Alleinerziehende Frauen belasten:

-Überlastung
durch alleinige Verantwortung

-Weniger
Freizeit

-Eingeschränkte
Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe

-Benachteiligung
auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt

-Stigmatisierung
als alleinerziehende Frau.

Die Grundlage der Armut von Frauen ist die
Einkommensarmut, aber die oben aufgeführten Aspekte zeigen sehr deutlich, dass
aus materieller Armut sehr bald auch soziale Armut wird: Ausgrenzung, Rückzug,
Verlust an Freunden und Bekannten, Vereinsamung.

Wenn es schon schwer ist, der materiellen Armut entgegen
zu wirken, dann ist es unsere Aufgabe als Frauen, die in gesellschaftlichen,
kirchlichen Organisationen oder in der Politik tätig sind, für ein engmaschiges
soziales Netz zu sorgen, dass Inklusion möglich macht und Ausgrenzung
verhindert.

Ich denke, dass Berlin mit dem Konzept der sozialen
Stadt, einem engen Netz von Nachbarschaftseinrichtungen, Stadtteilzentren,
Selbsthilfeangebote und den vielen, vielen Hilfs- und Beratungsangeboten der
großen Sozialverbände einen sinnvollen Weg gegangen ist.

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