Frauenmahl Hamm am 5. September 2014
Liebe Schwestern, kluge Frauen,
unüberhörbar will ich heute sein! Deshalb schreibe ich Euch. Ich spreche zu Euch als Frau des 16. Jahrhunderts. „Ich habe euch kein Weibergeschwätz geschrieben, sondern das Wort Gottes als ein Mitglied der Kirche“. Ich, Argula von Grumbach – verstummt bin ich schon einmal. Doch diesmal will ich mich nicht wieder zum Schweigen bringen lassen. Wie schon vor bald 500 Jahren will ich heute mir erneut Gehör vor Euren geneigten Ohren verschaffen; wie damals – als ich den Großen und Mächtigen des Landes schrieb – habe ich wieder zu Papier und Federkiel gegriffen. Und wie damals – will ich Euch auch diesmal kein Weibergeschwätz überbringen. Und wie damals ist meine einzige Bedingung, dass wir nicht auf Latein korrespondieren, denn ich bin in Unkenntnis über diese Sprache. Die Gelehrten und mächtigen Männer des Landes nutzten sie nur – so dünkt es mich, um ihre Gedanken zu verbergen. Doch mit Euch will ich offen sprechen … und werde mich nicht wieder verbannen lassen ins Haus, in die Unsichtbarkeit.
Und ihr Gelehrten, ihr Reformatoren, ihr Herrscher – all ihr starken und weisen Männer im Lande, wisst ihr was: heute gehört die Küche und auch die Kinder euch. Aber die Kirche, nein die nicht! Da bin ich mit Euch, kluge Frauen, heute ungestört. Da will ich heute mit Euch darüber reden, was es heißt, eine Reformatorin zu sein. Hier ist ein guter Ort, um mit Euch anzufangen, über Reformatorinnen zu sprechen. Was Ihr kennt keine Reformatorinnen? Nur männliche Reformatoren wie Martin Luther, Johannes Calvin und Huldrich Zwingli? Ach, das macht nicht, dafür bin ich ja da!: gestatten Argula von Grumbach, Fränkische Freifrau, Flugschriftenautorin mit Bestsellerquoten und Reformatorin!
Alles begann, wie so vieles mit einer Affäre. Und Affären kennt auch Ihr ja zur Genüge, ob sie nun NSA-, Barschel- oder Dreyfussaffäre heißen. Die meine hieß die Seehofer-Affäre. Und um es gleich vorwegzunehmen: Er ist wohl ein ferner Vorfahre des CSU-Oberindianers Horst Seehofer, ebenfalls ein Ingolstädter. Doch nun hört, wie es dem armen Vorfahren ergangen ist. Ganz begeistert von den Ideen der Reformation, wollte der 18-jährige Asarcius Seehofer diese ausgerechnet im stockkatholischen Ingolstadt verbreiten. Das war dort strengstens verboten und unter höchste Strafe gestellt. Es ist dem jungen Mann natürlich nicht gut bekommen, er bekam einen Ketzerprozess und was noch schlimmer ist, keiner setzte sich für ihn ein, obwohl alle bis hin zu Luther Kenntnis von der Sache hatten. Zu heikel, zu politisch, wiegelten alle ab. Doch: Soll man schweigen, wenn man Unrecht sieht? Soll man wegsehen, wenn es um Rede- und Meinungsfreiheit geht? Ich konnte es nicht. Und das Unerhörte geschah: als Frau schrieb ich mir die Finger wund, nahm es mit der Professorenschaft der altehrwürdigen Ingolstädter Universität auf, legte Widerspruch beim bayerischen Herzog ein, setzte mich für den armen Theolgiestudenten ein, wo immer es ging. Antwort bekam ich jedoch nie von einem der mächtigen Männer, an die mein Wort richtete.
Ob ich denn von allen guten Geistern verlassen wäre, fragt ihr, als Frau im 16. Jahrhundert sich einzumischen? Ganz im Gegenteil: ich fühlte mich von guten Mächten wunderbar geborgen, denn das ist doch der Kern der reformatorischen Botschaft: Sie führt auf eine in allen Fasern wie Dimensionen menschlicher Existenz spürbare Lebenshaltung. Die eigentliche Nagelprobe dieser Lebenshaltung ist für mich: getrost sterben zu können und sich nicht fürchten vor den Mächten dieser Welt!
Indem ich der Männerwelt die Stirn bot, bin ich – etwas unfreiwillig zwar – über Nacht zum Shootingstar der Reformation, zu einer Reformatorin geworden. Doch eines lasst Euch gesagt sein, es geht nicht darum im Rampenlicht zu stehen, die Aufmerksamkeit der Vielen zu bekommen für den Augenblick, nein es geht darum, auch wenn der Glanz des Besonderen längst erloschen ist, wenn das Blatt des Lebens sich wendet, dem eigenen Gewissen zu folgen. „Man nennt mich lutherisch, ich bin es aber nicht. Ich bin im Namen Christi getauft – ihn bekenne ich, nicht Luther. […] Gott helfe, dass wir solches nimmermehr verleugnen, weder durch Schmach, Schande, Kerker, Peinigung noch durch den Tod“. Gott verleihe uns die Kraft, immer unserem Gewissen zu folgen.
Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern, und die anderen Windmühlen. Ich hätte gerne weiter an den Windmühlen gebaut, doch die Macht der Mächtigen verwies mich in ihre Schranken und baute um mich eine Mauer.
Ob ich mit meinem Gott gehadert habe, fragt ihr. Ach wisst Ihr, er ist es gewohnt, dass wir mit ihm hadern. Hauptsache ist doch, dass er nicht mit uns hadert – Grund hätte er ja manch ein Mal genug. Aber er hat uns eine großartige Zusage gegeben, eine die jede eigene Verzagtheit hinfort trägt. Schon oft haben mir diese Worte aus dem Alten Testament Trost gespendet – sie lauten: „So wenig wie die Mutter ihres saugenden Kindes mag vergessen, so wenig mag Gott unserer vergessen“.
Ich habe zwar zu Ohren bekommen, „wie sich etliche über mich erzürnten, so dass sie nicht wissen, wie sie es nur anstellen können, dass ich vom Leben in den Tod käme.“ Ja, die Finger sollte man mir abhacken, wird gesagt, damit ich endlich aufhöre mich einzumischen. „Ich weiß aber, dass sie mir nicht schaden werden, solange ich in der Gewalt Gottes stehe, denn er wird mich wohl erhalten“.
Darum lasst Euch gesagt sein: Reformatorin zu sein, ist nichts, was in einer Gelehrtenstube stattfindet, es ist nichts, was alleine im stillen Kämmerlein gelebt werden kann, aber es ist auch nichts, was moralinsauere Besserwisserei ist; Reformatorin sein beginnt an Orten wie diesen. Reformatorinnen sind wir – ich genauso wie Ihr – wenn wir uns die radikale Freiheit nehmen zur Einmischung in die Welt. Dazu braucht es die vertrauensvolle Geschwisterlichkeit des geteilten Tisches und Klugheit.
Es ist still um mich geworden. Meine Finger habe ich noch, aber ich habe viel verloren. Meine Kinder, meine Familie und meine Stimme. Bin ich gescheitert? Nein. Das lernt von mir als einer Frau der Reformationszeit: Ich habe einen Anfang gemacht. Ich habe ernst gemacht mit dem Gedanken, dass das Priestertum aller Getauften nur dann ein Priestertum ALLER ist, wenn wir einander anerkennen und Vertrauen schenken, egal ob wir Männer oder Frauen sind, egal ob schwarz, rot oder weiß, egal ob klein oder groß. Die Fähigkeit, immer wieder neu anfangen zu können und eben nicht ein für alle Mal definiert zu sein in meiner Rolle als Frau, setzt voraus, Vertrauen zu haben, dass sich ethische Einstellungen und gesellschaftliche Überzeugungen ändern werden. Und ganz wichtig, tragt selbst aktiv dazu bei – so wie ich.
Lasst die Männer durch Schaden klug werden, liebe Schwestern und kluge Frauen, uns lasst lieber gemeinsam klug werden. Gewiss, der große Martinus hat da bei den Tischmahlen mit den Männern seiner Zeit schon mal Frechheiten von sich gegeben, wie die folgende: „Es ist kein Rock, der einer Frau oder Jungfrau so übel ansteht, als wenn sie klug sein will“.
Aber ich sage Euch nun in dieser Tischgemeinschaft, so wie ich es schon zuvor geschrieben habe: „Ja, wenn ich allein sterbe, so werden doch hundert Frauen wider [diese Frechheiten] sprechen. Denn ihrer sind viele, die belesener und klüger als ich sind.“
So sehet und schmecket nun eure Klugheit, während ich mich mit einem Wort des Dankes von Euch verabschiede
Eure Argula