Kirsten Fehrs – Bischöfin der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland

1. Dithmarscher Frauenmahl am 4. Mai 2017
„Frauen feiern Vielfalt“ – Tischrede zur Theologie
Von Bischöfin Kirsten Fehrs
Es gilt das gesprochene Wort
 
Und nun also die Theologie nach dem Dessert
Und das, obwohl die Theologie ja zumeist als Schwarzbrot verstanden sein möchte, ist es doch gerade ein aufgeklärter Glaube, um den es uns Protestantinnen seit Katharina von Bora geht: Ein Glaube, der eben nicht die einfachen Antworten liebt und deshalb schon gar nicht leichte Fragen aufwirft. Und der deshalb immer wieder alle zum Tisch des Herrn einlädt respektive zum Frauenmahl, um darüber zu reden. Am liebsten miteinander. Der Dialog ist die Würze in des Luthers Käthchens Kantine.
Nun denn, nehmen wir sie, ich meine die Theologie, als gehaltvollen Dijestif, kurz und prozentig – ich freue mich bei Ihnen zu sein. In Dithmarschen. Geliebt von mir immer schon in seiner Vielseitigkeit – zwischen Deich und Schaf, weißer und Wind-Industrie, zwischen Lebensformen-, Parteien- und Friedenspolitik-Querungen …., das Leben ist bunt.
Gut so.
Sehr gut sogar. Siehe, es war sehr gut. So resümiert es der Schöpfer, als er sich nach getaner Tat (ein wenig erschöpft mag er wie wir jetzt am Kantinen-Tisch gesessen haben und sich zurückgelehnt), als er sich also gehörig zufrieden seinen gerade erschaffenen Erdengarten anschaut. Keine Art gleicht der anderen, tatsächlich hat jedes Wesen seine eigene DNA. So hatte er sich das vorgestellt! Der Baum des Lebens ist eine einzige Vielfrucht, das Licht einzigartig farbentrunken, die Wasser sind blau wie die Himmel und die Hummel kann tatsächlich fliegen, obwohl das aerodynamisch bei diesem Pummelchen eigentlich gar nicht funktionieren kann. Ha, ausgetrickst!
Das Leben ist höchst divers. Von allem Anfang an. Ja, sogar Gott selbst ist divers.
Eine einzige, großartige, vom Menschen unfassbare Vielseitigkeit. Denn gleich zu Beginn der Bibel steht´s: Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde
und siehe er schuf sie als Mann und Frau.
Heißt ja erstens: Gott ist mindestens zwei, Mann und Frau. Von allem Anfang an also: Es lebe (und es lebt!) der Unterschied! In Gott selbst. Und seinen Ebenbildern.
Von der Schöpfung her ist der Unterschied Programm. Angelegt anstatt befürchtet.
Nicht im jeweils Gleichen entsteht Ergänzung, sondern der Unterschied erst macht uns vollständig. Adam braucht Eva als eine Hilfe, ein Gegenüber, heißt es in der jüdischen Tradition. Erst im Gegenüber zum Du kann ich „Ich“ sagen. Im Gegenüber mit dem Fremden entsteht das Selbst. Die Identität. Auch die Identität einer Gesellschaft.
Im Dialog erst entwickelt sich die Sicherheit. So wichtig diese Botschaft in einer Zeit, in der Gespräche abgebrochen werden und Meinungsfreiheit bedroht ist.
 
Der Mensch als Gottes Ebenbild – das bedeutet zweitens: Gott verleiht jedem Menschen seinen Wert des Lebens. Nicht der Mensch. Zum Glück. Denn was wäre das auch, mit Verlaub, für ein eingeschränkter, weil immer nur partiell gerechter, interessengesteuerter Maßstab?! Nein, unabhängig von Geschlecht, Handicap, Herkunft, gesellschaftlichem Ansehen, unabhängig von Leistung und Gewinn, ist jedes Individuum grenzenlos wertvoll. Weil jeder Mensch von Gott selbst begabt ist.
 
Und daraus folgt drittes: Frau wie Mann ist gefordert, jedes Leben zu schützen. Auch wenn ich es nicht verstehe. Du darfst nicht töten – weil du damit immer Gott direkt angehst. Darin ist dann in jedem Fall jeder Mensch gleich, ob Frau oder Mann, Muslim oder Jüdin, Kind oder Greis: jedes Geschöpf hat eine Würde, die unantastbar ist.
So wie Gott unantastbar – oder hebräisch übersetzt: heilig – ist. Aus diesem Gedanken heraus, der ja zugleich den ersten Satz unseres Grundgesetzes bildet, leiten sich elementare ethische Haltungen ab. Und Haltung, meine lieben Schwestern, die ist gerade jetzt gefragt. Mir brennt das aktuell gerade im Blick auf einen G 20 Gipfel in Hamburg auf den Nägeln, werden sich dort doch auch wenig wertesichere Präsidenten die Hände reichen wie Trump, Erdogan, Putin…. Haltung, die heißt: Freiheit für die Unterschiedlichkeit in Meinung, Religion, Herkunft. Solidarität, uneingeschränkt, mit der Demokratie, auch wenn sie Arbeit bedeutet, klar! Freiheit, die nur eine ist, wenn sie sich, wie Luther sagt, begrenzen lässt durch die Nächstenliebe. Das Leben ist zutiefst geliebt. Und deshalb zu würdigen. Vom ersten bis zum letzten Atemzug. Es ist nicht zur Zerstörung, Verunglimpfung, iskriminierung freigegeben. Und auch nicht beiseite geschoben, die Nächste, lieblos oder hilflos.
Und so ist die Unantastbarkeit der Würde ein höchst aktives Unterfangen, das einen auch selbst an Grenzen bringen kann (Beispiel: interreligiöser Diskurs ist so richtig wie anstrengend). Es gibt viel zu tun. Sie merken, liebe Schwestern, mein Gottesbild ist ein einziges Diversity-Management. Weil zuallererst Gott mehr ist als Mann oder Frau; er ist alles, was es gibt. Und deshalb ist da keine Furcht vor der Liebe – weder der von Frau zu Mann, Mann zu Mann, Frau zu Frau, oder vom Hirten zum Lamm, von der Mutter zum Kind. Und von Gottmutter zum Gotteskind natürlich auch.
Wenn es denn nun nach dem Dessert auch theologisch Butter bei die Fische geben soll, kommen wir ja nicht herum um die Querungen. Auch Gott anders, weiter zu denken, dazu ja gibt es Frauenmahl und Frauenwerk.
Et volià – sehe ich also, wie Gottmutter an ihrem Küchentisch sitzt. Ein wenig erschöpft von der ganzen Arbeit heute. Sie blättert wie so oft in dem alten Buch der Erinnerungen. Ja, so war die Welt, als sie neu war, denkt sie und meine Kinder – sie waren so jung! Und sie sieht uns vor sich mit all den wunderschönen Farben unserer Haut, mit all den verschiedenen Formen uns zu freuen und zu tanzen. Sie bewundert all unsere Errungenschaften: die Lieder, die wir gesungen, die Ideen, die wir gesponnen haben, all die Arbeit, die wir in den Tafeln und Suppenküchen der Welt geleistet haben.
Dann gibt es Seiten in diesem Buch, die sie traurig machen. Ihre Kinder, die ihre Heimat Erde zerstören, die sie ihnen geschaffen hat. Geschwister, die einander Schmerzen zufügen und in Ketten legen. Und sie denkt an all die Kinder, die sie verloren hat durch Krieg und Hunger und Flucht, durch Unfall und Krankheit.
Und sie denkt, wie gut es wäre, wenn sie das alles mal wieder mit uns teilen könnte.
Sie würde uns so gern an ihrem Tisch bewirten und dann, wenn das Dessert durch ist, sagen: Und nun, „Lass dich einmal anschauen.“ Und dann sieht Gott mit einem einzigen Blick unser ganzes Leben: Das, was neu geboren werden will, vielleicht schon bald, und das, was längst für uns gestorben ist. Sie sieht unser großes Glück, diese Dankbarkeit gerade in diesem Moment, und sie versteht unseren Kummer. Sie sieht uns, als wir jung waren und dachten, dass es nichts gäbe, was wir nicht tun könnten. Und sie sieht uns in unseren späteren Jahren, als schon vieles gelebt und entschieden war, war es immer gut? Und dann würde Gott sagen: „Und nun erzähl mir, wie geht es dir?“ Endlich können wir alles sagen, wie es ist: Wen wir lieben, was so wunderschön ist, aber auch was wir zerbrochen und verloren haben. Was uns wütend und ängstlich macht und ungerecht. —-
Wenn es endlich nichts mehr zu sagen gibt, beginnt Gott zu summen und versetzt uns zurück in eine Zeit, als wir aufgewühlt durch die Bewegung der Welt nicht einschlafen konnten. Und wir erinnern uns, wie sie uns getragen hat, hin und her. Das war‘s, wo wir lernten, Tränen abzuwischen. Von ihr lernten wir, jemanden im Schmerz zu trösten, Leiden zu lindern. Bis heute. Nebenan in der Flüchtlingsunterkunft und morgen im Hospiz.
Und wir merken: Es war ein guter Besuch. Ein gutes Gespräch miteinander. Und wir können gehen. Unseren Weg. Mit viel Segen im Rücken. Gott steht in der Tür und sieht uns nach. (Fast) alles. Dass wir nur gut durchs Leben kommen, denkt sie. Dass wir klug bleiben und schwesterlich und besonnen und uns ja nicht fürchten. Aber sie ist ja da, denkt Gott, und lässt die Tür offen. So dass wir jederzeit wieder kommen können. Und sie freut sich, auf jede und jeden einzelnen. So unterschiedlich wir sind.

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