Frauenmahl Tutzing 22.05.14
Die Wissenschafts-AG
Den Begriff habe ich der Wirtschaft entlehnt – Deutschland AG
Er geht ursprünglich auf einen englischen Wirtschaftswissenschaftler zurück, der Deutschland 1965 als „organized private enterprise“ – als eine Firma also – bezeichnete. Gemeint war: dass ein paar große Finanzinstitute die Industrie beherrschen. Durch die Beteiligungen entsteht ein dichtes Beziehungsgeflecht, in dem Aufsichtsräte und Vorstände immer aus demselben Kreis besetzt werden. Die Folge, so der Wirtschaftsmann: Deutschland als Organisation funktioniere, die „nach innen Konkurrenz begrenzt und nach außen Geschlossenheit anstrebt.“ Ein System, das Notabene, auch einen bestimmten Führungszirkel mit ähnlichen Eigenschaften – dunkle Nadelstreifen – perpetuiert hat.
Es heißt, die Deutschland AG bestehe in dieser extremen Form nicht mehr. Und auch wenn alle Vergleiche hinken. …Trotzdem hat die Wissenschaft – zumindest lange Zeit gehabt – etwas von einer AG.
Wie funktioniert Wissenschaft?
Renommee entsteht durch Veröffentlichungen und Zitate. Natürlich gelegentlich auch durch Preise, die Öffentlichkeit schaffen. Nobelpreis, Zukunftspreis. Generell aber bleiben die Akteure der Wissenschaft unter sich. Man kennt sich, man publiziert in Journalen, man trifft sich auf Tagungen, man rezensiert gegenseitig die Bücher. Wissenschaft ist ein selbst referenzielles System, es gleicht zuweilen einer Nabelschau, bei der die Gesellschaft außen vor bleibt.
Erschwerend kommt – besonders ausgeprägt in Deutschland – die Struktur hinzu. Ein Lehrstuhlinhaber oder Institutsdirektor regiert eine kleine Gruppe von Mitarbeitern. Das System hat feudalistische Züge – man denke zB an den Fall Guttenberg!
Die Internationalisierung hat das System zumindest in den Naturwissenschaften aufgeweicht. Ergebnisse werden in internationalen Fachjournalen publiziert, Stellen werden – zumindest – an den renommierten Forschungseinrichtungen gerne an ausländische Wissenschaftler vergeben.
Das verhindert allerdings nicht, dass die Inhalte der Forschung einem mainstream folgen. ..
Forscher sind davon überzeugt, dass sie mit dem akademischen Milieu die beste aller Welten geschaffen haben. Ein System, in dem sie selbst bestimmen, was erforscht wird. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft verteilt das Geld für die Forschung an den Universitäten – also Wissenschaftler entscheiden, woran ihre Kollegen arbeiten.Wo kommen da die Bedürfnisse der Gesellschaft ins Spiel? Wie und wann reden die Menschen mit, die Forschung finanzieren? Zu selten und zu wenig. Die Bundesregierung versucht, durch Forschungsförderung Schwerpunkte zu setzen. Aber Es fehlen die Mechanismen, über die die Gesellschaft mitreden kann.
Manchmal glaube ich, dass die Wissenschaft das auch gar nicht will. Forscher sagen dann: Warum muss ich immer eine Anwendung im Blick haben? Oder: Die Leute wollen alle, dass ich ein Medikament gegen Alzheimer entwickle. Oder: Die Leute verstehen das nicht. Sie können das nicht bewerten. Nur gelegentlich gelingt es, gesellschaftlichen Druck zu erzeugen: gegen gentechnische Forschung oder für mehr Studien über Brustkrebs oder für weniger Tierversuche. Man muss die Ergebnisse dieser Einflussnahme nicht notwendigerweise für richtig halten – aber es ist richtig, dass die Gesellschaft sich einmischt.
Allerdings fehlen die Mechanismen, für eine regelmäßige Interaktion mit der Gesellschaft. Die Medien versuchen, Ergebnisse zu vermitteln und Wissenschaft zu erklären. (Aber das reicht nicht – im Übrigen sind Wissenschaftsjournalisten Teil des Systems.)
Letztlich sind Forscher von der Gesellschaft bezahlt um einen Erkenntnisgewinn zu schaffen. Sie bekommen – anders als Abgeordnete – ein lebenslanges Mandat. Aber welchen Erkenntnisgewinn wünscht sich die Gesellschaft? Darüber wir zu wenig diskutiert.
Frauen benachteiligt?
Wie die She-Statistik der EU-Kommission zu Frauen in der Wissenschaft von 2012 zeigt, liegt der Frauenanteil unter den Studieren- den Europas derzeit bei 55 Prozent. Bei den Absolventen sind es sogar 59 Prozent, bei Doktoranden immerhin 46 Prozent und bei Professoren aller Stufen zusammen nur noch 20 Prozent.
In Deutschland sind nur elf Prozent der Spitzenposten außeruniversitärer Forschungseinrichtungen an Frauen vergeben und an den Universitäten beträgt ihr Anteil bei den W3-Lehrstühlen lediglich 15 Prozent.
Das System hat zwei große Nachteile: Erstens hat der Mechanismus bisher eine Forscher-Elite geschaffen, die sich selbst reproduziert: männlich und weiß. Zweitens wird Karriere im Alter zwischen 25 und 35 gemacht. Wer es bis dahin nicht geschafft hat, ist draußen. Die kritische Phase benachteiligt Frauen. Förderprogramme existieren – aber sie greifen nur langsam.
Bis jetzt bleibt Wissenschaft also ein in doppelten Sinne patriarchalisches System: männlich, aber auch bevormundend. Ein paar Patriarchen wissen, was gut für die Gesellschaft ist.
Mit Reformation im evangelischen System haben diese Überlegungen wenig zu tun – wohl aber mit notwendigen Reformen.
Wie können wir das ändern? Ich habe kein Patentrezept – außer den Marsch durch die Institutionen. Allerdings sehe ich auch die jungen Frauen in der Pflicht. Sie müssen Fächer studieren mit wissenschaftlichem Potential. Sie müssen sich dem harten Wettbewerb an den Hochschulen stellen. Man kann diese Strategie den „Marsch durch die Institutionen“ nennen wie in den Siebziger Jahren. Oder Reform von innen.