Kiel, 30.10.2015
Sehr geehrte Damen – liebe Frauen,
schon 1972 veröffentlichte der Club of Rome seine weltbekannte Studie „Grenzen des Wachstums“, in der postuliert wurde, dass bei gleichbleibender Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung und der damit einhergehenden Verwendung natürlicher Rohstoffe die Wachstumsgrenzen der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht werden würden. Zu dieser Herausforderung begrenzt verfügbarer Ressourcen gesellte sich wenige Jahre später die Erkenntnis, dass durch den enormen Verbrauch fossiler Rohstoffe nicht nur der „Peak Oil“ droht, sondern dass sich durch die erhöhte Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre ein anthropogen verursachter Klimawandel vollzieht, der die Menschen in den kommenden Jahrzehnten vor weitere große Herausforderungen stellen wird.
Endliche Ressourcen und die klimapolitische Notwendigkeit, den Verbrauch fossiler Rohstoffe einzuschränken werfen die Frage auf, ob die Wachstumsphilosophie unserer heutigen Gesellschaft eigentlich die richtige Antwort auf diese Herausforderungen ist? Geht immer weiteres Wachstum auf einer endlichen Erde?
Viele sagen: Ja! Ja, wir brauchen Wirtschaftswachstum zur Sicherung unseres Wohlstandes, zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Erhöhung des Lebensstandards in allen Regionen der Erde. Wachstumskritik wird mit Rückschritt gleichgesetzt. Und das Problem endlicher Ressourcen wird mit dem Hinweis auf steigende Effizienz abgetan. Nicht berücksichtigt bleibt bei dieser Argumentation jedoch der sogenannte Rebound-Effekt. Ja, viele Technologien sind in den vergangenen Jahrzehnten energieeffizienter geworden – so werden Flugzeuge beispielsweise immer kerosinsparender gebaut. Das führt jedoch nicht zu einem insgesamt sinkenden Treibstoffverbrauch – im Gegenteil, aufgrund der gesunkenen Kosten fliegen immer mehr Menschen mit dem Flugzeug in den Urlaub, der Effizienzgewinn wird vollständig aufgebraucht durch einen erhöhten Konsum – dieses Phänomen ist in vielen Bereichen zu beobachten. Wir müssen also erkennen, dass energieeffizientere Technologien nicht das Problem der Ressourcenknappheit werden lösen können, wenn nicht gleichzeitig auch ein geändertes Konsumverhalten damit einhergeht. Doch Konsumverzicht ist schlecht für die Wirtschaft, so lernen wir es von klein auf.
Und wenn die Wirtschaft zusammenbricht, verlieren die Menschen ihre Arbeitsplätze und so fort. Für viele Ökonomen, PolitikerInnen und UnternehmerInnen scheint daher an steigendem Konsum und Wirtschaftswachstum kein Weg vorbei zu führen.
Doch es mehren sich die Stimmen, die eine Postwachstumsökonomie fordern, die ohne klassisches Wirtschaftswachstum und steigenden Ressourcenverbrauch auskommt. Aber wie kann eine solche Gesellschaft aussehen?
Einer der bekanntesten Postwachstumsökonomen Deutschlands, Nico Paech, schlägt ein Konzept vor, das auf einer Reduzierung der Arbeitszeit auf etwa 20-Stunden pro Woche basiert bei einer gleichzeitigen Änderung des Konsum-Verhaltens. So müsse zum Einen überflüssiger Konsum reduziert werden – das bedeutet kein Rückfall ins Mittelalter, aber eine Beschränkung auf das Wesentliche. Braucht beispielsweise jeder Haushalt eine eigene Bohrmaschine oder kann man Werkzeuge nicht nachbarschaftlich teilen? – gleiches gilt fürs Auto. Man verliert dabei nichts, sondern man gewinnt sogar an sozialer Interaktion! Unter dem Stichwort „sharing“ (teilen) etablieren sich schon heute solche Angebote, vom Car-Sharing über Coworking-Spaces (also gemeinschaftlich genutzte Büroflächen) bis zum Gemeinschaftsgarten.
Geändertes Konsumverhalten bedeutet außerdem auch, dass wir uns von der Wegwerf-Gesellschaft befreien müssen und die Lebensdauer von Konsumgütern wie Kleidung, Haushaltsgeräten oder Mobiltelefonen verlängern – indem wir einen Teil der gewonnenen freie Zeit durch eine Verringerung der Arbeitszeit zur Reparatur nutzen. Dabei muss nicht jede/jeder einen PC reparieren können – auch hier ist soziales Miteinander und Austausch gefragt.
Angebote wie Näh-Cafés, Reparatur-Cafés oder Do-it-yourself-Werkstätten sind momentan in vielen Städten, auch in Kiel, im Kommen und ein Schritt in die richtige Richtung! Denn wenn man die Lebenszeit eines Computers durch Austausch defekter Bauteile verdoppeln kann, benötigt man nur noch halb so viele PCs und damit halb so viele Rohstoffe– und bei gleichzeitig halbierter Arbeitszeit geht die Rechnung wieder auf, ohne das Arbeitsplätze vernichtet werden. Auch die Selbstversorgung soll nach Paechs Modell gestärkt werden – durch Anbau von Gemüse im eigenen Garten oder auf gemeinschaftlich bewirtschafteten Fläche. So vermeiden wir CO 2 -Emissionen, die durch lange Transportwege von Nahrungsmitteln entstehen, und erhöhen zugleich die „Resilienz“ in unserer Gesellschaft, also die Widerstandsfähigkeit gegen externe Störungen. Und der Klimawandel macht es nötig, dass wir widerstandsfähiger werden gegen Extremwetterereignisse wie Dürren oder verhagelte Ernten – je weniger das globale Nahrungsmittelsystem ineinander verflochten ist und je mehr lokal hergestellt werden kann, desto besser können solche Ereignisse verkraftet werden anstatt das gesamte System ins Wanken zu bringen. Neue Formen der urbanen Landwirtschaft und das Urban Gardening liegen mittlerweile im Trend und sind gute Beispiele, wie es gehen kann. Die Stärkung der lokalen Wirtschaft ist ein weiteres Handlungsfeld der Postwachstumsökonomie – beispielsweise auch durch die Einführung von Regionalwährungen, die ergänzend zur Gemeinschaftswährung für den regionalen Einkauf genutzt werden. Der direkten Kontakt und Bezug zwischen ProduzentIn und KonsumentIn wird so wieder hergestellt.
Bewussterer Umgang mit Zeit also, achtsamer Lebensstil und ein Rückgang des Konsums, mehr Selbstversorgung, mehr Miteinander und Austausch, Umsetzen des Mottos „Global denken, lokal handeln“ – das ist nur ein Bild von einer Gesellschaft, die ohne große Wachstumsraten auskommt, die Ressourcen schont und den Klimawandel ausbremst. Was Postwachstumsökonomie hingegen nicht bedeutet ist Stagnation oder Rückschritt – natürlich kann weiter geforscht, gelehrt, entwickelt werden. Postwachstumsökonomie bedeutet Fortschritt – und kann auch zu mehr Zufriedenheit führen. Denn immer wieder zeigen doch Studien: Die glücklichsten Menschen leben nicht in Deutschland oder den USA, sondern in sogenannten „Entwicklungsländern“ – fragt sich nur, wer da eigentlich was entwickeln muss. Während hierzulande Optimierungsdruck herrscht und in einigen Kitas schon die ganz Kleinen in Englisch oder Chinesisch unterrichtet werden, so lernen die Kinder in Bhutan schon im Kindergarten, was zu einem glücklichen Leben beiträgt – von sozialem Miteinander bis Umweltschutz (Bhutan ist das Land, was kurzer Hand das BIP abgeschafft und durch das Bruttonationalglück ersetzt hat).
So einleuchtend es scheint, dass auf einer endlichen Erde kein unendliches Wachstum möglich ist – so wenig ist seit der Veröffentlichung des Berichts vom Club of Rome 1972 passiert. In den Köpfen derjenigen, die Macht haben in Politik und Wirtschaft herrscht weiter die Wachstumsideologie vor. Es wird ein Bild von einer Gesellschaft gezeichnet, die ohne Wachstum nicht funktionieren könne. Und dieses Bild wird vor allem von Männern gezeichnet, die immer noch die überwältigende Mehrheit der Führungspositionen in Ministerien und Unternehmen stellen. Postwachstumsökonomie bedeutet ein Durchbrechen dieser starren Hierarchien, mehr „lokal und selbstorganisiert“ statt „global und zentralisiert“ ist das Motto – ob BürgerInnenwindpark oder Kleidungs-Tausch-Läden statt Kleidungs-Kauf-Läden. Mehr soziales Miteinander, selber Gemüse anbauen, kochen, nähen, reparieren, fortbilden – alles auch Bereiche, die klassischer Weise immer noch eher Frauen zugeschrieben werden.
Postwachstumsökonomie bedeutet also auch die Umkehr der Geschlechterverhältnisse! Selbstversorgnung, handwerkliches Geschick und soziale Netzwerke statt 100% der Energie für die Lohnarbeit einzusetzen und unseren Planeten auszubeuten. Zufriedenheit statt Überforderung und Burn-Out an allen Ecken. – Das ist die Vision. Und sie bedeutet eben auch, Abkehr von patriarchalen Machtstrukturen.
Und solange keine wirkliche Wende von Oben zu erwarten ist, dann muss diese eben im Kleinen von Unten erfolgen – mit Einkaufskollektiven beim Bio-Bauern aus der Region, mit Urban Gardening, mit Tauschen und Teilen statt Kaufen, mit Näh-Cafes und Reparatur-Werkstätten.
Und das bedeutet ganz konkret in Kiel als erste Schritte: Teilzeitarbeit und Job-Sharing möglich machen, auch in städtischen Führungspositionen; Kleingärten zur Selbstversorgung erhalten statt sie Bauprojekten zu opfern; regionale Einkaufskollektive zu unterstützen; sich in Nähcafes, im Glückslokal oder beim Kleiderkreisel treffen und Kleidung nähen, verschenken oder tauschen statt neue Primarks und H&Ms in der Stadt; Do-it-yourself-Initiativen wie das Gaardener Reparatur-Café oder die Werkstattkonsum in der Alten Muthesius Kunsthochschule unterstützen und Freiräume für solche alternativen Projekte erhalten; mehr Car-Sharing-Stationen und Radschnellwege statt Autos, die die meiste Zeit am Tag doch nur rumstehen; sich mehr Zeit nehmen fürs Selbermachen, mehr Zeit und eine größere Wertschätzung für soziales Engagement, mehr Gelassenheit statt Optimierungswahn.
Bis die Vision einer Postwachstumsökonomie Wirklichkeit wird ist es noch ein langer Weg – doch wir sollten ihn selbstbestimmt beschreiten, bevor wir unvorbereitet dazu gezwungen werden, weil unser jetziges System irgendwann kollabiert. Wir Frauen können in unseren verschiedenen Funktionen im Kleinen einen Anfang machen und dazu beitragen, das Bild unserer Gesellschaft zu verändern!