Irena Wachendorff – Lyrikerin

Bonn, 09.10.2011

Sehr verehrte anwesende Damen

Zunächst einmal möchte ich mich bedanken für die
Einladung heute vor Ihnen sprechen zu dürfen.

Ich habe damals, als die Frage an mich erging, sofort mit
Freude zugesagt, nicht ahnend, dass ich diesen 7 minutenlangen Vortrag
schriftlich ausformuliert einreichen muss…Das war dann ein kleiner
Wehrmutstropfen auf meine Freude, denn ichweiss nicht, ob Sie sich vorstellen können, wie lang 7 Minuten sind,
wenn man diese gesprochene Zeit mit 2 Fingern in eine Tastatur eingeben muss
und ein Tag nur 24 Stunden hat.

Mir war von Anfang an klar, wovon ich Ihnen berichten
möchte, doch gewann dieses Thema immer und immer mehr an Bedeutung bei genauen
und bangen Blicken Richtung Nahost und Israel; zuletzt auch wegen der
Eingabevon Präsident Abbas an die UNO
und der daraus immer schärfer werdenden Auseinandersetzungen innerhalb des
Landes und ausserhalb, zwischen Gegnern und Befürwortern.

Mit bangen Gefühlen und sicherlich auch mit einem „gerüttelt
Maß“ an Nichtverstehen, nicht begreifen können, schauen wir auf diewachsenden Auseinandersetzungen im Nahen
Osten, besonders aber nach Israel. Seit den letzten Jahren hat sich der
Konflikt zwischen den Palästinensern und den Israelis immer weiter verschärft.
Ich nenne da nur u.a. die heftigen Bombardierungen des Gaza als
Vergeltungsmassnahmen auf palästinensische Terroranschläge, die verschärfte
Situation mit Ägypten, die Streitigkeiten mit der Türkei um die Toten auf der
„Marvi Marmara“ . Kurzum, es scheint sich nichts mehr aufeinander zuzubewegen,
die Fronten bedienen nur noch pauschale Argumente und mauern ihren politischen
Kurs in zwei diametral von einander abgerückte monolithische Meinungsblöcke
ein. Der „Arabische Frühling“ löste eine „Israelische Eiszeit“ aus.

Stellen wir uns vor, wir greifen jetzt zu einer Art
„Asterixbändchen“, nicht über Gallien, nein, sondern überPalästina und wir schauen auf die erste
Seite. Da sehen wir die Landkarte und ein winziges Dorfdurch eine Lupe dort vergrössert an…und
lesen: „Wir befinden uns im Jahre 2011 nach Christi. Die ganze Region leidet
darunter, von Unversönlichkeit und Hass besetzt zu sein. Die ganze Region?
Nein, ein kleines Dorf hört nicht auf, dem Widerstand zu leisten. Es ist das
bedouinische Dorf Hilf, bei Kiryat Tivon, mit seinem arabisch-jüdischen
Waldorfkindergarten.“

Und nun bin ich beim Thema ganz angekommen: EIN BUSTAN,
der 1. Arabisch-jüdische Waldorfkindergarten Israels. Ein Bustan beutet auf
Arabisch und Ivrit (Neuhebräisch) „Eine Quelle im Garten.“

2005 erwarteten Amir Shlomian und seine Frau ihr erstes
Kind und parallel zu ihrer Freude wuchs in ihnen auch die Angst um das
unbeschwerte, geborgene Aufwachsen ihrer Kinder in Israel. Die werdenden Eltern
machten sich Gedanken über das Miteinander, den Hass, das Klima von Angst und
Bedrohung und auch über das israelische Erziehungswesen, Kindergärten und
Schulen.

In Israel erhalten circa 21% der Erstklässler eine
ultra-orthodoxe Erziehung, deren Curricula weder Mathematik, noch Fremdsprachen
beinhaltet und nach deren Verständnis, die Staatsform der Demokratie unzulässig
ist, da sie zu Säkularität führt. Dagegen besuchen circa 24% aller Erstklässler
in Israel eine arabische Schule, in der ihnen ein Weltbild vermittelt wird, in
welchem sie sich als ungeliebte Minderheit fühlen. Wenn in 12 Jahren diese
Kinder erwachsen sind, werden sie eine unversöhnliche, anti-demokratische
Mehrheit im Land bilden. Dazu kommt, dass im klassischen israelischen
Schulsystem die Sprache Arabisch kein Pflichtfach ist. So schließen viele
israelische junge Juden die Schule ab und lernen erst beim Wehrdienst ein paar
Sätze Arabisch .

Diese Umstände und seine eigenen Erfahrungen während der
2. Intifada brachten Amir Shlomian auf die Idee, seinem Kind, anderen jüdischen
Kindern sowie arabischen Kindern eine Alternative anzubieten. Er absolvierte in
London eine Ausbildung zum Waldorfpädagogen. Zurück aus London entwickelte er
die Vision eines arabisch-jüdischen Waldorfkindergartens, des ersten seiner Art
in Israel. Zusammen mit seinem Freund, einem arabischen Sozialarbeiter,
besuchte er junge jüdische und arabische Familien um diese Vision zur
Wirklichkeit werden zu lassen. Auf Grund der Ängste und Sprachschwierigkeiten
auf beiden Seiten erschien sein Traum erst wie ein „Himmelfahrtskommando“, doch
2005 waren so viele Familien bereit an dem Projekt mitzuarbeiten, dass ein Haus
in dem nahegelegenen bedouinischen Dorf Hilf angemietet werden konnte, welches
von allen gemeinsam zu einem Kindergarten umgebaut wurde. Im September 2005
öffnete der Kindergarten mit 15 arabischen und jüdischen Kindern und 2
Kindergärtner, einem arabischen und einen jüdischen seine Pforten.

Warum Waldorfpädagogik werden jetzt gewiss einige von
Ihnen denken… In Ein Bustan geht es nicht primär um die missionarische
Verbreitungsicherlich in einigen
Punkten auch fragwürdigen Thesen von Rudolf Steiner, sondern um das friedliche
anthroposophische Bild von der „Gesamtheit des Menschen“, welches jegliche
Anwendung von Gewalt ablehnt und die jeweilige Sprache und Kultur in die
Erziehung integriert. Das ist zum einen gerade in der Region Israel, wo
arabische Kultur auf jüdische trifft, die Religion des Islam auf das Judentum,
die Sprache Arabisch auf Ivrit von ganz besonderer Bedeutung. So sprechen die
Kinder im Kindergarten ihre eigene Sprache aber lernen gleichzeitig die
Sprache, die sie noch nicht gesprochen haben. Ferner werden die religiösen Feste
mit allen Kindern stets gemeinsam gefeiert…jede Woche wird am Shabbat das
Challabrot zusammen gebacken und gegessen, die Reise nach Mekka zur Ka‘bah wird
zusammen symbolisch nachvollzogen, an Purim unter allen Süssigkeitengeteilt und, und, und…So wachsen die Kinder in dieSprache, Sitten und Kultur des anderen
hinein, ohne ihre eigene aufgeben zu müssen.

Zum zweiten fordert der Aufbau und Erhalt eines
Waldorfkindergartens auch die Eltern und Erzieher auf, sich gemeinsam in den
täglichen Ablauf einzubringen und das nicht nur finanziell. Es wird zusammen in
Haus und Garten gebaut, gekocht für die Kinder, zusammen gebastelt, gegärtnert,
gefeiert, getanzt und musiziert. In diesem Miteinander lernen die Erwachsenen,
ihre Ängste und Vorbehalte abzubauen, sich aufeinander einzulassen, gemeinsam
Hürden zu nehmen und auch, miteinander in der Sprache des anderen zu
kommunizieren.

Das war bis heute nicht immer alles ein reibungsloses
Feld. Immer wieder werfen die kriegerischen Auseinandersetzungenim Land auch Schatten auf diese ständig
wachsende Zahl von Erwachsenen und Kindern in Ein Bustan. Und doch ist das
Projekt so erfolgreich aus den Krisen hervorgegangen, dass mittlerweile viele
Kinder schon auf einer Warteliste stehen, es nun insgesamt 4 gemischte Kindergartengruppen
gibt, 2 für die ganz Kleinen und 2 für die Älteren.

Es scheint, umso heftiger der „politische Wind bläst“
desto grösser wird der Wunsch vieler junger arabischer und jüdischer Familien
für sich und ihre Kinder den Weg eines friedlichen Miteinanders zu beschreiten. Und auch in Israel, über die
Region hinaus, ist man auf Ein Bustan aufmerksam geworden. Letztes Jahr im
Oktober erhielt Ein Bustan einen Preis dafür, eines der 10 besten
Erziehungsmodelle in Israel zu sein.

In diesem Jahr hat sich Ein Bustan noch einmal
vergrößert. Über die Sommerferien ist ein neues Haus auf dem Grundstück des
Kindergartens von den Eltern gebaut worden. Finanziert wurde es durchSpenden. In diesem Gebäude ist jetzt die
erste Grundschulklassefür arabische und
jüdische Kinder untergebracht. Mit diesem Schritt ist ein Traum wahr geworden,
der Traum, dass das Kindergartenprojekt Ein Bustanerfolgreich ist, wächst und neue Zweige
hervorbringt. So arbeitet Ein Bustan jetzt auch mit ähnlichen
arabisch-jüdischen Einrichtungen zusammen und dient neuen Kindergärten als
Vorbild.

Ein Bustan, die Quelle im Garten, ist unser
„kräftebringender Zaubertrank“ wie in dem kleinen gallischen Dorf. Ein Bustan
birgt ein Samenkorn für den Frieden in Israel. Die Geschichte des Kindergartens
ist die Geschichte von der Sehnsucht nach Frieden und eines besseren
Miteinanders von Menschen in einer konfliktgeladenen Region. Es ist die Geschichte einer
erfolgreichen Initiative, die dort ansetzt, wo die Politik versagt. Ein
Bustan zeigt uns, wo der Friede beginnt:
Er beginnt bei den Kindern!

Ich danke Ihnen sehr für ihre Aufmerksamkeit!

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