Heike Hofmann – Mitglied des hessischen Landtags

Heike Hofmann
Mitglied des hessischen Landtags

Tischrede für das Frauenmahl Darmstadt-Land in Roßdorf am 24.06.2017

„Politik aus Frauensicht“

Anrede,
Sehr geehrte Damen, liebe Freundinnen der Reformation,

vielen Dank für die Einladung zum Frauenmahl hier in Roßdorf im Elisabeth-Haus.

Die Initiative Frauenmahl ist ein gelungener Beitrag zur Reformationsdekade der EKD, an der ich vor geraumer Zeit bereits in Groß-Umstadt teilnehmen durfte.

Die Tischrede lehnt sich an die Praxis im Hause Martin Luthers an, der in seinen Tischreden Theologie und Alltag überzeugend zusammenbringen konnte.

(Mit einem Augenzwinkern):

Ich hoffe, dass uns das heute Abend auch gelingt!

(Pause)

Ich wurde gebeten zu dem Thema „Politik aus Frauensicht“ einen Beitrag zu diesem Frauenmahl zu leisten:

Ich selbst bin über die Emanzipationsfrage vor 28 Jahren in die SPD eingetreten und politisch aktiv geworden.

In der Politik selbst, genauer in politischen Gremien sind Frauen immer noch unterrepräsentiert, obwohl deren Zahl langsam, aber stetig steigt. Am bürgerschaftlichen Engagement beteiligen sich 32 Prozent der Frauen und 39 Prozent der Männer. Für Politik interessieren sich nur 39 Prozent der Frauen für Politik, dagegen 59 Prozent der Männer.

In meiner Partei wurde unter erheblichem Widerstand 1988 eine Geschlechterquote von mindestens 40 Prozent aller Ämter und Mandate aufgenommen. Das hat sich bewährt!

Mittlerweile sind Bundes- und Landesliste meiner Partei hart durchzuquotieren. Dadurch ergibt sich für weibliche Parteimitglieder die Chance von 1,29, für männliche Parteimitglieder eine Chance von 0,87 auf einen Parteiposten. Die Chance auf ein Amt oder Mandat für eine Frau ist 1,48 mal so hoch wie für einen Mann.

Das hat Gründe:

– Ebenso wie in der Privatwirtschaft herrschen in der Politik oft männliche Machtstrukturen vor. Frauen wünschen sich oft eine kollegialere, offenere und effizientere Kommunikationskultur.

– Gremienarbeit ist oft sehr zeitintensiv und findet für Frauen zu ungünstigen Zeiten statt. Auch heute noch sind es vor allem die Frauen, die mehrfach mit Beruf, Kinderbetreuung und Familienarbeit, wie z.B. Pflege und Haushalt, belastet sind. Hier ist es umso wichtiger, dass Sitzungen effizienter abgehalten werden oder etwa bei Parteitagen eine Kinderbetreuung angeboten wird.

Als Mutter zweier Söhne weiß ich, wie schwer es ist, dass politische Engagement, ob im Hauptberuf oder im Ehrenamt mit der Familie „unter einen Hut zu bringen“.

Dabei ist eines klar: Ohne den Rückhalt und die Unterstützung der Familie, insbesondere des Ehemannes oder des Partners ist solch ein Engagement nicht möglich!

Für Frauen wird es immer wichtiger, auch projektbezogen mitarbeiten zu dürfen, ja klar abschätzen zu können, wieviel Zeit welches Engagement benötigt.

Als SPD-Kreisvorsitzende hier im Landkreis Darmstadt-Dieburg liegt mir – aufgrund meiner eigenen Erfahrung und Biographie – die Frauenförderung besonders am Herzen.

Mit einem Mentorinnenprogramm haben ich und meine Kolleginnen gute Erfahrungen gemacht.

Im kollegialen, vertrauensvollen Austausch lernen und profitieren wir un tereinander.

(Pause)

Wie Sie alle wissen, ist die Gleichberechtigung von Frauen und Männern auch heute im Jahr 2017 noch nicht erreicht, obwohl es in diesem Bereich viele Fortschritte gegeben hat.

Vergessen wir nicht:

Das Frauenwahlrecht ist erst im Jahr 1918 eingeführt worden. Und noch bis 1977 konnte eine Ehefrau ohne das Einverständnis ihres Mannes nicht arbeiten.

Das ist noch gar nicht so lange her!

Zu den Fortschritten gehört die Einführung einer Frauenquote bei Aufsichtsräten von mindestens 30 Prozent!

Vieles gibt es noch zu tun:

Obwohl Mädchen im Durchschnitt eine bessere schulische Bildung als Jungen haben und bessere Abschlüsse als Jungen machen, verdienen Frauen durchschnittlicher immer noch 22 Prozent weniger für die gleicher Arbeit. Das ist ungerecht und muss sich endlich ändern!

Dafür brauchen wir ein sogenanntes Entgeltgleichheitsgesetz, dass die betrieblichen und tariflichen Akteure zur gerechten Bezahlung verpflichtet und Transparenz schafft.

Zudem müssen klassische, von Frauen dominierte Berufe, wie die Pflege oder die Kinderbetreuung, entgeltlich aufwertet werden!

Viele Frauen sind in der sogenannten Teilzeitfalle. Nach der Kinderbetreuung, die immer noch vorwiegend Frauen übernehmen, ist ihnen der Weg in eine Vollzeitstelle oft versperrt. Deshalb ist der Vorstoß unserer Bundesfamilienministerin Schwesig zum Rechtsanspruch auf eine Vollzeitstelle – nach der Rückkehr aus einer Teilzeitstelle – der richtige Weg!

(Pause)

Daneben muss der Ausbau der qualifizierten Kinderbetreuung weiter vorangetrieben werden, auch durch die Schaffung von Ganztagsangeboten.

(Pause)

Ich finde es insgesamt sehr wichtig, dass wir Frauen und ihre Familien entlasten z.B. durch ein sog. Familiengeld, mit dem Familien besser Erwerbsarbeit und Familien vereinbaren können. Viele Frauen wollen beruflich nicht abgehängt werden, wünschen sich aber gleichzeitig, genau wie viele Männer, mehr Zeit für die Familie.
Das kann mit solch einem Modell unterstützt werden!

(Pause)

In der Lutherdekade ist die Erinnerung oft auf die führenden (männlichen!) Köpfe der Reformationszeit gerichtet – wie Martin Luther, Philip Melanchton oder Johannes Calvin.

Jedoch haben auch viele Frauen, wie z.B. Katharina von Bora oder Anna Maria von Schumann, die Reformation mit ihren Gedanken und Taten bereichert. Das wird in diesem Jubiläumsjahr leider oft vergessen! Katharina von Bora steht für Geschwisterlichkeit, für Geschlechtergerechtigkeit, für Gastfreundschaft, auch für die Vielstimmigkeit und Vielfalt, die uns untereinander bereichert. Damit wurde der langweilige männliche Machterhalt, der viele Frauen mundtot gemacht hat, Schritt für Schritt überwunden.

(Pause)

Ich wurde von Ihnen gefragt: Was ist mein Reformationsgedanke?

Ich will ihn auf einen konzentrieren:

Reformation heißt für mich, die Welt zu hinterfragen. D.h. sie nicht in Frage zu stellen, sondern zu hinterfragen. Ja, wir haben noch viel zu tun in dieser Welt. In einer Welt, in der nicht nur einer oder die besonders Starken und Mächtigen, sondern wir alle gemeinsam Recht haben – und wir gemeinsam Rechte haben!

Reformation bedeutet bis heute: die grundsätzliche Gleichheit aller Menschen, die Würde jedes Menschen unabhängig von Stand und Einkommen, die Freiheit des Gewissens und die Religions- und Meinungsfreiheit.
Sehr wichtig ist mir: Meine Freiheit schließt auch immer die der anderen ein. Kein Mensch hat die Wahrheit für sich gepachtet. Gottes Güte gilt für alle gleichermaßen.
Martin Luther war so etwas wie ein Vorreiter der Demokratie, ein Vorreiter auch der Geschlechtergerechtigkeit – ohne dass diese Worte im 16. Jahrhundert schon fielen.

Reformation bedeutet also Veränderung. Damit die Welt nicht bleibt, wie sie ist, sondern immer wieder neu wird – wie Gott sie gewollt hat: menschlich und menschenwürdig, vielstimmig und demokratisch, frei und gerecht. Daher gehört zu unserer Kultur, dass wir uns nicht mit dem Bestehenden abfinden, sondern gemeinsam nach bestmöglichen Wegen in eine menschenwürdige, vielstimmige, gerechte und friedliche Zukunft suchen.
Die Reformation war für dieses Suchen und Fragen und Hinterfragen der Türöffner – und damit Wegbereiter der Demokratie.

So möchte ich schließen mit Worten, die Martin Luther nahe waren, Worte des Apostel Paulus an die Thessalonicher: „Prüfet alles – und das Gute behaltet“ (1. Thess. 5, 21).

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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