Iris Gleicke – Sprecherin der Landesgruppe Ost in der SPD-Bundestagsfraktion, MdB

Halle, 18.10.2013

„Bild der Frau – Rollen- und Frauenbilder“

Sehr geehrte Frau Bischöfin Junkermann,

sehr geehrte Frau Pfarrerin Ritter,

sehr geehrte Damen,

liebe Schwestern!

Zunächst möchte ich mich herzlich für die Einladung zu diesem 1. Frauenmahl der

Evangelischen Kirche Mitteldeutschland bedanken.

Ich bin trotz anstehender Koalitionsverhandlungen und einer Europakonferenz der

Thüringer SPD gerne hierher gekommen und will auch begründen warum.

Sie haben sich in Ihrer Einladung bewusst in die Tradition des Reformators Martin

Luther gestellt, der seine Ideen offensichtlich – bei gutem Essen und Trinken, garniert

mit der einen oder anderen Gesangseinlage – durchaus kontrovers diskutierte.

Das ist ein hübsches Bild:

Große Männer treffen sich seit 500 Jahren, seit mindestens 500 Jahren, beim Bier

oder auf dem Fußballplatz und -schwubs- haben sie ein Netzwerk für ihre großen

Ideen.

Meine lieben Schwestern, es wird Zeit, dass wir Frauen es endlich auch lernen, zu

netzwerken. Es wird wirklich Zeit und heute fangen wir auch in unserer Kirche

endlich damit an. Danke dafür, ich bin heute gerne hier!

Alice Schwarzer hat einmal gesagt: "Frauen begnügen sich nicht mehr mit der Hälfte

des Himmels, sie wollen die Hälfte der Welt." Als Politikerin füge ich an: die Hälfte

der Welt ist für uns auch die Hälfte der Macht!

Und wir kennen doch alle zahlreiche Beispiele erfolgreicher Frauen in der Politik.

Angefangen bei Cleopatra oder Luise von Preußen. Oder die Sozialdemokratin Marie

Juchacz, die nach der Einführung des Frauenwahlrechtes 1919 als erste Frau eine

Rede im Deutschen Parlament hielt. Wir kennen Heide Simonis von der SPD, die die

erste Ministerpräsidentin in einem Bundesland in der Bundesrepublik Deutschland

war. Und wir haben jetzt zum ersten Mal sogar eine Bundeskanzlerin.

Das heißt aber nicht, dass die Politik weiblich ist. Keineswegs. Und von 50% der

Macht sind wir noch meilenweit entfernt.

Der Anteil der Frauen an der Bevölkerung beträgt 51%. Der Anteil der Frauen im neu

gewählten Bundestag liegt aktuell bei 36,3%. Von 631 Abgeordneten sind 229

Frauen.

Leider sieht es auch in den Landes- oder Kommunalparlamenten nicht viel besser

aus. Im Thüringer Landtag zum Beispiel gibt es 88 Abgeordnete, 34 von ihnen sind

weiblich. Das sind 38,64%.

Die Thüringer Landesregierung hat 10 Mitglieder, 2 davon sind Frauen; die

Ministerpräsidentin – CDU – und die Sozialministerin – SPD; das sind ganze 20%.

Wir Sozialdemokraten stellen 4 Mitglieder der Landesregierung. Eine Frau – damit ist

auch unser Frauenanteil bei mageren 25%. Von der Hälfte, also 50%, ist nicht zu

reden!

Etwas anders sieht es im Europaparlament aus. Der Frauenanteil liegt dort im

Durchschnitt höher, als im Durchschnitt der nationalen Parlamente. Aber Sie wissen

ja, wie das mit dem Durchschnitt so ist. Steckt man eine Hand ins Tiefkühlfach und

legt die andere auf die heiße Herdplatte ist die Temperatur im Durchschnitt 20 Grad

und es geht einem gut. Also schauen wir mal genauer hin. Finnland entsendet

61,5%Frauen nach Europa und Schweden 55,6%. Nur 18,2% der EU-Parlamentarier

aus Tschechien sind Frauen und Malta hat keine einzige Frau. Aus Deutschland sind

es übrigens 37,4%. Finden sich keine Frauen oder woran liegt es?

Es sind viele Mechanismen der Macht, die Frauen das (politische) Leben schwer

machen. Und die müssen wir verändern! Aber wie?

Im Jahr 1987 lag der Frauenanteil im Deutschen Bundestages bei 15,4%. Die SPD

hatte 162 Abgeordnete, davon waren 31, also 19,1%, Frauen. Die CDU/CSU hatte

216 Abgeordnete. Davon waren 18, also 8%, Frauen.

Vier Jahre später, nach der Bundestagswahl 1990, war der Frauenanteil auf 20,5%

angestiegen. Die SPD stellte 174 Abgeordnete, davon waren 65 weiblich. Der Anteil

der Frauen ist auf 37,3% angestiegen. Das war fast eine Verdopplung. Was war

passiert?

Auf dem Parteitag 1988 in Münster hatte die SPD als erste Partei in der

Bundesrepublik eine Frauenquote beschlossen. Aber weder 37,3%, noch wie aktuell

42%, sind die Hälfte der Macht und das liegt an Folgendem:

In den Wahlkreiskonferenzen werden Direktkandidat_innen von den Parteien

nominiert. Da wird die Entscheidung entweder für einen Mann oder für eine Frau

getroffen. Die Landeslisten werden dann quotiert. Vor ein paar Jahren noch galt der

Grundsatz, dass unter den ersten 10 Plätzen mindestens 4 Frauen sein mussten.

Seit geraumer Zeit werden unsere Listen im Reißverschlussverfahren, also ein Mann

folgt einer Frau oder umgekehrt, besetzt.

Werden allerdings in den einzelnen Wahlkreisen mehr Männer als Frauen zur Wahl

nominiert und werden diese Wahlkreise dann bei der Wahl gewonnen, nützt die

Quotierung der Landeslisten wenig. Da wir bei der Wahl in diesem Jahr nicht so viele

Wahlkreise direkt gewonnen haben und demzufolge mehr Abgeordnete über die

Listen in den Bundestag eingezogen sind, ist durch das Reißverschlussverfahren,

der Frauenanteil in der SPD-Bundestagsfraktion auf eben 42% angestiegen.

Also müssen auch in den aussichtsreichen Wahlkreisen mehr Frauen für die Wahlen

nominiert werden. Warum das noch immer schwierig ist will ich Ihnen an meinem

Beispiel erzählen.

Ich habe mich 1989/90 zunächst im Neuen Forum engagiert. Ich ging zu

Versammlungen, malte und klebte nachts Plakate. Dann habe ich die Initiative

ergriffen, um in meiner Heimatstadt die Sozialdemokratische Partei zu gründen. Ich

ging zu Versammlungen, malte und klebte nachts Plakate. Im Mai 1990 wurde ich in

den Stadtrat meiner Heimatstadt gewählt. Ich wurde Fraktions- und

Bauausschussvorsitzende und war Mitglied im Sozialausschuss. Und so ging ich

weiter zu Versammlungen. Bei Tag arbeitete ich Vollzeit als Bauingenieurin. Ich war

geschieden, 25 Jahre alt und mein Sohn war gerade zwei Jahre alt.

Im Herbst 1990 wurden die Kandidaten für die Bundestagswahl nominiert. Es gab 3

Kandidaten; ein Pfarrer, ein Lehrer und ich. In der Stichwahl gegen den Pfarrer war

ich mit einer Stimme unterlegen. Nun könnte das ja daran gelegen haben, dass ich

nicht so geübt war in der Rede vor größerem Publikum, denn unerfahren in der

Politik waren wir alle gleich. Nur an mich war eine spezielle Frage gerichtet worden,

nämlich wie ich mir als alleinerziehende Mutter denn vorstellen würde das alles unter

einen Hut zu bekommen. Natürlich war ich verwundert. Ich hatte doch immer

gearbeitet und mich engagiert. Und ich verwies darauf, dass ich ja auch noch meine

Eltern hätte, die mir helfen würden. Das war wohl nicht genug. Klar ist aber, dass

eine solche Frage niemals an Väter gestellt wird. Frauen mit Familie, besonders mit

Kindern werden noch immer anders beäugt, als Männer.

Liebe Schwestern, in diesem Zusammenhang fällt mir eine bissige Bemerkung von

Claudia Roth ein. Sie sagte einmal: "Es gibt Parteien, die singen Brüder zur Sonne

zur Freiheit. Und dann putzen die Frauen die Fenster, damit die Brüder die Sonne

sehen können."

Nun ich kam 1990 wegen der Quote auf die Thüringer Landesliste und zog deshalb

nach der Bundestagswahl in den Bundestag ein.

Ich war die 4. jüngste Abgeordnete, die jüngste Frau in der SPD-Fraktion. Übrigens,

die Geschichte mit dem Betriebskindergarten des Bundestages erzähle ich das

nächste Mal. Nur so viel; es gibt natürlich einen. Damals war der aber nur für Kinder

von Mitarbeiter_innen da. Das Abgeordnete auf die Idee kommen könnten, die

Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz ernst zu nehmen, war nicht vorgesehen.

Für heute ist mir wichtig mit dieser Anekdote zu zeigen: wir brauchen verbindliche

Regeln um mehr Frauen in die Politik zu bekommen. Ich bin eine Verfechterin der

Quote, auch für die Wirtschaft. Ohne die Quote hätte ich nie die Chance bekommen

zu zeigen was ich kann, als Abgeordnete, als Stellvertretende Fraktionsvorsitzende,

als Parlamentarische Staatssekretärin im Bau- und Verkehrsministerium und jetzt als

Parlamentarische Geschäftsführerin meiner Fraktion. Seit vier Jahren bin ich die

dienstälteste Bundestagsabgeordnete aller Thüringer Parteien.

Auch ich habe früher fast entschuldigend über die Quote geredet und mich ein

bisschen geschämt. Es klingt ja immer so, als würde Frau, obwohl sie weniger kann

als der Mann in Positionen gehievt. Das ist nicht der Fall. Ganz frech sage ich Ihnen,

die Quote ist dann überflüssig, wenn genauso viele dumme Frauen wie dumme

Männer in Parlamenten, Aufsichtsräten und anderen Gremien sitzen.

Natürlich hat mich meine Erfahrung die ich durch und mit der Macht gemacht habe,

auch diesbezüglich verändert. Ich bin selbstbewusster geworden. Ich weiß, auch

wenn Frauen nicht immer so auftrumpfen mit ihren Talenten, sich häufig sogar eher

weniger zutrauen, was Frauen alles schaffen.

Wir dürfen solche Instrumente wie die Quote nicht selber verspotten, nach dem

Motto: "Die Quote ist dafür da, dass Karriereziegen einen Job bekommen."

Deshalb bin ich auch dankbar für die überparteiliche Initiative vom 15. Dezember

2011. Damals haben sich Frauen aus unterschiedlichen Parteien, der Kunst und

Kultur, der Wirtschaft, eben aus vielen Lebensbereichen zusammengetan und die

"Berliner Erklärung" für eine verbindliche Quote geschrieben. Das ist ein gutes und

wichtiges Signal für verbindliche Regeln!

Aber nicht nur um Regeln geht es bei dem Thema, denn wir wollen ja nicht nur 50%

der Macht. Es gibt eine ganz praktische Forderung: Wir wollen auch 100% das

gleiche Geld für gleiche Arbeit. Es ist doch ein Skandal, dass Frauen in diesem Land

nur 78% von dem Lohn oder Gehalt verdienen, nein bekommen, was ihre

männlichen Kollegen kriegen.

Meine Damen, liebe Schwestern,

Vermutlich wird am kommenden Sonntag der Konvent der SPD die Entscheidung

treffen, in Verhandlungen mit der CDU/CSU zur Bildung einer "Großen Koalition"

einzutreten. Eine sehr große Koalition würde das werden, denn 80% der

Abgeordneten im Bundestag würden dieser Koalition angehören. Das ist mehr, als

man zur Änderung der Verfassung braucht. Unproblematisch ist das nicht.

Mal abgesehen davon, ob die Entscheidung für eine solche Koalition getroffen wird –

da gibt es ja noch Verhandlungen und dann ein Mitgliedervotum bei uns in der SPD –

eine solche Große Koalition ist, nachdem die Grünen aus den Verhandlungen

ausgestiegen sind, nur zu rechtfertigen, wenn sie auch große Projekte anpackt.

Große gesellschaftliche Fragen müssen beantwortet werden.

Wie gehen wir in der Flüchtlingspolitik weiter vor oder bei der Zuwanderung?

Welche Fortschritte gibt es bei der Friedenspolitik und der Rüstungskontrolle?

Welche Schritte gehen wir zur Vollendung der inneren Einheit unseres Landes, mit

einem in Ost uns West gleichen gesetzlichen Mindestlohn oder der Angleichung der

Rentensysteme Ost an West?

Und wie schaffen wir die Gleichstellung der Geschlechter, die zwar seit 60 Jahren im

Grundgesetz verankert ist, von der wir aber immer noch weit entfernt sind?

Meine lieben Schwestern,

mir würde folgendes Lied sehr gefallen: Schwestern zur Sonne zur Freiheit!

Wir könnten es gerne mit den Brüdern zusammen singen, wenn sie mit dem

Fensterputzen fertig sind.

Lasst uns also bei diesem Frauenmahl fröhlich miteinander Essen und Trinken, für

die Gesangseinlage ist gesorgt. Und lasst uns für große Ideen heute anfangen Netze

miteinander zu werken.

In diesem Sinne wünsche ich uns einen schönen Abend und ich danke Ihnen, dass

Sie mir zugehört haben.

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