Maria Dietzfelbinger – Psychotherapeutin

Tischrede beim Frauenmahl in Rottenburg-Wurmlingen am 3. Februar 2017
Maria Dietzfelbinger, Psychotherapeutin, psychologische Beraterin, Supervisorin, evangelische Theologin

Wer ist die Schönste im ganzen Land?

Der Titel „Wer ist die Schönste im ganzen Land“? ist verräterisch. Wir wissen alle, so fragt Schneewittchens Stiefmutter das Spieglein an der Wand, und wir erkennen darin den Neid, die Bitterkeit der älter werdenden Frau dem aufblühenden jungen Mädchen gegenüber. Wenn dieser Neid die Lust am Kleiderkauf dominiert, dann erleben wir an uns und anderen den übervollen Kleiderschrank, in dem nie das Passende zu finden ist, wir erleben die unruhige Suche nach dem ultimativen Stück, das sich doch nie findet, wir erleben die Ratlosigkeit und Enttäuschung, wenn wir die vollen Kleidertüten zu Hause auf dem Bett ausbreiten: LUST am Kleiderkauf bleibt da wenig übrig. Der Kater nach dem Kaufrausch macht ein schales Gefühl.

Was also macht das Kleiderkaufen lustvoll?

Die Kleidung ist zumindest in unserm westlichen Kulturkreis unsere zweite Haut (die dritte ist unsere Wohnung). Als Haut ist Kleidung fast so etwas wie ein Organ, wie es die erste Haut ja ist, und wie diese ist sie nicht nur ein Schutz-, sondern auch ein Beziehungsorgan. Mit ihr präsentieren wir uns unserer Umgebung, nehmen wir Kontakt auf, zeigen wir mehr oder weniger gelungen, wie wir gesehen werden wollen. Und wir zeigen auf jeden Fall, ob wir wollen oder nicht, wer und wie wir sind. Wir inszenieren uns. Wir verbergen uns mehr und weniger gekonnt. Wir versuchen uns zu maskieren. Wir drücken unserm Gegenüber Wertschätzung oder Geringschätzung aus. Wir tun kund, in welcher Rolle wir uns gerade präsentieren, wie wir unser Gegenüber einschätzen und wie unser Gegenüber uns sehen soll. In Tuchhose und Blazer bringe ich zwar eine andere Seite in mir zur Geltung als in Jeans und Fleecepulli, erwarte ich eine jeweils andere Reaktion vom Gegenüber. Beides aber kann ich ausdruckslos und abweisend oder elegant und anmutig tragen, beides kann ich unfroh oder lustvoll kaufen: egal ob in den Galeries Lafayette auf der Berliner Friedrichstraße oder, wie in meinem Fall, im Second – Hand – Shop bei mir im Viertel. Ein perfektes Styling erzeugt allenfalls kurze Bewunderung, stiftet aber keinen Kontakt – der kommt durch die kleinen Brüche zustande. Beim Anprobieren probiere ich mich selbst aus: neugierig, skeptisch, risikofreudig, resigniert, lustvoll…. Ich kann Speck und Falten mit Schwung und selbstbewusstem Augenzwinkern im Bikini präsentieren, oder ich kann mein Unglück, meine Sehnsucht und meine Wünsche auf diese Weise zeigen: Seien Sie sicher, Sie werden verstanden. Immer. Auch wenn es nicht an die Bewusstseinsoberfläche Ihrer Mitmenschen dringt – oder die eigene.

Das gilt für alle Lebensalter. Jede meiner drei Enkeltöchter hat zum Entsetzen meiner Tochter eine pinke Lillifee – Phase durchlaufen – ja, ich bin Papas Prinzessin!
Jugendliche brauchen wirklich dringend bestimmte Markenklamotten, weil Dazugehören zur peergroup wichtiger ist als Individualität, die ruckzuck zum Außenseiterdasein führt. Die rasante Persönlichkeitsentwicklung in diesem Alter sorgt auch für den rasanten Klamottenwechsel. Wenn‘s gut geht, haben wir irgendwann den eigenen als stimmig empfundenen Stil gefunden – und versinken im Älter- und Altwerden hoffentlich nicht im sprichwörtlichen Rentnerbeige, sondern bewahren uns Pfiff und Ausdruck, Wertschätzung uns selbst und andern gegenüber auch durch unsere Kleidung.

Lustvoll wird Kleiderkaufen also dann, wenn damit die Gestaltung eines lebendigen, freundlich zugewandten  Welt- und Selbstbezugs verbunden ist, wenn ich mein ästhetisches Empfinden zum Ausdruck bringen kann, verbunden mit Rollen- und Situationssicherheit. Der Kater nach dem Kaufrausch bIeibt dann außen vor. Ich selbst nehme gern eine andere Frau zum Einkaufen mit, Freundin oder Tochter, die dann ruhig für mich zum liebevoll-kritischen Spieglein an der Wand werden darf. Und mir hilft, das Spiel mit der Kleidung zu spielen.

Danke für‘s Zuhören.

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