Tischrede 17.August zum 23. Frauenmahl
Von Kerstin Rödiger
Es freut mich sehr hier an meinem ersten Frauenmahl im Kanton Aargau teilzunehmen und es freut mich sehr von dem erzählen zu dürfen, was mich umtreibt. Sie haben es gehört, seit 2 Jahren bin ich am Universitätsspital Basel als Seelsorgerin tätig, nachdem ich vorher 16 Jahre in Pfarreien in BL gearbeitet habe.
Andererseits fühl ich mich gar nicht als Pionierin, denn das, von dem ich hier rede, das gibt es seitdem es Menschen gibt. Seitdem es Menschen gibt, werden Menschen geboren. Es ist ein uraltes Geschehen und viele von ihnen haben auch ihre eigenen Erfahrungen gemacht.
Wenn ich «von dem» rede, meine ich damit den ganzen Prozess von Schwanger werden, Schwangerschaft, Geburt, Eltern werden und die frühe Zeit der Elternschaft. Ich nenne das oft, das Geschehen am Lebensanfang.
Ja, was kann ich da erzählen.
Nun, zuerst möchte ich betonen ich bin nicht allein unterwegs. Es gibt Sie, als zuhörende Frauen, die es erleben und erfahren haben, es gibt meine KollegInnen und Freundinnen, mit denen ich immer wieder darüber erzähle und austausche. Es gibt Monika Hungerbühler in Basel mit einer ersten Segensfeier für Schwangere dort. Es gibt Ina Prätorius, Hanna Strack, Hannah Arendt und andere Vordenkerinnen, Theologinnen und Philosophinnen, die sich mit dem Thema beschäftigt haben. Ich habe das Thema nicht erfunden.
Aber warum braucht es dafür überhaupt Pionierinnenarbeit?
Warum braucht es Pioniersarbeit?
Ich muss zugegen, am Anfang steht meine ganz persönliche Erfahrung vor 9 Jahren, als ich als ausgebildete Theologin nicht darauf vorbereitet war, dass diese Erfahrungen um den Lebensanfang mich so durcheinanderbringen würden. Sie brachte mich dem Himmel, aber auch meinen Ängsten näher. Und seitdem beschäftigt mich das Thema. In einer Projektarbeit für das Bistum Basel erforschten wir das Thema durch Interviews. Es nahm uns Wunder, ob und wie Lebensanfang mit Spiritualität in Verbindung gebracht wird. Wir befragten frisch gebackene Mütter, Schwangere und auch Frauen, deren Erfahrung damit schon länger her war. Als wir diese nach ihren spirituellen Momenten in dieser Zeit fragten, konnten viele darauf nicht unmittelbar antworten, zumindest nicht unter dem Titel «Spiritualität». Auch Frauen die im Glauben unterwegs sind, hatten kaum Worte und Zeichen, um dies zu benennen. Woran liegt das? Das ist nun meine These, oder mein Anliegen:
Es hat auch mit uns Kirche zu tun.
Früher gab es Angebote dafür, die oft mit Maria zu tun hatten. Es gab Pilgerorte, zu denen frau sich aufmachte, wenn sie schwanger werden wollte, oder schwanger war. Sie konnte einen Bauchgurt um eine Maria legen und diesen dann anziehen. Es gab die Aussegnung nach dem Kindbett. Diese Formen verheben heute nicht mehr. Das ist klar. Aber was haben wir stattdessen? Wie und wo können wir Räume eröffnen, um diesem Heiligen, diesem brennenden Dornbusch, diesem Unfassbaren Worte und Raum zu geben?
Ich habe einen Satz gelesen, dass es nämlich etwas über unsere Kultur aussagt, wie wir unsere Neugeborenen empfangen. Ja, wie empfangen wir sie? Mir fielen da tatsächlich diese Comicfiguren auf, die an den Häusern das freudige Ereignis bekannt machen. Also Tigerente und Co empfangen die Neugeborenen.
Die Neugeborenen empfangen, das wurde mir Auftrag und Aufgabe.
Den Raum des Vertrauens öffnen
Ich habe ihnen eine Karte mitgebracht, auf dieser steht «Im Vertrauen wachsen». So nenne ich diese Arbeit, um den Raum für den brennenden Dornbusch zu eröffnen, es gebe auch andere Namensmöglichkeiten. Aber in der schon erwähnten Projektarbeit merkten wir, dass die Frauen uns sehr wohl von spirituellen Momenten erzählen konnten, wenn wir diese mit «Vertrauen» übersetzten. Wenn wir nach Vertrauen und nach den Ängsten fragten, dann haben diese Frauen erzählen können. Und es wird deutlich, dass es angesichts eines neuwerdenden Lebens eine ganz natürliche Verbindung zum Wundern und Staunen gibt. Aber auf der andern Seite gibt es ein grosses Schweigen.
Die Stille gehört sicher auch zum Geheimnis. Nicht alles ist mit Worten fassbar, nicht alles kann man bereden und benennen. Aber es gibt einen Teil des Schweigens, der doch gefüllt werden darf. Es lohnt sich darüber zu reden, wie wir Neugeborene empfangen? Es lohnt sich darüber zu reden, was ich mache, wenn ich Angst habe, wie ich Vertrauen stärken kann. Tatsache ist doch, dass die Kirche dafür wenig anbietet, die Taufe ist erst danach.
Experimente
Nun habe ich das Glück, dass ich im Spital arbeiten darf. Dort kann ich mit diesen Fragen experimentieren. Wohlgemerkt arbeite ich in einem säkularen Umfeld, etwa ein Drittel ist überhaupt noch religiös gebunden. Mein Auftrag ist nicht, nur zu den katholischen oder evangelischen zu gehen, sondern mein Auftrag ist es zu den Menschen zu gehen.
Und ich darf, das ist Pioniersarbeit meiner KollegInnen, die Schwangerenabteilung und Mutter-Kind-Abteilung zusammen begleiten. So begegne ich regelmässig genau diese Fragen, Ängsten und auch das Staunen und Wundern. Immer wieder begegne ich grosser Not und Angst. Eine mögliche Antwort darauf ist das Messen und Wiegen, und das hilft für den Moment. Aber sobald das Gerät abgehängt ist, kommen die Fragen wieder.
Ist es nicht eine Grundaufgabe, überhaupt von uns Menschen, im Vertrauen zu wachsen?
Wohlgemerkt geht es mir überhaupt nicht darum, die Medizin gegen dieses Vertrauen auszuspielen. Es kommen aber verschiedene Dimensionen des Lebens hier zusammen. Neben dem Medizinischen ist es wichtig, das Vertrauen zu stärken und darin zu wachsen. Denn nicht alles ist mach- und kontrollierbar, aber sie müssen durchhalten. Die Frauen etwa, die dort oft wochenlang liegen und einfach nur warten bewundere ich. Ich sage ihnen, sie leisten hier eine grosse Arbeit.
In der Mutter-Kind-Abteilung möchte ich die Neugeborenen begrüssen. Ich gehe nicht gezielt nur dorthin, wo es besonders schwierig war, sondern auch zu denen, wo alles «ganz normal» verlief. Denn Geburt ist immer eine Grenzerfahrung, es ist da immer was los. Es ist der brennende Dornbusch, das Heilige purzelt vor unserer Nase auf die Erde. Und es passiert so körperlich spürbar. Es geht mir hier nicht darum Männer auszuschliessen, denn auch bei Ihnen passiert ganz viel, in mancher Hinsicht anders, aber auch für Sie ist dieser Lebensanfang ein sinnlich spürbares Geschehen.
Mir ist dieses Bändchen aus der Fastenaktion von Misereor begegnet. Ich kenne diese «fithinhas» aus Brasilien, sie gehören dort in fast jede Kirche.
Ich komme also ins Gespräch, frage nach der Geburt. Da kommt oft ganz viel, der plötzliche Kaiserschnitt, die Schnelligkeit, die Heftigkeit, die unglaublichen Schmerzen, die Ewigkeit, die es dauerte. Zum einen machen ich den Frauen dann Mut, dieser Erfahrung Raum zu geben und sich einzugestehen, sie verdauen zu müssen. Aber dann möchte ich einen Raum öffnen, um dieses Wunder hier zu feiern und willkommen zu heissen. Ich sage, dass ich gute Wünsche dabeihabe, und ob ich sie vorlesen darf. Und ganz oft sagen sie ja. Ich lese dann dies vor:
«Elisabet (Name des Kindes) Gott segne dich. Gott gebe dir Brot, das du mit anderen teilen kannst, Gott gebe dir Orte des Friedens und Menschen mit denen du lachen magst. Herzlich Willkommen auf dieser Welt. Mach sie zu deiner.»
Und so oft krieg ich eine Gänsehaut. Und so oft fliessen Tränen. Und so oft sind die Menschen so dankbar, für diesen Raum, der sich in den 2 Minuten geöffnet hat für das andere.
Übersetzungsarbeit ist Pioniersarbeit
Ich glaube die Kirche ist den Menschen so etwas schuldig. Solche Angebote um Raum für das Andere zu schaffen. Das ist doch unser Job, dafür sind wir da. Aber es braucht Übersetzungsarbeit in einen säkularen Raum hinein damit die Zeichen verstanden werden können. Aber es ist möglich.
Ich bin insofern Pionierin, da einen ja gerade Widerstände dazu machen. Ich habe grosse Widerstände erfahren. Auch von TheologInnen. Es kommen Fragen, was hat das mit Pastoral zu tun, mit Theologie. Aber es entwickelt sich, so führen wir die Segensfeiern für den Lebensanfang ökumenisch fort und lassen den Raum für das Vertrauen wachsen und spriessen. Danke fürs Zuhören.