Kerstin Griese – MdB, Mitglied der Synode der EKD

Düsseldorf-Erkrath, 28.10.2012

Liebe Frauen,

vielen Dank für die Einladung!

„Essen, reden, reformieren…“ ist die Idee der Frauenmahle in der Luther-Dekade. Ein Austausch zur Zukunft von Religion und Kirche.

„Luther gelang es in seinen Tischreden, Theologie und Alltag überzeugend zu-sammen zu bringen“, so Ulrike Wagner-Rau, Professorin für Praktische Theologie und Mitorganisatorin des Marburger Frauenmahls. Das ist eine gute Idee auch für heute Abend. Sie haben mich gebeten, etwas zur Rolle von Kirche und Religion in der Gesellschaft und zu meinen Erwartungen als Politikerin an die Kirche zu sagen.

Als Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften meiner Fraktion und als eine der SprecherInnen des AK ChristInnen in der SPD erlebe ich oft die Konflikte an der Schnittstelle von Kirche und Politik.

7 Minuten, 3 Anliegen zur Zukunft von Kirche und Politik:

1. Mehr Frauen an die Macht!

Frauen haben klare Zukunftsvisionen, sind aber in Entscheidungsfunktionen in der Unterzahl. Das gilt für die Kirche ebenso wie für die Politik. Wir haben zwar eine Kanzlerin und eine Superintendentin, eine Luther-Botschafterin, aber noch lange keine echte Gleichstellung von Frauen und Männern in Kirche, Gesellschaft und Politik.

Im Bundestag haben wir knapp 33 % Frauen, in der Professorenschaft gerade mal 18 %. Gerade in dieser Woche wurde im Bundestag wieder ein Antrag mehrheit-lich abgelehnt, der schrittweise mehr Frauen in die Aufsichtsräte bringen sollte. In der Wirtschaft haben wir hier noch ein großes Defizit, in den Vorständen der gro-ßen Unternehmen finden sich nur sehr wenige Frauen. Und auch die EU-Kommissarin Vivienne Reding ist in dieser Woche in der EU-Kommission damit ge-scheitert, für große europäische Konzerne – schrittweise – einen Frauenanteil von 40 % in den Aufsichtsräten festzuschreiben.

In der Kirche gibt es die ersten Bischöfinnen, eine in Hamburg und eine in Mittel-deutschland, und eine Präses, in Westfalen. Aber auch hier sind es die Frauen, die die Arbeit vor Ort machen, die die Ehrenamtlichen in den Gemeinden sind und die immer noch nicht gleichberechtigt in der Leitung repräsentiert sind. Und das, ob-wohl wir sogar inzwischen mehr Theologiestudentinnen als –studenten haben.

2. Kirche soll sich offensiv in die Gesellschaft einmischen!

Allerorten wird über Werteverlust geklagt. Und gleichzeitig erlebe ich eine zu-nehmende Religionsfeindlichkeit, einen geradezu ideologischen und missionari-schen Atheismus. Da wünsche ich mir von meiner Kirche, offensiver zu sein und klar zu sagen, wofür wir als Christinnen und Christen in der Gesellschaft stehen. Wenn wir den solidarischen Zusammenhalt von Menschen gestalten und unter-stützen wollen, dann sind die Kirchen ganz wichtig, um Menschen zusammen zu bringen und davon zu überzeugen, sich füreinander und miteinander zu engagie-ren. Die Arbeit in unseren Kirchengemeinden und in der Diakonie ist ein Beispiel von gelebter Solidarität und Nächstenliebe. Das beginnt im Stadtteil, wenn in Ta-feln für arme Menschen Lebensmittel angeboten werden, aber auch gemeinsam gekocht wird, und das geht bis zur weltweiten Solidarität, wenn wir uns bei Brot für die Welt engagieren oder die Partnergemeinde auf einem anderen Kontinent unterstützen. Mir sind die christlichen Kirchen manchmal zu zaghaft. Sie könnten deutlicher und lauter den Mund aufmachen, wenn Armut immer größer wird und gleichzeitig auch der Reichtum wächst, wenn unverantwortlich mit der Schöpfung umgegangen wird. Kirche muss Stimme und Anwalt der Schwachen sein.

Ein gutes Beispiel aus dieser Woche: Evangelische und Katholische Kirche haben gemeinsam den Bundesinnenminister zur Mäßigung gemahnt, als er angesichts der Roma, die aus Serbien und Mazedonien fliehen, permanent von „Asylmiss-brauch“ gesprochen hat. Am gleichen Tag haben wir in Berlin das Denkmal für die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma Europas eingeweiht. Diese Menschen fliehen vor Wohnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und Gewalt, die Zustände unter denen die auf dem Balkan leben müssen, sind unvorstellbar. Auch war es nicht überraschend, dass mit dem Wintereinbruch mehr Flüchtlinge kom-men werden, es sind übrigens in der Gesamtzahl 11 % der Anzahl der Flüchtlinge, die Anfang der 90er Jahre pro Jahr gekommen sind, also eine sehr viel geringere Zahl. Dennoch ist jedes einzelne Schicksal wichtig und wir müssen sowohl das Recht auf einen Asylantrag jedem Einzelnen zugestehen, als auch endlich mehr gegen die unbeschreiblichen Zustände in den Herkunftsländern tun, aus denen sie fliehen. Übrigens hat den Bundesinnenminister die Mahnung der Kirchen nicht sonderlich beeindruckt, er hat sein Vorwürfe wiederholt und verschärft.

3. Ein Aufruf zu Toleranz und Klarheit der Religionen!

Wir erleben zur Zeit eine Radikalisierung von Religion, jeweils von kleinen Grup-pen innerhalb einer Religion. Am meisten wird sicherlich über islamischen Extre-mismus berichtet. Aber auch das, was wir von US-amerikanischen Evangelikalen hören, finde ich befremdlich und beunruhigend. Gerade jetzt im US-Wahlkampf liest und sieht man, dass dortige Gruppen eigentlich die Demokratie aushebeln wollen. Extreme Gruppen fallen auf, auch wenn sie nur eine Minderheit sind. Auch Antireligiöse werden immer aggressiver und intoleranter.

Was ist da nötig? Erst einmal Toleranz der Religionen untereinander und mitei-nander. Um tolerant zu sein, muss man die eigene Religion gut kennen und viel über sie wissen. Deshalb bin ich auch für einen bekenntnisorientierten Religions-unterricht, bei dem man sowohl die eigene Religion als auch andere gut kennen lernt. Nur, wenn man selbst einen Standpunkt hat, kann man andere einordnen, verstehen und akzeptieren. Deshalb brauchen wir zweitens die kritische Ausei-nandersetzung und Klarheit. Wenn innerhalb einer Religion z. Bsp. gepredigt wird, dass Frauen nicht gleichberechtigt sind, dann müssen wir das klar kritisieren und können das eben nicht akzeptieren.

Ich wünsche mir eine offene Kirche und engagierte Gemeinden, die vor Ort sich gegenseitig in Kirchen, Synagogen und Moscheen besuchen und deren Mitglieder sich und ihre Religion kennen. Dann können Extreme keine Macht gewinnen.

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