TagesImpuls 09. April 2013
Heilige oder Hure?
Wenn wir Literatur als Spiegel betrachten, zieht sich der Begriff der „Sünde“ im Verhältnis zur weiblichen Sexualität durch die Gesellschaft und durch das Verhältnis von Männern und Frauen in den letzten Jahrhunderten. Die Frau ist die „Heilige“ als Angebetete und später Ehefrau, daneben gibt es zur Befriedigung der „niederen“ oder wie sie seit Freud genannt werden „triebhaften“ sexuellen Bedürfnisse die Geliebte, die auch als Geliebte leicht zur „Hure“ werden kann. Diese Schizophrenie verhinderte lange eine sexuelle Identität der Frau, und wurde erst durch die Frauenbewegung aufgehoben. Das Schlimme ist, dass diese Betrachtung der Frauen sich in der Literatur, im Film und in heutiger Zeit auch gerade in der Musik wieder spiegelt. In Form dieser Literarisierung wird diese Vorstellung immer weiter getragen und selbst noch im 21. Jahrhundert müssen Frauen gegen diese Zuschreibung anrennen.
Signe Theill >>> Frauenmahlsrednerin in Marburg
Impuls zur Woche
Gott mitten unter uns
Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe, Seitenausgang. Da steht er häufiger. Man sieht ihm an, dass er viel draußen ist. Vor ihm auf dem Boden steht aufgeklappt sein Gitarrenkoffer.
Aber nicht nur dadurch fällt er auf. Vor allem spielt er richtig gut Gitarre. Und ich finde, er hat eine ausgesprochen schöne Stimme. Jedenfalls passt sie gut zu den Rock- und Folksongs, die er singt. „Harvest“ von Neil Young zum Beispiel. Oder Peter Gabriels „Losing my Religion“. Allesamt sind es Lieder aus vergangenen Jahren, als auch er, der Straßensänger noch jung oder zumindest jünger gewesen ist.
Ich erzähle von ihm, weil er mich immer wieder von Neuem fasziniert. Weil mich erstaunt, mit welcher Leidenschaft er singt und dabei offenbar immer guter Laune ist. Ob er mit seinem Gesang so viel Geld bekommt, dass das alles eine reine Freude ist? Ich kann es mir nicht vorstellen. Ob er ahnt, was er mit seinen Liedern und vor allem, wie er sie singt, bei wie mir bewirkt? An das letzte Mal kann ich mich besonders gut erinnern: Als ich um die Ecke zum Bahnhof komme, höre ich ihn schon. Er singt „Wish you were here“ von Pink Floyd: „So, so you think you can tell“…
„So, du denkst also, du kannst Himmel und Hölle unterscheiden,
Himmelblau von Schmerz.
Kannst du ein grünes Feld von einer kalten Schiene aus Stahl unterscheiden,
ein Lächeln von einem Schleier vor dem Gesicht?
Denkst du, dass du das unterscheiden kannst?“
Ich kann gar nicht anders als stehen zu bleiben und zuzuhören. Dabei ist es eigentlich ein trauriges Lied. Eins, das von der Verlorenheit und Sehnsucht in einer kalten und manipulierten Welt erzählt:
„Wie wünsche ich mir, du wärst hier!
Wir sind nur zwei verlorene Seelen, die in einem Fischglas schwimmen,
die Jahr für Jahr über denselben alten Boden laufen.
Was haben wir gefunden?
Dieselben alten Ängste.“
Ich wünsche mir, du wärst hier.“:
Vielleicht ist gerade das auch sein Lied, denke ich. Und dann wundert mich fast, mit was für einer sichtlichen Freude er es singt und spielt. Mit diesem Strahlen auf seinem Gesicht. Spontan fällt mir dazu die Jahreslosung von 2012 ein – „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
Gott zeigt sein Gesicht auch im Gesicht dieses Sängers auf der Straße. Immer wieder wird Gott Mensch – mitten unter uns. Auch da, wo wir es vielleicht am wenigsten erwarten.
Frauenmahl, eine Initiative des
FSBZ Frauenstudien- und -bildungszentrum in der EKD
Unsere Tages- und Wochenimpulse finden Sie hier als Countdown zum Frauenmahl am 3. Mai 2013 auf dem 34. Deutschen Evangelischen Kirchentag. Die Autorinnen der Wochenimpulse sind in der evangelischen Frauenarbeit tätig.