Ilona Ilona Helena Eisner – Geschäftsführerin Landesfrauenrat Thüringen e.V.

Tischrede beim Frauenmahl in Zwochau am 25 Mai 2018
Ilona Helena Eisner – Geschäftsführerin Landesfrauenrat Thüringen e.V.

„Evangelische Frauen ziehen Kreise“

Will ich dem Motto „Evangelische Frauen ziehen Kreise“ in meiner Rede annähernd gerecht werden, muss ich über drei Stichworte sprechen: evangelisch, Frauen und Kreise.
Beginne ich mit letzterem. Der Kreis als Symbol hat viele Bedeutungen. Eine ist die Vollkommenheit. Er hat keinen Anfang und kein Ende. Von seinem Mittelpunkt zum Rand besteht immer der gleiche Abstand, in der Mathematik „Radius“ genannt. Aber, das wissen Sie alle.
Der Kreis gab dem Rad die Form, dem Ring oder dem Licht.
Er gilt aber auch als Synonym für Gruppen, in denen sich Menschen treffen, wie Seniorenkreis, Frauenkreis oder Gebetskreis, ebenso wie für Regionen und Gebiete – Landkreise z.B.

Doch das Symbol der Vollkommenheit hat durchaus Risse. Mit der Entwicklung des Rades war der Fortschritt nicht mehr aufzuhalten und heute wünsche ich mir manchmal, dass so einiges lieber nicht erfunden wurden wäre.
Der Ring als Ehering hat so manche Frau, so manchen Mann unglücklich werden lassen, war eher Kette, als vollkommen.
Und in abgelegenen Kreisen und Regionen ist der Lebensstandard oft unvollkommen mit fehlenden Arbeitsplätzen und mangelhafter Infrastruktur.

Kreise ziehen dagegen, ist ein hoffnungsvolles Bild. Ideen werden weitergegeben, Gebiete erweitert, Wellen ans Ufer gespült. Doch auch dafür gibt es Grenzen und Hindernisse, die nicht immer überwunden werden können. Eigene Gedanken und Überzeugungen sind nicht der Weisheit letzter Schluss. Die Erfahrungen und Überzeugungen anderer Menschen sind die Grenze der eigenen Sichtweise. „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“, sagte schon Rosa Luxemburg. Und um daran nicht zu verzweifeln, gibt es Respekt und Toleranz, Mitgefühl und Weisheit.
Die Grenze eines Landes ist die Grenze des Nachbarlandes, die Grenze des eigenen Gartens, die des Nachbargartens.
Und so gerate ich mit meinen Gedanken zum Stichwort Kreise an meine Grenze, auch wenn es dazu noch einiges zu sagen gäbe.

Nehmen wir also das nächste Stichwort: Frauen.
Sie stellen über die Hälfte der Weltbevölkerung! Sind sie nun eigentlich das schwache oder das starke Geschlecht?
Wir erkennen sie an bestimmten Symbolen. Würden Sie einen Stift nehmen und eine Frau zeichnen, woran würden wir erkennen, dass die Figur auf dem Papier eine Frau ist? Lange Haare? Breite Hüften? Die Andeutung von Brüsten? Sie trägt ein Kleid oder einen Rock, hohe Schuhe, einen Hut?

Wir haben bestimmte Bilder im Kopf und eine Vorstellung davon, was eine Frau ist, wie sie aussieht, woran sie zu erkennen ist. Und dann gibt es Menschen, denen wir ihr Geschlecht nicht ansehen, weil es entweder nicht klar zu definieren ist, oder weil sie beides sein könnten. Diese Menschen verunsichern uns. Sie passen nicht zu unseren Bildern von Frau und Mann. Aber passen sie deshalb auch nicht in die Gesellschaft? Oft machen wir uns nicht die Mühe nach ihrem Wert für die Gesellschaft zu fragen, bevor wir uns ein abwertendes Urteil erlauben.

Ich habe für mich klar definiert, was ich bin. Ich bin eine Frau und bekenne mich dazu. Und deutlicher: ich bin eine weiße Frau, heterosexuell, in einem wohlhabenden Land geboren und habe bisher nur die Erfahrung von Frieden, Bildungschancen und Wohlstand machen dürfen. Das verschafft mir Privilegien, ermöglicht mir einen gewissen Einfluss. Doch noch mehr Privilegien und Einfluss haben Männer mit diesen Attributen – weiß, heterosexuell, wohlhabend usw. Warum ist das so?

Seit Jahrhunderten kämpfen Frauen auf der ganzen Welt dafür, gleichberechtigt zu sein, selbst zu bestimmen, was ihnen guttut und was nicht. Selbst zu definieren, was sie können und wie sie leben wollen. Und diesen Kampf führen sie auch gegen die Institution Kirche.

Das bringt mich zu meinem dritten Stichwort: evangelisch.
Ich werde mir allerdings nicht anmaßen, vor so viel geballter theologischer Kompetenz den Versuch zu wagen, evangelisch zu definieren. Für meinen eher gesellschaftlichen, politischen Blick ist die Institution Kirche viel interessanter.

Und diese Institution hat die klischeehaften Rollen von Männern und Frauen über Jahrhunderte hinweg mit festgeschrieben und das nicht unwesentlich. Dazu war Macht von Nöten und die Institution Kirche hatte sie! Doch welche Menschen stecken hinter der Institution? Auf den Konzilen von Nicäa, von Trient oder Konstanz wurden wichtige Entscheidungen für die Zukunft der Kirche getroffen, Schriften ausgewählt, die in den Kanon der heiligen Schrift aufgenommen werden sollten. War dort eine Frau anwesend, die mitentscheiden konnte? Die vier Evangelien und die Briefe im neuen Testament. Alle samt von Männern verfasst, oder Männern zugeschrieben. Wo sind die von Frauen verfassten oder ihnen zugeschriebenen Texte? So geht Macht! Wer schreibt der bleibt!

Und das passierte nicht nur in der Theologie. Auch in der Mythologie und der Geschichtsschreibung sind überwiegend die Taten von Männern durch Männer aufgeschrieben wurden. Die Kirchengeschichte hangelt sich von einem Krieg zum anderen, von einem Konzil zum nächsten und die Nachfolge geht ausschließlich über die männliche Linie. Dabei war es doch viel eindeutiger, wer die Mutter eines Kindes ist. Und was diese Kriege und Eroberungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedeutete, welches Leid sie über Familien brachten, können wir nur erahnen oder müssen es uns mühsam zusammenreimen. Denn es war den Geschichtsschreibern keine Zeile wert.

Über Jahrhunderte hinweg ist Frauen in den großen Kirchen eine untergeordnete Rolle zugewiesen worden und wird es bis heute. Von der grausamen Zeit der Hexenverfolgung und der Rolle der Kirche dabei, will ich hier gar nicht reden.
Männer haben das Zölibat eingeführt und damit Kirche von Liebe und Leben getrennt. Menstruierende Frauen wurden als unrein bezeichnet und für diese Zeit aus der Gemeinschaft verbannt. Zu ihrem eigenen Schutz? Naja – das könnte ich so sehen, wenn der Kontext nicht so eindeutig wäre.

Dabei habe ich die Botschaft von Jesus immer anders verstanden. Er war menschlich, großzügig, lebensbejahend und fröhlich und er wollte, dass wir ebenso miteinander umgehen. Maria Magdalena war die Verkünderin der Auferstehung und hatte eine lebensbejahende Botschaft. An welcher Stelle haben wir diese Botschaft verloren und die verkündenden Frauen? Sie haben fast 2000 Jahre in der Kirche keine bedeutende Rolle mehr eingenommen.

Die evangelische Kirche ist bis heute die einzige, die Frauen den Verkündigungsdienst ohne Einschränkungen zugesteht. Sagen wir großzügig seit ca. 50 Jahren. Doch was ist das gegen eine Frauen-verachtende Tradition von über 2000 Jahren?

Evangelische Frauen ziehen Kreise! Ich bin mir nicht sicher, wie weit diese reichen. Ob die Klugheit einer Dorothee Sölle oder Elisabeth Moltmann-Wendel, eine Bibel in gerechter Sprache oder Frauengottesdienste ausreichend sind, um den zugewiesenen Platz endlich zu verlassen. Manchmal steht den Frauen der Kirche da wohl die eigene Demut im Weg.

Für die Rechte der Frauen und gelebte Gleichstellung kämpfen heute vor allem die, die unter den Missständen leiden. Lesbische Frauen, People of Color, behinderte Frauen und politisch Überzeugte. Evangelische Frauen bleiben aus meiner Wahrnehmung heraus oft unter sich, in ihren eigenen Kreisen. Weder in den zahlreichen Arbeitsgruppen zur Antidiskriminierung, noch bei öffentlichen Protesten zur Selbstbestimmung sind sie als evangelische Frauen wirklich sichtbar.

Vielleicht sollten sie nicht mehr darauf warten, dass die Menschen zu ihnen kommen. Auch Kirchen sind nicht für alle ein Ort des Willkommens.
Vielleicht sollten sie ihre Kreise ab und zu verlassen und sich denen anschließen, die aus leidvoller Erfahrung wissen, warum und wofür sie kämpfen.
Vielleicht nähern sie sich mit mehr gelebter und weniger gepredigter Solidarität der menschenfreundlichen christlichen Botschaft wieder an und ziehen dann tatsächlich auch nach außen sichtbare Kreise.

Vielen Dank!

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