Luise Becker – Zentrum für Islamische Frauenforschung, Köln

Schwerte, 24.05.2013

Her mit dem guten Leben

Der Titel steht im Imperativ: Her damit, wir wollen ein gutes Leben! Jedoch lässt uns die Forderung mit der Frage zurück, was ist denn ein gutes Leben?

Heute Abend bei diesem guten Essen scheint die Frage leicht zu beantworten: Nicht nur einfach den Hunger stillen – obwohl dies schon für viele Menschen unerreichbar ist – sondern Köstlichkeiten genießen im geselligen Zusammensein mit Menschen die offenbar die gleiche Frage bewegt. 

Ich habe mich gefragt, ob jeder die Frage nach dem guten Leben radikal subjektiv beantwortet oder ob wir uns doch noch als Solidargemeinschaft verstehen, in der wir uns bei der  Frage nach dem guten Leben auf der Grundlage ganz bestimmter Werte des guten Lebens – für alle – verständigen. 

So habe ich mir gedacht, mal schauen, was sagen andere dazu, die sich vielleicht von berufswegen mit dieser Frage näher beschäftigen und hoffte bei Philosophen und Sozialwissenschaftlern Erhellendes zu finden. Wenn man die Frage allerdings “googelt“ kommt als erster Beitrag die  Huk Coburg Versicherung. Hmmh…demnach das Versprechen,  sich  gegen ein nicht gutes Leben versichern zu können. Ich denke das ist ein Ausdruck unserer Zeit. Wir haben meist wenig Muße zum Nachdenken über essentielle Fragen  und in der Hektik und den Ängsten unseres Alltags versuchen wir uns durch materielle Absicherung gegen jede Möglichkeit des Scheiterns zu versichern; irgendwer wird es schon richten. Als sich die Gesellschaft noch nicht so stark individualisiert hatte,  konnte die Frage wahrscheinlich leichter beantwortet werden. 

Ein gutes Leben war ein Leben dessen Sinnhaftigkeit definierbar schien und durch Normen und  Werte einen stabilen Rahmen vermittelte.   

Nachdem uns heute aber unendlich viele Optionen offenstehen, tun wir uns eher schwerer Alternativen zum ehemals Eindeutigen, dem jetzt Verlorenen zu finden.

Was ein gutes Leben ausmacht, scheint ganz und gar  abhängig zu sein von den individuellen Neigungen und Wünschen des Fragestellers und so beantworten wir sie heute eben autonom.  Ich frage mich jedoch, kann die Frage nach dem guten Leben ohne die Diskussion über Ethik und Moral für alle in dieser Welt denn überhaupt beantwortet werden? Her mit dem guten Leben schreien auf unserem Planeten mehr als Zweidrittel der Menschen und nonverbal auch die Natur und mir scheint, wenn wir ihre Stimmen weiterhin überhören, wird sich die Unmöglichkeit der Verwirklichung eines guten Lebens bald auf uns alle ausdehnen, denn es kann wohl nicht sein dass uns nicht ereilt, was wir anderen unberechtigter Weise vorenthalten. Ganz im Kontext dieses Mahls könnten wir doppeldeutig auch sagen: „Es ist angerichtet!“ Wir haben es angerichtet! 

Alle Menschen sind gleich – sagt sich leicht und dass wir es seit mehr als einem halben Jahrhundert niedergeschrieben haben beruhigt uns, wir haben es schwarz auf weiß! Aber genau so könnte man festschreiben, das Leben ist ungut, zumindest für den Großteil der Menschen. Wir jonglieren mit dem Begriff Gerechtigkeit und bringen sie für die anderen und oft auch für uns selbst – trotz allen Fortschritts – immer weniger zustande. 

Früher hatten wir Gott, dem wir Fragen stellen konnten, und der uns Antworten gab, heute ist Religion Vielen obsolet. Jedenfalls nach dem offiziellen säkularen Diktum scheint der Glaube in der Postmoderne  kaum mehr wahrnehmbar, in der Öffentlichkeit eher als nostalgische Folklore. Im Wissenschaftsbetrieb ist ihr terminologisch unter der Rubrik Philosophie noch ein gewisser Raum geblieben. Aber mit dem großen Paradigmenwechsel der Aufklärung haben wir das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Spät erkennen wir, dass wir nun für alles selbst verantwortlich sind, nichts mehr können wir in seine Hände legen, Gott nichts mehr anheimstellen, nichts mehr ihm anvertrauen, da wir ihn ja nicht mehr in seiner Selbstoffenbarung akzeptieren, sondern ihm – wenn überhaupt – nach unserer Definition einen Platz zuweisen. 

Was macht das aber mit uns? Finden wir alleine Antworten zum Anfang und zum Ende unseres Lebens und zu dessen Sinnhaftigkeit? 

Was wäre für mich persönlich als muslimische Frau in einer postmodernen säkularen Gesellschaft ein gutes Leben? Schaue ich auf meine eigenen Grundlagen so habe ich in der Offenbarung  des Korans ein Wort dessen, der  mich gewollt und als freies egalitäres Wesen geschaffen und in die Welt geschickt hat; in seine Welt. Ein Platz darin ist mir wie jedem anderen Geschöpf daher zugesichert. Ich bin also nicht fremd hier, wo immer ich auch sein mag. So habe ich in der Offenbarung einen verlässlichen Wegweiser, eine Rechtleitung wie der Koran sagt aber auf der anderen Seite eine merkwürdige in Teilen paternalistische  Binnengesellschaft, die mir oft meine Egalität und Würde streitig machen möchte und damit Gott beleidigt, der sie mir gegeben hat. Theorie und Praxis meines Lebens verlaufen damit oft konträr. Und dann schaue ich über den Tellerrand meiner Binnencommunity hinaus in die Gesellschaft in der ich lebe, und die doch auch die meine ist und ich fühle eine doppelte Irritation, denn auch da ist man mit mir meist nicht zufrieden. Oft begegnen wir muslimischen Frauen, die wir geschlechtergerecht arbeiten, dem Argwohn, wir täten dies nur zum Schein. Verbergung der wahren Absichten wird uns zum Vorwurf gemacht , denn es scheint unmöglich dass eine Frau feministisch denkt und und gleichzeitig praktizierende Gläubige ist. Oft macht es müde sich immer wieder erklären zu müssen und dennoch falsch verstanden zu werden, sei es durch beabsichtigte Projektion oder medial vorgeprägt. 

Manchmal ist es aber auch lustig. Und darum will ich Ihnen eine kleine Begebenheit erzählen. 

Karneval in Köln…Weiberfastnacht…. Eine muslimische Gemeinschaft hatte ausgerechnet an „Wieverfastelovend“……eine Dialogveranstaltung ausgerichtet. Der christliche Referent wurde muslimischerseits mit Spannung erwartet. Wir gingen in einer Gruppe und da wir zu früh waren, gedachten wir uns vorher noch ein wenig zu stärken. Eine Kneipe kam an diesem Tag schon gar nicht  in Frage. Also suchten wir nach einem Café. Alle Frauen trugen islamische Bekleidung, eine von uns einen langen schwarzen Umhang. Wir sprachen deutsch, rheinisches deutsch versteht sich, vermischt mit ein paar Brocken arabisch und türkisch. Der Konditormeister unterhielt sich mit seinem Gehilfen hinter der Theke leise über uns und meinte. „Die haben sich als Moslems verkleidet nur mit der Sproch klapp et noch nit su janz.(Mit der Sprache klappt es noch nicht so ganz.)   

Ich lebe mit der Frage wie ich alle diese meine Teilidentitäten, die häufig als widerstreitend empfunden werden unter einen Hut (oder ein Tuch) bekommen kann: Wo bin ich beheimatet? Am ehesten wohl zwischen den Stühlen; ein besserer Ort als sein Ruf, welcher der Trägheit entgegenwirkt und geistige Regheit begünstigt.

Gemeinsames Essen, gehört im Islam zu den guten Dingen, die Gott allen bereitet hat und hat eine hohe spirituelle Dimension. Wir feiern diese besonders im Ramadan einen ganzen Monat lang – wo es zunächst gar nichts zu essen gibt, jedenfalls nicht von Sonnenaufgang bis Untergang und gerade darum die Köstlichkeit vermittelt, dass Gott uns dennoch nährt, denn wie heißt es so treffend. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. 

Was können wir tun, um für alle den Ruf nach dem guten Leben zu verwirklichen? Ehrlich, ich weiß keine umfassende Idee, und suche Zufriedenheit im Kleinen, was uns sozusagen vor die Füße fällt. Dabei ist m.E. die Vernetzung von Frauen eine unverzichtbare Basis und dass der Dialog auf eine verbesserte Grundlage gestellt wird, jenseits medialem und politischem Kalkül und dass wir Frauen, die wir Interesse am religiösen Leben haben, uns über die Grenzen der Konfessionen hinaus annähern.

In diesem Sinne wünsche ich uns regen Austausch und Gaumenfreuden, die beflügeln und nicht schwer im Magen liegen.

 

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