Frauen.Macht.WorteFrauen – Macht – Worte. Sehen – hören – schmecken – mitreden
Ingrid Wettberg beim Frauenmahl am 7.3.2017 in der Marktkirche in Hannover
Vielen Dank, dass ich heute zu Ihnen sprechen darf. Als 1. Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover K.d.ö.R und stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen K.d.ö.R bin ich fast täglich im Einsatz für diese Ehrenämter.
Für eine große jüdische Gemeinde in Hannover mit Mitgliedern aus 18 Nationen und einem Landesverband dem sieben liberale jüdische Gemeinden in Niedersachsen angehören.—–
Keine einfache Aufgabe aber spannend mit so vielen Menschen mit den unterschiedlichsten Biographien zusammenzuarbeiten—
denn fast jeder von ihnen bringt ein Stück seiner jüdischen Tradition mit—
ob es nun Shoaüberlebende sind, Kontingentflüchtlinge aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion oder Juden aus USA , Israel, Südafrika oder aus Polen, England und Frankreich, um nur einige zu nennen.
Gerade die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion konnten ihr Judentum seit drei Generationen nicht leben. Sie kommen hierher ohne jüdische Identität und werden hier dann gleich mit Antisemitismus konfrontiert, das betrifft vor allem die Jugendlichen in der Schule. So müssen wir viel Arbeit nach innen leisten, um diese Menschen zu integrieren und sie ihrem Judentum auch näherzubringen.
Wir sind ein offenes jüdisches Gemeinde-Bildungs und Kulturzentrum , mit einer eigenen Bibliothek, einer Kindertagesstätte und einem Sozial-und Kulturzentrum. Es ist ein Meilenstein auf dem noch langen Weg der Renaissance des liberalen Judentums in seinem Ursprungsland Deutschland
Soviel zu meiner Arbeit.
Wir Frauen sind heute hier zusammengekommen in der Marktkirche in Hannover –
und es ist schon ein Erlebnis, wie dieser Kirchenraum sich durch die ungewohnte Möblierung und diese liebevoll gedeckte Tafel verändert hat.
Wir wollen miteinander reden—
uns zuhören-uns kennenlernen und nebenbei bekommen wir kulinarische Köstlichkeiten serviert—-
bis hierhin schon alles sehr spannend. Diese Szene vor 100 Jahren in einer Kirche???
unvorstellbar.
Dieses Frauenmahl soll im Horizont des Reformationsgedenkens gesehen werden, das in der ev. Kirche ja ein ganzes Jahr gefeiert werden wird, diese Bitte erreichte mich bei der Vorbereitung meines kurzen Beitrags.
Aber bitte sprechen sie höchstens 5-7 Minuten—
auch das war eine Bitte. Wie geht das, fragte ich mich?–
Im Telegrammstil?
Nicht leicht—
das Thema ist so komplex——
aber ich will es versuchen .Lassen Sie mich Ihnen einige Gedanken aus jüdischer Sicht nahebringen.
Zuerst möchte ich anmerken, dass ich sehr froh bin heute zu leben, und nicht vor 400—
nicht vor 200 und nicht vor 100 Jahren. Das beziehe ich jetzt sowohl auf mich als Frau aber vor allem auf das Leben als Jüdin.
Männer und Frauen sind gleichberechtigt so lautet Artikel 3 unseres GG–
wunderbar—
das Grundgesetz von 1949 !!!
Ein Schatz , ein hohes Gut, das wir unbedingt verteidigen müssen. Wir, die heute leben kennen nichts anderes—
es sah alles aber schon einmal ganz anders aus. Das lehrt uns schmerzlich unsere Geschichte.
Wenn ich mir unser Europa von heute ansehe, so ist das ein Ergebnis einer langen Entwicklung von Pluralisierung die auch mit der Reformation einherging. Letztendlich wurde eine Kirche damals durch zwei ersetzt—
durch zwei Religionen. Nur die Juden , die sich nicht bekehren lassen wollten wurden von dem Reformator Luther dann gnadenlos verdammt.
Ein wirkliches Miteinander von Juden und Christen in Europa –in den letzten Jahrhunderten, davon kann wirklich nicht die Rede sein.
Und im Grunde rief Luther genau dazu auf, was die Nationalsozialisten knapp 400 Jahre später in die Tat umgesetzt haben. Den Feuersturm gegen Synagogen hatte er ebenso propagiert wie das Verbrennen ihrer Bücher, das Verbot des religiösen Lebens der Juden ebenso wie den Raub ihres Barvermögens.
Für das Judentum ermöglichte erst die Aufklärung zu Beginn des 19. Jahrhunderts seinen Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Die Reformen Napoleons –
die die rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen für die Juden veränderten brachten auch innerhalb des Judentums grundlegende Veränderungen.
Das Reformjudentum, das sich Anfang des 19ten Jahrhunderts hier in Deutschland bildete, brachte auch Veränderungen für die jüdische Frau.
Die Separierung in der Synagoge wurde abgeschafft. Frauen können gleichberechtigt am Gottesdienst teilnehmen und bekleiden höchste Ämter—
ohne jede Einschränkung—
bis hin zur Rabbinerin. Sowohl im konservativen wie im progressiven Judentum ist die soziale und religiöse Gleichstellung der Frau längst erreicht
Aus heutiger Sicht ist das für mich selbstverständlich, denn Frauen bekleiden im zivilen und politischen Leben hohe Positionen so sollte es doch eine Selbstverständlichkeit sein, dass in der Glaubensgemeinschaft das gleiche gilt.
Ich gehöre dem liberalen, dem Reformjudentum an. Das weit davon entfernt ist „bequem“ zu sein, wie Kritiker oft behaupten. Stattdessen verkörpert es die wörtliche Bedeutung des Namens „Israel“—
(der mit Gott ringt) und ist ein ständiger Versuch inmitten der modernen Gesellschaft bewußt jüdisch zu leben. Das ist viel schwerer, als man denkt, denn es gibt keine fertigen Antworten wie in der Orthodoxie sondern man muß individuelle Entscheidungen selbst treffen. Ich habe mir vorgenommen, diese Chance für mich zu nutzen.
Soviel zu meinem jüdischen Hintergrund.
Wenn ich mir mal alle Bedrohungen, Gefahren, Kriege, die geführt werden, die gesamtpolitische Lage, Hunger und Ungerechtigkeit in der Welt u s w ansehe, wird mir ganz schwindelig —
ich komme mir klein und hilflos vor—
an all dem Genannten kann ich nichts ändern—
oder doch?
Nur hier, wo ich stehe und mit all den Freiheiten, die ich anfangs genannt habe—
kann ich etwas
bewirken. Als Frau, als Jüdin, als deutsche Staatsbürgerin.
Und in den vergangenen Jahren habe ich festgestellt, dass es noch viele Menschen —
auch besonders Frauen gibt, die ähnlich denken, wie ich.
Wir haben eine Macht—
die Macht der Worte—-
die Macht, gemeinsam das Wort zu ergreifen—
Es ist die beste Verständigung, das Gespräch von Mensch zu Mensch
Oft werde ich gefragt, wieso ich eigentlich als Jüdin im Land der Täter leben könne? Meine Antwort. Ich entstamme einer alten deutschen jüdischen Familie, die über Jahrhunderte in Deutschland als angesehene Bürger lebten, bis sie fast alle umgebracht wurden, weil sie Juden waren. Ich möchte heute als Deutsche und Jüdin wahrgenommen werden, die trotz all dem, was meiner Familie widerfuhr, bewußt hier lebt, um diese Demokratie gemeinsam mit anderen zu verteidigen und auch hier wieder jüdisches Leben selbstverständlich zu machen.
Wir haben viele Rituale des Gedenkens an Krieg und Holocaust—das ist gut so—
wir brauchen eine Gedenkkultur, schon wegen der nachwachsenden Generation als Mahnung und Erinnerung —
aber bitte nehmen Sie auch wahr, dass es hier wieder aktives jüdisches Leben gibt.
Es wird zwar nie wieder so werden wie es einmal wahr. Das gesamte Landjudentum ist tot und das wird es auch nie wieder geben, aber in den Städten werden jüdische Gemeinden weiterexistieren und hoffentlich auch weiterwachsen.
Vor genau 75 Jahren wurden 15 hochrangige Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung am 20.1.1942 zu einer Besprechung mit anschließendem Frühstück in die Villa am Wannsee eingeladen um die Endlösung der Judenfrage zu beschließen.Es wurden Schnittchen und Cognac gereicht. Es war ein kurzes angenehmes Treffen. Der Führer wurde informiert.
Das Ergebnis ist bekannt.
Fast wäre das dort beschlossene Ziel erreicht worden. ——
Eigentlich dachte ich immer, so etwas
kann niemals wieder geschehen. Und doch sind heute schon wieder 30% der Deutschen antisemitisch eingestellt.
Und die Reden der Höckes und Petrys und Prezells hören sich verdächtig ähnlich an wie 1933.
Der unheimliche Aufstieg der „Reichsbürger“ geht einher mit einer rechten Welle in denen sich Populisten, Nazis,rechte Kameradschaften und Pegidaanhänger tummeln. Und ihre Gewaltbereitschaft nimmt zu.Und wer das alles als Kuriosität abtut verkennt ihre Gefährlichkeit.
Dazu kommt, dass es in Amerika ein unberechenbarer Populist an die Macht geschafft hat, dessen engster Berater und Chefideologe zudem noch aus dem ganz rechten Spektrum kommt.
In Amerika gab es schon unzählige heftige Proteste auch von Frauen, die in großer Zahl auf die Strasse gingen, um das freiheitliche Amerika zu verteidigen.
Vielleicht müssen auch wir Frauen uns zusammenschließen um unser Europa zu verteidigen, das in diesem Monat 60 Jahre alt wird. Denn es sieht nicht gut aus.
Wehret den Anfängen.
Lassen Sie uns dagegen ankämpfen. Denn wenn alle sagen, daran ist etwas zu ändern, dann ist das auch so—
aber wenn jeder meint, er könne ja sowieso nichts ausrichten, dann müssen wir uns nicht anschließend von unseren Kindern fragen lassen, warum wir nicht den Mund aufgemacht haben.
Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit