Henny Engels – Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrates

Berlin, 30.10.2011

Wir brauchen Quoten – und noch viel mehr….

Der Streit über die Frage, ob es einer gesetzlichen
Quotenregelung bedarf, um das Verfassungsgebot „Frauen und Männer sind
gleichberechtigt“ auch in der Wirtschaft zu verwirklichen, hat in den letzten
Monaten an Fahrt aufgenommen. War zunächst in den Parteien einigermaßen Ruhe eingekehrt,
weil die Grünen und die SPD und, nicht zu vergessen, am Ende sogar die CSU
Quoten eingeführt hatten und die CDU sich immerhin zu einem Quorum verständigen
konnte, steht nun die Frage, ob eine solche Regelung auch der Benachteiligung
von Frauen in der Wirtschaft abhelfen kann.

Allenthalben ist zu hören, dass allein Qualifikation bei
Einstellungen und Beförderungen das Kriterium sei – das kann aber nicht
stimmen. Denn es ist seit Jahren bekannt, dass Mädchen bzw. junge Frauen die
besseren Schul-, Studien- und Berufsabschlüsse vorweisen – dies schlägt sich
aber bei Einstellungen und Beförderungen nicht nieder. Diese Einschätzung wurde
auch in einem Gespräch des Deutschen Frauenrates mit einem leitenden
Angestellten der Bundesagentur für Arbeit bestätigt; er sagte: Wenn allein die
Qualität der Abschlüsse und Erfahrungen entscheidend wäre, dürften nur noch
Frauen eingestellt werden.

Und auch die Wirtschaftsbosse selbst werden nicht müde zu
betonen, wie sehr sie die hohe Qualität und Zuverlässigkeit ihrer Mitarbeiterinnen
zu schätzen wissen. Warum also finden sich dennoch so wenige Frauen in
Führungspositionen? Warum stößt gerade bei Verantwortlichen der deutschen
Unternehmen eine gesetzliche Quote auf heftigen Widerstand? Wenn die Herren die
Frauen so sehr schätzen und wenn sie nichts gegen deren Führungsqualitäten ins
Feld führen können, dann müssten sie auch einer gesetzlichen Frauenquote
zustimmen – da diese letztlich nur das regelt, was sie angeblich ohnehin
wollen.

Schon Sokrates (470-399 vor unserer Zeitrechnung)
formulierte: „Eine Frau, gleichgestellt, wird überlegen.“

Deshalb meine These: Die gesetzliche Frauenquote stößt
deshalb auf Widerstand, weil durch ihre Einführung auf Dauer eine kritische
Masse von Frauen in hohen Führungspositionen erreicht würde. Dies wiederum
könnte in der Folge dazu führen, dass in absehbarer Zeit mehr Frauen als Männer
in hohen leitenden Positionen zu finden sind – eine für die Herren der
Schöpfung vermutlich unerträgliche Vorstellung.

Da aber alle verbal formulierten Einsichten bisher die
berühmte Glasdecke nicht zum Splittern gebracht haben, möchte ich in Anlehnung
an die Wittenberger These 45 formulieren:

Nur durch sanften Zwang wächst die Gerechtigkeit und
damit wird die Gesellschaft besser; durch Unterlassen des gerechten Zwangs aber
wird sie nicht besser und bleibt nur teilweise gerecht.

Frauen werden also nicht lockerlassen dürfen bei der
Forderung nach einer gesetzlichen Quote. Keineswegs trauen dürfen sie
freiwilligen Vereinbarungen.

In Anlehnung an die These 91 möchte ich hierzu
formulieren:

Die für die Arbeitgeber peinlichen Einwände der
Quoten-Befürworterinnen gegen freiwillige Vereinbarungen nicht zu hören und
nicht durch vernünftige Gegenargumente zu entkräften, heißt, die Spitzenkräfte
der deutschen Wirtschaft der Lächerlichkeit auszusetzen und die Demokratie
unvollendet zu halten.

Oder, wie der Reformator an seine herzliebe Hausfrau
Katherin Lutherin vielleicht heute schreiben würde: „Wir haben genug getan und
geredet – die Betonköpfe wollen nicht weichen. So wird eine Regelung kommen,
die sie weichen lehren soll.“

So scheint mir unbestreitbar, dass für die Frage der
geschlechtergerechten Besetzung der hohen Leitungspositionen in den deutschen
Unternehmen eine gesetzliche Quote unabdingbar ist.

Aber – und die Frage müssen sich die Frauen stellen, die
sich insbesondere auf die hohen Leitungspositionen konzentrieren: Ist
Geschlechtergerechtigkeit in der Erwerbsarbeit und in der deutschen Wirtschaft
schon erreicht, wenn wir eine Quote für Vorstände und Aufsichtsräte haben? Ich
meine, nein. Neben dem Einsatz für eine Quote in den oberen Etagen muss es auch
darum gehen, die Chancen von Abertausenden von Frauen zu erhöhen, die in
niedrigeren Leitungsfunktionen oder auch gar nicht leitend tätig sind.

Natürlich ist es entlarvend, wenn die 2. BILANZ ZUR
FREIWILLIGEN VEREINBARUNG ZUR GLEICHSTELLUNG VON FRAUEN UND MÄNNERN IN DER
PRIVATWIRTSCHAFT nur deshalb auf erstaunlich hohe Zahlen kommt, weil jede
Filialleiterin bekannter Drogeriemärkte – auch wenn sie die einzige Angestellte
in dieser Filiale ist – auf gleicher Ebene mitgezählt wird wie die Leiterin
einer großen Bankfiliale. Diese Art der Zählung muss kritisiert werden;
gleichzeitig aber muss aufgezeigt werden, dass auch viele Frauen in niedrigeren
Leitungspositionen – und auch solche, die keine Leitungsposition haben – große
Verantwortung tragen und eine sehr gute Arbeit leisten. Auch sie verdienen
unseren vollen Respekt.

Und ein weiteres darf nicht aus dem Blick geraten. Frauen
erhalten bekanntlich in diesem Land für gleiche oder gleichwertige Arbeit
durchschnittlich ca. 23 Prozent weniger Entgelt als Männer. Ein großer Teil
dieses so genannten Pay-Gaps ist zu erklären durch häufigere
Erwerbsunterbrechungen, durch die Wahrnehmung von Teilzeitarbeit, um der
Familie gerecht zu werden. Aber: ca. 7 Prozent des Pay-Gaps sind nicht durch
solche Phänomene zu begründen – sie sind der so genannte „unerklärte Rest“.

Zwar betonen die Arbeitgeberverbände immer wieder, dass
es eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nicht gebe – eine glaubwürdige
Erklärung für diesen unerklärten Rest haben sie aber bisher nicht liefern
können. Auch die von einigen angeführte Erklärung, Frauen seien selbst schuld,
weil sie nicht hart und effektiv genug verhandeln, trägt nicht wirklich. Ob und
in welcher Weise hier eine Quotierung weiterhelfen würde, steht dahin. Nach
meiner Überzeugung wird sie allein nicht reichen.

Vielmehr muss es darum gehen, zu einer
geschlechtsneutralen Bewertung von Erwerbstätigkeiten zu kommen und danach über
die zu zahlenden Entgelte zu entscheiden.

Nicht die Tatsache, ob in einer Sparte überwiegend Frauen
oder überwiegend Männer tätig sind, kann entscheidend sein für die Höhe der
Entgelte – sondern allein die mit diesen Tätigkeiten verbundenen physischen und
psychischen Anforderungen und Belastungen.

Dann wäre ein Ende mit der Regelung, dass Bauarbeiter wg.
der körperlichen Belastungen eine Erschwerniszulage bekommen, Krankenschwestern
aber nicht. Und möglicherweise könnte dies dazu führen, dass Berufe, in denen
vorwiegend mit kleinen, kranken oder alten Menschen gearbeitet wird, höher
geschätzt und bewertet werden als solche Tätigkeiten, die vorwiegend mit und an
Maschinen erledigt werden.

Jenseits der Quotenregelung muss zudem eine verstärkte
und breitere Auseinandersetzung darüber geführt werden, wie fest
Rollenstereotype, die Bilder davon, wie man bzw. frau zu sein habe, in den
Köpfen sitzen, welche Konsequenzen dies hat und welche Maßnahmen wirklich
geeignet sind, dies nachhaltig zu verändern.

Angesichts dessen, dass nicht wenige junge Frauen die
Wirkung von Rollenstereotypen für eine sich überlebende Generationenfrage
halten, muss aufgezeigt werden, dass diese Bilder sehr viel hartnäckiger sind
als viele annehmen – und dass sie nicht ohne aktives Handeln einfach
verschwinden. Mag sein, dass mehr Frauen in hohen Führungspositionen zu einer
Veränderung dieser Bilder beitragen – ob dies ausreicht, ist zu bezweifeln.

Deshalb muss noch etwas anderes in Angriff genommen
werden: Alle reden davon, dass auch Frauen existenzsichernde
Erwerbsarbeitsverhältnisse haben müssen. Gleichzeitig werden viele Anreize
gesetzt, dass Frauen in Mini- oder Midijobs tätig sind, mit denen bekanntlich
solche Einkommen nicht erzielt werden können.

Der Streit darum, warum die Frauen sich so verhalten,
erinnert an eine Tischtennis-Weltmeisterschaft. In einem schönen Ping-Pong geht
es hin und her zwischen „Die Frauen wollen das so, weil sie Familie und
Erwerbsarbeit miteinander verbinden wollen“ und „Sie haben letztlich keine
andere Chance, wollen sie den an sie gestellten Anforderungen bezüglich der
Sorgearbeit gerecht werden“.

Hier bedarf es mehrerer Maßnahmen; die Diskussion um die
Rollenstereotype gehört dazu. Dazu gehört auch, Männern deutlich zu machen,
dass ihre Verantwortung für ihre Familien nicht mit dem Gehaltszettel erledigt
ist.

Und dazu gehört auch, dass die Politik unverzüglich die
Rahmenbedingungen für erwerbstätige Mütter und Väter verbessert und ebenso
unverzüglich Fehlanreize wie das Ehegattensplitting und die kostenfreie
Mitversicherung nicht-erwerbstätiger Ehegatten abschafft.

Und erst recht gehört dazu, nicht, wie mit dem neuen
Familienpflegezeitgesetz oder dem Betreuungsgeld, neue Anreize für
Unterbrechungen und Reduzierungen der Erwerbsarbeit zu schaffen.

Wir brauchen keine Abhalteprämien, sondern ein aktives
Eintreten dafür, dass Frauen wie Männer ein Recht darauf haben erwerbstätig zu
sein, ihren Lebensunterhalt zu verdienen – und bei alldem auch noch Freude
daran zu haben umzusetzen, was sie in ihrer Ausbildung oder ihrem Studium
gelernt haben.

Wir brauchen auch weder materielle noch immaterielle
Prämien, die Männer von ihren Familien abhalten, sondern ein aktives Werben
dafür,

•dass Männer
wie Frauen ihrer Verantwortung für ihre Familien wirklich gerecht werden,

•wissen, dass
Erwerbsarbeit und Karriere nicht alles sind

•und zudem auch
noch Freude daran haben, ihre Kinder groß werden zu sehen und auch ihrer ganz
praktischen Verantwortung für den Privathaushalt nachzukommen.

Mit anderen Worten: Wir brauchen keine Hobbyköche für die
gehobene Küche, sondern solche, die ebenso gut und gerne den schlichten
Möhreneintopf für den Alltag zubereiten. – Und in beiden Fällen wissen, dass
zum Kochen auch das Spülen und Küche-Aufräumen gehört.

Um mich ein letztes Mal an Dr. Martinus Luther in einem
weiteren Brief an Frau Katherin Dr. Lutherin anzulehnen: Sie – die Männer und
die Arbeitgeber – wollen vielleicht nicht wirklich, dass Frauen wieder in Heim
und Küche bleiben, aber sie tun auch nicht wirklich alles dafür, dass Frauen
diesen Bereich erfolgreich verlassen.

Und bevor ich es vergesse, liebe Frauen hier am Tisch:
Jede von Euch, die sich rühmt, keine Quotenfrau zu sein, tut wirklich alles
dafür, dass zahllose Schwestern in Heim und Küche verbannt bleiben!

Henny Engels

Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrates

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