Irene Diller – Theologische Referentin

Rede zum Frauenmahl in Krefeld am 26.10.2014 in Krefeld

Liebe Frauen!

 
1) Frau macht

Was haben Sie denn in dieser Woche so gemacht?

Viel? Was denn genau?

Ach, was man so macht?

Ich erzähl mal von mir, was ich so gemacht habe, vielleicht gibt es ja die eine oder andere Überschneidung:

Also natürlich bin ich arbeiten gewesen, Teilzeit, damit auch noch Zeit für die Kinder ist, auf dem Rückweg schnell einkaufen, kochen, mit den Kindern essen, Hausaufgaben, in dieser Woche bis spät abends noch für Klassenarbeiten gelernt, die alte Mutter zum Arzt gefahren, geputzt, Blätter vor der Tür gefegt, die Tochter der Freundin im Krankenhaus besucht – sie hat ein Kind bekommen, für die Gemeinde noch ein gebrauchtes Bett zu einer alleinerziehenden Mutter gebracht, mit Freundinnen telefoniert, die ältere Tochter von einer Feier abgeholt, gelesen, Tee getrunken, bei einem irischen Abend mit Freunden gewesen und nun hier an diesem wunderschön gedeckten Tisch, wo es darum geht, was Frau so macht.

Oder wie heißt das Thema? – Frau macht Politik?

Nein, Politik mache ich natürlich nicht, damit habe ich nichts zu tun, ich mache nur so ganz normale Sachen.

 
2) Frau macht Politik?

Nun, zugegeben, beruflich habe ich mit Politik zu tun, denn ich arbeite auf einer der wenigen ausgewiesen politischen Stellen in der Kirche: in der Gender- und Gleichstellungsstelle.

Aber sonst mache ich ganz normale Sachen – also Frau macht keine Politik?

Ich gehe meine Woche noch einmal durch:

Ich gehe arbeiten, aber Teilzeit, damit noch etwas übrig bleibt für die Familie.

Ich bin Theologin. Seit den 80er Jahren, in denen ich mein Abi machte und zu studieren begann, stieg der Anteil der Frauen im Theologiestudium von 26 % auf heute etwa 60 %. Vielerorts ist deshalb auch zu hören: Bald gibt es nur noch Pfarrerinnen, das schadet dem Image der Kirche! Das Gespenst der „Feminisierung der Kirche“ geht immer wieder durch die Presse.

Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Der Anteil der Frauen im Pfarramt liegt bei 35 %, also nur etwas über einem Drittel. Allerdings sind Pfarrstellen im Teildienst zu 58 % mit Frauen besetzt, d. h. von den 35 % Frauen im Pfarrdienst arbeitet knapp die Hälfte nur Teilzeit.

Das ist sicher mit ein Grund dafür, dass Leitungsämter häufig nicht mit Frauen besetzt sind, der einzige Grund ist es sicher nicht – bei den Superintendentinnen liegt der Frauenanteil nur bei 16 % und auch bei den ehrenamtlichen Leitungsgremien, die wir in der Kirche haben, steigt der Männeranteil von Ebene zu Ebene: Während Presbyterien heute fast paritätisch besetzt sind im Durchschnitt, so werden auf die nächst „höhere“ Ebene mehr Männer entsandt. In der Landessynode liegt der Männeranteil bei 72 %, in unserer Kirchenleitung gibt es unter den sechs hauptamtlichen Mitgliedern nur eine Frau.

 

Als Theologin bewege ich mich also in einem politisch und sogar frauenpolitisch sehr brisanten Kontext. Und vielleicht ist meine private Entscheidung, Teilzeit zu arbeiten, um Zeit für die Familie zu haben, auch nicht nur privat, sondern sie hat auch eine politische Dimension? Nun habe ich das Glück, als Theologin in der Kirche gut bezahlt zu werden, denn in Deutschland sind von den Menschen im Haupterwerbsalter, die kein existenzsicherndes Einkommen haben, 62 % Frauen.

(vgl. https://www.ekir.de/gender/Downloads/Erster_Gleichstellungsbericht.pdf)

 

Dann habe ich, wie Sie alle, nehme ich an, in dieser Woche viel zuhause rumgewerkelt. Die Sorge-, Familien- und Care-Arbeit ist immer noch überwiegend Frauendomäne – dass ich koche, putze und mit den Kindern Hausaufgaben mache, gehört in ein traditionelles Rollenbild, das in anderen Ländern längst nicht mehr so einseitig ist. Die Unterbezahlung haushaltsnaher Dienstleistungen ist ein Politikum erster Ordnung, der Pflegenotstand in einer älter werdenden Bevölkerung wird uns zwingen, über das Lohnniveau verschiedener Berufe nachzudenken – hochpolitisch und ganz nah an meinem Leben.

 

Die Unterstützung, die Kinder heute im Gymnasium und in anderen Schulen oft brauchen, ist auch alles andere als Einzelschicksal: G8 hält alle auf Trab, die damit zu tun haben – davon haben Sie genug gehört, wenn in Ihrer Familie schulpflichtige Kinder sind.

 

Und der Rest der Woche? Alles unpolitisch? Die Tochter der Freundin, die ihr Kind bekommen hat, ist 36. Warum ist Deutschland Schlusslicht bei der Zahl der Kinder, die in Europa geboren werden? Weil wir viele gut qualifizierte Frauen haben, denen keine gute Lösung angeboten wird, wie sie die verschiedenen Bereiche und Anforderungen ihres Lebens miteinander vereinbaren können. – Apple und Facebook zahlen Mitarbeiterinnen viel Geld für das Einfrieren von Eizellen, damit sie die produktivste Phase des Lebens dem Betrieb und nicht dem Kind widmen – „Social freezing“ heißt das – ist das die Lösung für die Aufgabe, Familie und Beruf zu vereinbaren? Das hoffe ich nicht, für mich wäre das ein Albtraumszenario. Skandinavien und Frankreich haben andere Wege beschritten, von denen man positiv lernen könnte, wenn es einen politischen Willen gäbe: Kindergärten, die dann auf sind, wenn die Eltern sie brauchen, die Möglichkeit für beide Eltern, ihre Arbeitszeit für eine längere Erziehungsphase auf sechs Stunden pro Tag zu reduzieren – so kann gemeinsam Familie gelebt werden und vielleicht sogar noch eine Lebensqualität jenseits von Hetze und Leistungsdruck aufrecht erhalten werden.

Und dann ist da noch in meiner Woche versteckt das ehrenamtliche Engagement – etwa 75 % der Ehrenamtlichen in der Kirche sind Frauen.

Doch heute ändert sich das Ehrenamt und viele Frauen fragen kritisch: Warum stehen die Presbyterinnen am Kuchentresen und der Presbyter moderiert den Tag am Mikrofon?

 
3) Frauen und Macht

Was Frau so macht ist also in aller Regel politisch oder hat doch eine politische Dimension – ich könnte das in jedem Detail noch ausbauen, bei den Produkten, die wir kaufen, den Verkehrsmitteln, die wir nutzen usw. Aber sind wir einfach nur verstrickt in viele Wirkungszusammenhänge und daher Teil von tausendfachen politischen Prozessen, ohne darauf Einfluss nehmen zu können? Ich glaube nicht, dass es so einfach ist, ich glaube, dass wir, jede einzelne von uns Macht hat.

Und doch – MACHT mit großem M – das macht uns Angst, damit wollen wir nicht unbedingt etwas zu tun haben und vor allem: Das trauen wir uns nicht zu. Macht – das Wort hat einen negativen Beigeschmack, auch bei mir. „Macht macht korrupt“, das ist ein Satz, der mir einleuchtet, die Bibel in den Händen der Macht ist ein gefährliches Werkzeug, sagt die politische Theologie.

Wo Frauen Chefinnen werden, da sprechen sie gerne von Leitungshandeln, von partizipativem Leitungsstil und vom Team. Aber Macht haben sie dennoch. Und sie führen anders, vielleicht sogar besser als viele Männer, die keine Scheu haben, sich in einer Führungsrolle zu sehen, denen aber die Kompetenzen fehlen.

Wir haben gelernt, dass Macht unweiblich ist oder die Macht des Weiblichen sich auf die Bereiche der Sexualität oder des Zwischenmenschlichen beschränkt. Inzwischen wissen wir es besser: Wir haben Macht, wir müssen anerkennen – unser privates Handeln, unser ganzes Leben ist politisch und unsere Entscheidungen machen einen Unterschied.

Indem wir das nicht sehen und nicht nutzen, verschenken wir die Macht an andere, die uns manipulieren oder vereinzeln.

 
4) Frau! Macht! Politik!

Liebe Frauen, „Frau Macht Politik“, das könnten wir auch hinter jedem Wort mit einem Ausrufezeichen versehen – deshalb schließe ich mit einer Reihe von Ausrufezeichen: Frauen, seid machtvoll! Macht Politik! Nehmt Eure Erfahrungen ernst! Vernetzt Euch! Spürt Eure Macht! Macht Euch gegenseitig Lust zur Macht! Lasst Euch nicht vereinzeln! Lasst Euch nicht entmutigen! Rechnet miteinander! Rechnet mit der Macht der Veränderung! Rechnet mit der Macht der Einzelnen! Rechnet mit der Macht von Essen und Reden! Rechnet mit der Macht der Vernetzung! Rechnet mit dem Faktor Zukunft! Rechnet mit Gott, sie kommt uns entgegen – die Zukunft ist ihr Land.

Irene Diller, Theologische Referentin 

Gender- und Gleichstellungsstelle der Evangelischen Kirche im Rheinland

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