Ilse Junkermann – Landesbischöfin, Magdeburg

Hamburg 02.05.2013


„Was Frauen brauchen …“, liebe Schwestern, dies in neun Minuten zu sagen, ist eine echte
Herausforderung. Anstelle einer langen Liste, die ich in meinen Vorüberlegungen
aufgestellt habe, will ich mich auf dreiDinge, auf drei mal drei Minuten beschränken (ich hoffe, das gelingt).

Dabei orientiere ich mich am Unterstrich Ihres Jahresthemas
Jetzt_ist die Zeit. Ich verstehe ihn so: Jetzt, jetzt schon den Lauf der Dinge
unterbrechen; jetzt, jetzt schon den Schwung und die Energie aufnehmen, die uns
bereits vom Reich Gottes und von der zukünftigen Stadt aus entgegenkommen.
Jetzt_diese Zukunft aufnehmen und nicht von den zuweilen mühseligen und
lähmenden Verhältnissen aus Gesellschaft und langer Benachteiligungsgeschichte
ausgehen.


Deshalb nun, mit dem Schwung aus der Zukunft des Reiches
Gottes will ich den Unterstrich füllen mit drei Dingen. Denn:

Drei Dinge braucht die Frau – und ein Sahnehäubchen dazu!

Diese drei Dinge braucht die Frau, um in Kirche reformatorisch
und leitend wirken zu können[1]:

  • Ein
    freies und leichtes Herz
  • Einen
    frohen Mut und klaren Verstand
  • Einen
    Sinn fürs Ganze
  • Und
    als Sahnehäubchen: Humor.


(1) Das Herz als erstes:

Frauen brauchen für Kirchenleitungin reformatorischem Sinn (auf jeder Ebene,
angefangen in der Gemeinde) ein freies und leichtes Herz. Das Herz wird frei
und leicht an der Quelle der Rechtfertigung. An dieser Quelle hört Frau die
Worte: du bist angesehen und geliebt aus reiner Zuneigung, ohne Ansehen dessen,
wie Du Dich präsentieren kannst und ohne Gewichtung dessen, was Du leistest.


Diese Quellworte lassen mich mit leichtem Herzen Ich sagen.
Sie lassen mich mit leichtem Herzen zu meinem Ich ja sagen:

  • dass
    ich nicht meine, ich müsse mich erst mal anpassen, z. B. an von Männern
    geprägte Bilder von Leitung;
  • dass
    ich mich von der Angst, nicht genügen oder rein zu passen, verabschieden
    kann;
  • dass
    ich mich in meiner Einzigartigkeit mit den Augen Gottes sehe: als gewollt,
    geliebt, bejaht, befreit, berufen, gesandt, gebraucht.


Das hört sich leicht an, und fällt doch sehr schwer.


Maria Furtwängler, die große Schauspielerin, die Ihr alle vom
Tatort kennt, sagt in einem Interview: „Im Selbstzweifel bin ich gut. Das habe
ich mit vielen Frauen gemeinsam. … Ein Mann mit Wampe und Glatze steht vor dem
Spiegel und denkt: Ist doch alles in Ordnung, was ich da sehe. Bei einer Frau,
und sei sie auch noch so schön, ist das häufig anders: Sie betrachtet sich im
Spiegel und beklagt auf der Stelle ihren zu kleinen Busen und den viel zu
breiten Hintern. Ich beneide Männer um ihre Fähigkeit, sich unschlagbar zu
finden. … Männer kommen oft weiter, genau wegen dieser Selbstgerechtigkeit.
Wir Frauen hadern oft zu viel und blockieren uns damit.“[2]


Selbstgerecht sein können, wie ein Mann es sein kann, das
macht mein Herz nicht froh. Vielmehr:


Ein frohes Herz bekommt Frau, wenn sie sich das Herz leicht
machen lässt von Gott, der zu ihr sagt: ‚Du bist gerecht. Ich sehe Dich mit
Freuden an! Du bist mein einzigartiges Geschöpf! Du, Du liegst mir am Herzen!’


Leichten Herzens nicht mehr mit sich hadern, Gottes Wort
gelten lassen, das bedeutet:


Abschied nehmen von den Bildern in mir und von den Bildern,
die mir entgegenkommen. Sie sind, v. a.
bezüglich Leitungsverantwortung, fast ausschließlich von Männern geprägt. Es
sind Bilder von Leitung, die sich in mir niedergelassen haben als
selbstverständlich. Leitung heißt, Hauptsache sich durchsetzen, Stärke zeigen
und Macht demonstrieren, Raum besetzen, das Gespräch beherrschen.


Mein Herz von solchen und anderen Bildern erleichtern lassen,
d. h. bewusst Abschied nehmen von Bildern, die mein Ich überformen und
festlegen, die Identität sichern wollen und sollen.


Aus Gnade ganz frei sein, das führt zu einer radikalen
Individualität. In ihrem kleinen und feinen Büchlein „Phantasie und Gehorsam“
aus dem Jahr 1970 zeigt Dorothee Sölle an Jesus auf, wie frei solch radikale Individualität
macht. Ich-Sagen, so schreibt sie über Jesus, half ihm „frei zu sein von Angst
vor dem Sterben und Sorge um das Weiterleben, frei von Hemmungen und
Vorsichten, frei von Ansprüchen für sich selber und der Sucht, anerkannt zu
werden, frei, vollständig frei für andere Menschen…“[3].


Ganz aus dem Vertrauen in Gott leben und Ich sagen macht
frei.


Frauen brauchen für solche Erleichterung und Freiheit
besondere Ermutigung und Zuspruch, Anrede und Angesprochenwerden als
unverwechselbare Individuen, die von Gott gebraucht werden.


Reformatorisch gesprochen: Jede und jeder ist berufen, Priesterin
und Priester zu sein, mit unmittelbarem Zugang zu Gott, ohne Vermittlung und
Mittler, auch ohne Bilder und Vorgaben als Mittler zu Gott hin…


(2) Schwester solcher Freiheit ist der Mut; der Mut, Schritte ins Offene und Schritte ins Freie zu wagen.


Wie Katharina von Bora und ihre Mitnonnen, die sich aus dem
Kloster davon gemacht haben, in eine Offenheit und Weite hinein, die gänzlich
noch nicht gestaltet war.


Wie Katharina Zell, die mit freiem Herzen in Straßburg
gepredigt hat.


Sie und viele andere Frauen sind starke Mütter, die
vorgegebene und herrschende Bilder von Kirche und Leitung frohgemut hinter sich
lassen konnten.


Das brauchen Frauen auch heute: dass sie leichten Herzens einen
frohen Mut fassen, eigenes zu entwerfen, auf ihre Gaben und ihr Gespür, ihre
Intuition vertrauen.


Gut, wenn wir unsere Vorbilder, die starken Frauen der
Reformation, die Mütter der
Reformation entdecken und ihre Geschichte erforschen. Damit deutlich wird: es
waren nicht nur vereinzelt einzelne, es waren viele und viele verschiedene
Frauen, die reformatorisch leitend gewirkt haben. Viele, die jeweils ihre
Eigenheiten und Eigenarten gelebt und erlitten haben.

Für die Ausstellung „Frauen der Reformation“ der Evang.
Frauen in Mitteldeutschland, die auch hier auf dem DEKT zu sehen ist, durfte
ich mich mit Anna II. von Stollberg beschäftigen. 58 Jahre war sie Äbtissin im
Stift zu Quedlinburg.


Welch frohen Mut und klaren Verstand konnte ich bei ihr
entdecken.

Sie wollte beides, den neuen Glauben und zugleich ihr mächtiges
Amt als Reichsfürstin erhalten, in dem sie allein dem Papst und dem Kaiser
untertan. Im Reichstag war sie eine der wenigen Frauen.


Immer wieder wollten Männer ihr diese Rechte und diese Macht
streitig machen.


Doch sie hatte einen klaren Verstand und durchschaute die
Machtgier der anderen. Gerne hätte der weltliche Schutzherr des Stifts sie als
Anhängerin des neuen Glaubens entmachtet. Doch sie blieb bis zu seinem Tod im
Jahr 1539 dem alten Glauben treu. Nun wollte sein Nachfolger als Anhänger des
neuen Glaubens das katholische Stift mit all seinem Besitz und großen Rechten
an sich zu ziehen. Doch sie kam ihm zuvor. Sie
führte die Reformation ein und schuf eine Kirchenordnung. Sie ordnete das Schul- und gesamte Finanzwesen der
Stadt neu. Sie setzte ihren langjährig vertrauten Ratgeber aus Stolberg
als ersten Superintendenten in Quedlinburg ein.


Was für ein Vorbild an klugem Verstand und Mut! Sie hat sich
nicht antreiben lassen, sie hat auf lange Sicht gedacht und gearbeitet und
selbst entschieden, wofür es wann Zeit war.


Sie ermutigt mich, unerschrocken und nüchtern klar für
Strukturen zu sorgen, die Neues sichern und stabilisieren.


Zu solch klarem Verstand gehört unbedingt dazu: sehen,
was ist. Sich nicht hinters Licht führen lassen.


Dies gilt im Blick auf andere und auf mich selbst: der klare
Blick auf eigene Grenzen, auf Fehlbarkeit, auf Nicht-Perfekt-sein-können, auf schuldig
werden können, nicht allmächtig und allkompetent zu sein, der nüchterne Blick
in Abgründe und auf negative Dynamiken.


Zum klaren Verstand gehört: sehen und sagen, was ist. Ganz
nach Rosa Luxemburg: „Wie Lassalle
sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer ‚das laut zu sagen, was
ist.’“


Ja, das braucht Mut: Missstände sehen und benennen; aus der
Freiheit des Evangeliums nüchtern sehen und klar benennen können, umkehren und
umwenden zu können, was falsch läuft. Davon gibt es genug in unserer Welt!


Solchen Mut braucht Frau.


(3) Und das Dritte:

Frauen brauchen für Kirchenleitung in reformatorischem Sinn
einen Sinn fürs Ganze. Einen Sinn fürs Ganze haben, so möchte ich Leitung und
Macht verstehen.


Ja, das gehört zum klaren Verstand: ein Ja zu Leitung und zu
der Macht, die es braucht, um Leitung auszuüben; es gehört dazu, sich nicht vorzumachen,
alles laufe von allein gut und alles
laufe von allein schon gut.


Es braucht Leitung als Ermächtigung, Leitung als koordinieren,
zusammenbringen und –fügen. Es braucht die Fähigkeit, Diskurs- und
Diskussionsräume zu eröffnen, damit Menschen gemeinsam Schritte ins Offene wagen;
damit Menschen einen Weg gemeinsam gehen. Es braucht Macht und einen Sinn fürs
Ganze, einen solchen Prozess zu leiten. Jede Frau bringt solche Erfahrung aus
ihrem reichen Schatz von Chaosmanagement, von mehreren Verpflichtungen und
Aufgaben gleichzeitig, mit. Ja, es ist wie eine gute Haushalterschaft. Paulus
nennt sie die Gabe und Aufgabe der oikodome, der Auferbauung des ganzen. D. h.,
als Leitung darauf sehen, dass zum einen jede und jeder zu ihrem und
seinem Recht kommt und dass zugleich nicht alle als Gockel stolzieren
und krähen wollen. Leitung kann auch heißen, einzelne auf ihr Maß
„zurechtstutzen“, denn jede und jeder ist in ihrem und seinem Reichtum und den
eigenen Möglichkeiten begrenzt. Deshalb braucht es einen Blick fürs Ganze, der für
das Zusammenwirken, für das Zusammenwirken gerade der verschiedenen sorgt.
Deshalb braucht es Fürsorge im besten Sinn für Diskurse: Gemeinsam haben wir
den Auftrag, die frohe Botschaft weiterzusagen.


Und nun: das
Sahnehäubchen: Humor


Humor ist eine Tochter des Evangeliums. Humor hilft mir, dass
ich mich nicht festbeiße in widrigen Verhältnissen, in Widerständen, in
verstockten Menschen.


Ja, dieses Sahnehäubchen braucht es unbedingt: Humor. Darin
schwingt die Leichtigkeit der Engel aus dem Himmelreich schon jetzt, es nimmt
die Erdenschwere. Humor beflügelt und Schweres wird leicht.


Liebe Schwestern, diese drei Dinge braucht die Frau:

  • Ein
    freies und leichtes Herz
  • Einen
    frohen Mut und klaren Verstand
  • Einen
    Sinn fürs Ganze


Und als Sahnehäubchen: Humor.

Das lege ich auf den Unterstrich: Jetzt_ist die Zeit!

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!



[1] Dabei verstehe ich das Thema so, dass
‚reformatorisch’ meint: Die wesentlichen Einsichten der Reformation vor fast
500 Jahren entfalten auch heute eine verändernde Kraft in der Kirche. Sie
formen und führen Kirche und Gemeinde auf ihren Grund (das Evangelium von Jesus
Christus) und auf ihren Auftrag (dieses aller Welt in Wort und Tat, in Zeugnis
und Dienst zu bezeugen) zurück. Dafür Verantwortung tragen, das macht
evangelische Kirchenleitung aus. Was Frauen dazu brauchen, dazu will ich
sprechen.

[2] Aus einem Interview,
veröffentlicht im ZEIT-Magazin vom 13. Mai 2011

[3] Dorothee Sölle, Phantasie
und Gehorsam, 4. Auflage Stuttgart 1970, S. 62f.

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