Karin Tschanz – Leitung Aus- und Weiterbildung Palliative Care, Ref. Landeskirche Aargaun

Tischreden zur Zukunft von Religion und Kirche Pionierinnen – Kirche auf neuen Wegen
Vertrauen am Lebensende – Sterben als Übergang

Zuerst möchte ich den Organisatorinnen gratulieren für dieses wunderschöne
FrauenKirchenFest Aargau und ich danke für die Ehre, hier eine Tischrede halten zu
dürfen.

Was brauchen wir, um am Lebensende vertrauen zu können?

1) Erstens, wir müssen uns mit dem eigenen Sterben befassen – ausgerechnet das,
dabei leben wir doch so gerne!

Wichtig sind Medizinische Infos über die Möglichkeiten von Schmerz- und
Symptombekämpfung
Über die Möglichkeiten der Unterstützung in der Betreuung: zu Hause in meinen
eigenen vier Wänden
Und über Möglichkeiten des Sterbens im Spital, im Heim oder im Hospiz.

Und: Wir können sehr vieles selbstbestimmen: zum Beispiel ob wir unser Leben
am Lebensende verlängern wollen, indem wir alle Angebote der Medizin
annehmen, oder es erhalten wollen durch Schmerz- und Symptomlinderung oder
ob wir gar auf alle lebensverlängernde Massnahmen verzichten wollen. Wir
haben die Wahl.

Und wissen Sie: Wir alle sind Glückspilze, weil wir in dieser Zeit und in diesem
Land wohnen, denn:
Wir haben Zugang zu Top-Medizin und zu Top-Pflege und das auch als allgemein
Versicherte.
Drei Viertel der Weltbevölkerung hat dieses Privileg nicht. Das gibt Vertrauen,
aber damit ist noch nicht gesagt, dass man Vertrauen am Lebensende hat!

2) Zweitens: Was uns am Lebensende Vertrauen gibt sind Menschen, die wir lieben,
und die uns lieben! Ganz simpel und einfach! Oder eben gerade sehr kompliziert?
Im Leben, am Lebensende und im Sterben brauchen wir Menschen, liebe
Menschen.

Im Buch von Bronnie Ware und Wibke Kuhn „5 Dinge, die Sterbende am meisten
bereuen: Einsichten, die ihr Leben verändern werden“ (Arkana Verlag, März
2013) beschreibt die Palliativpflegefachfrau, was Sterbende bereuten:
1 dass sie nicht den Mut hatten, sich selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie
andere es von mir erwarteten
2 dass sie sich selber nicht mehr Freude gegönnt hätten
3 dass sie nicht den Mut gehabt hätten, ihre Gefühle mehr auszudrücken
4 dass sie den Kontakt mit ihren Freunden nicht mehr gepflegt und gehalten
hätten
5 UND: sie schrieb, sie habe noch nie eine Sterbende sagen gehört: Ach hätte ich
doch nur mehr gearbeitet!

Deshalb ist es gut, uns jetzt bereits zu fragen: Wie steht es mit unseren
Beziehungen, denen zu unseren Liebsten, Partner/innen, Töchtern, Söhnen,
Müttern und Väter, Freundinnen und Kolleginnen?
Welche Beziehungen tun weh? Welche sind beglückend? Welche Beziehungen
sind abgebrochen? Mit wem sind wir unversöhnt? Wen vermissen wir in
unserem Leben?

Mit wem möchten wir wandern, singen, Kaffee trinken, lachen und weinen?
Beziehungen pflegen, Verletzungen ansprechen, Distanz überwinden, uns neu
miteinander auseinandersetzen, von einander lernen, miteinander unterwegs
sein, miteinander feiern und glücklich sein so wie heute Abend, das gibt
Vertrauen am Lebensende!

3) Drittens: Sich mit der Ewigkeit befassen, den letzten Dingen:
Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist der Sinn meines Lebens?
Es ist die Gretchen Frage in Goethes Faust: Wie hast Du’s mit der Religion?
Haben wir einen Draht zu Gott im Gebet?
Können wir mit ihm reden, wenn es uns gut und wenn es uns schlecht geht?
Erfahren wir Gott als Gegenüber?
Wissen wir uns von Gott geliebt, getröstet und gesegnet?
Oder habe wir Angst? Und, falls ja, wovor? Vor Strafe und Gericht?
Vor Ungenügen und Unsicherheit und Zweifel? Dass am Schluss vielleicht doch
alles nicht wahr ist?
Hier möchte ich euch die Geschichte der alten Melanie vorlesen:
Die alte Melanie hatte nicht mehr lange zu leben. Sie wartete geduldig und mit
getrostem Herzen auf den Augenblick ihres Abschies, um bei Christus zu sein,
dem sie durch viele Jahre hindurch gedient hatte. Unter denen, die sie besuchten,
befand sich ein junger Mann, der ihr eines Tages die beunruhigende Frage stellte:
– Und wenn Sie nach alledem, trotz Ihrer Gebete und Ihres Vertrauens zu Gott,
am Ende doch verloren wären! …
– Die alte Frau legte ihre rechte Hand auf die Bibel und schaute dem jungen
Mann in die Augen:
– He! Junger Mann, sind Sie erst soweit?
– Aber dann würde der liebe Gott am meisten verlieren! Es ist wahr, die arme
Melanie würde ihre Seele verlieren … Aber Gott würde dabei seinen Ruf
verlieren … (Herein, S. 54, Verlag/Editions Ouverture, 1052 Le Mont-sur-
Lausanne, Schweiz)

Entweder hat uns Jesus Christus erlöst, befreit, hat auf sich genommen, was wir
selber nicht tragen, aushalten und bewältigen können und uns den Zuspruch
gegeben, so wie dem Verbrecher neben ihm am Kreuz, oder wir machen uns
besser auf, nach diesem tröstenden, aufrichtenden, beglückenden Glauben zu
suchen, solange wir leben und dies können und noch etwas davon haben –
anstatt bis zu unserer letzten Stunde in Angst und Zweifel zu leben.

Ich will enden mit den für mich bewegendsten Worten von Jesus. Sie stehen in Lukasevangelium 23, 39-43:
Auch einer der Verbrecher, die mit Jesus gekreuzigt worden waren, lästerte: „Bist
du nun der Christus? Dann hilf dir selbst und uns!“ Aber der am anderen Kreuz
wies ihn zurecht: „Fürchtest du Gott nicht einmal jetzt, kurz vor dem Tod? Wir
werden hier zu Recht bestraft,. Wir haben dlen Tod verdient. Der hier aber ist
unschuldig: er hat nichts Böses getan“ Zu Jesus sagte er: „Denk an mich, wenn du in
dein Reich kommst!“ Da antwortete ihm Jesus: „Ich versichere dir: Noch heute
wirst du mit mir im Paradies sein.“

Genau das gibt Vertrauen im Leben und im Sterben – dieser Gott, der uns innigst
liebt, der uns in Jesus begegnet und dem Verbrecher am Kreuz und uns den
Zuspruch gibt:
Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein.

Das ist ein Wort.
Darauf vertraue ich im Übergang von diesem Leben in die Ewigkeit.

Wettingen, den 17. August 2018, Pfrn. Dr. Karin Tschanz

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