Frauenmahl Husum 24.6.2016
Heute ist Johannistag, Ende des Spargelstechens, aber vor allem Geburtstag des Täufers, der Vorläufers Jesu.
Sie erinnern sich sicher an die Darstellung der Heimsuchung, der Begegnung Elisabeths und Marias, die beide auf wunderbare Weise schwanger waren. Elisabeths Sohn wurde Johannes genannt, Marias Sohn Jesus. Bei ihrer Begegnung sprach Maria das Magnificat, das so leidenschaftliche, revolutionäre Lied von stürzenden Thronen und gedemütigten Herren dieser Welt, von Gottes Gewalt und von der Menschen Ohnmacht.
Heute wird in der Ökumenischen Bibellese, im 2. Buch Mose, erzählt, dass Gott sein Volk durch die Wüste führte. Am Tage in einer Wolkensäule und bei Nacht in einer Feuersäule. Gleich danach wird von Israels Rettung berichtet. Die Wasser des Schilfmeeres teilten sich und wurden zu einer Mauer zur Rechten und zur Linken. Da sang Mose sein Lied „Ich will Gott singen, denn er hat eine herrliche Tat getan, Ross und Mann hat er ins Meer gestürzt“, das Heer Pharaos. Ein langes Lied sang er, mit martialischen Bildern und Lobpreis Gottes. 18 Verse.
Direkt im Anschluss steht: Da nahm Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, eine Pauke in ihre Hand, und alle Frauen folgten ihr nach mit Pauken und Reigen. Und Mirjam sang ihnen vor: „Lasst uns Gott singen, denn er hat eine herrliche Tat getan, Ross und Mann hat er ins Meer gestürzt.“ Mehr nicht, nur diese eine Zeile.
Biblische Texte waren mir immer wertvoll. Sie regen mich an, manchmal auch auf. Sie abzuklopfen auf das, was mich ansprechen und antreiben kann oder soll, dieses Anliegen hat sich allerdings inhaltlich verändert.
Als junge Pastorin wollte ich sein wie die Pastoren. Feminismus und Gender waren noch kein Thema. Das kam später, und mit der Feministischen Theologie auch eine neue Bibellektüre. Viele Frauen wurden sichtbar, hörbar, in ihrer Macht und Ohnmacht, Demut und Widerständigkeit. Der hebräische Name Mirjam, Maria, heißt die Widerspenstige, das war ich, durfte ich also auch sein – eigenständig, unbequem. Nicht nur angepasst. Ich musste meinen eigenen Weg suchen, nicht nur als willfährige Quotenfrau mich ein- und unterordnen.
Die traditionellen Frauenrollen übernahmen Mirjam und Maria nicht immer. Sie hatten ihre eigenen Vorstellungen. Sie kuschten nicht blieben nicht unsichtbar, still und zurückhaltend, – wie es in meinen Zeugnissen der Grundschule hieß, mit dem Hinweis, ich sollte lebhafter, eigenständiger werden. Hätte ich damals doch mehr von diesen beiden Frauen gewusst, sie innerlich aufgenommen. Denn diese Beiden machten sich eigenwillig und bewusst auf den Weg, zu anderen, mit anderen. Die Gemeinschaft mit Frauen war ihnen wichtig. Das Mädchen Maria ging zur Seniorin Elisabeth. Mirjam, die Prophetin, zog mit all den Frauen in die Freiheit. In ihrer Werteskala standen Gemeinschaft und Vertrauen und Glaube ganz oben.
Aufbruch war auch für mich angesagt, heraus aus dem männlichen Rollenbild. Ich übernahm Verantwortung in den Theologinnenkonventen auf gesamtdeutscher und nordelbischer Ebene. Auch beim Frauenwerk ging es mir, uns um besondere weibliche Lebens- und Arbeitsstile. Ich fand meinen Weg als Frau in der Kirche, als kirchenleitende Person, die nicht allzu lang und abstrakt reden und Anweisungen von oben geben wollte. Wie kirchenleitende Männer, die in Sitzungen oft endlose Beiträge gewichtig vortrugen und uns Frauen zur Kürze zwingen wollten – und es auch oft schafften. Ich orientierte mich freiwillig gern an Mirjam, die in einem Vers das Wesentliche ankündigte, das Ende aller militärischen und patriarchalen Machtgelüste. Gott hat Freiheit geschenkt. Das soll so bleiben. Ein klares, bündiges Nein gegen brutale Gewalt. Nein heißt nein, auch heute. Frauen sind mündig. Keine abgehobene Hierarchie, keine Basta-Allüren.
Stattdessen gemeinsame Aktionen, hier als Tanzen und Singen, mit den Frauen, mit allen Frauen. Lasst uns miteinander den Weg gehen und miteinander planen und handeln. Nicht nur sanft, zurückhaltend brachten Maria und Mirjam sich ein, auch direkt, konfrontativ, entschieden Mose bzw. Jesus zurechtweisend. Zwar standen sie nicht an der Spitze des Volkes oder einer Gemeinschaft/einer Gemeinde, aber sie waren wertgeschätzt, ebenbürtig. Unsere christlichen Werte zeigen sich im Zuhören, im gemeinsamen Reden, in den grundsätzlich eher weichen Handlungsweisen – was nicht mit Schwäche zu verwechseln ist. Freiwillige Demut und Bescheidenheit wachsen letztlich aus Stärke. Die sei uns allen geschenkt, und von uns allen respektiert und mehr und mehr eingeübt und zugelassen.
Die Stimme der anderen Frauen, aller, zumindest vieler Frauen wollte ich sein. Das wurde gerade in der Anfangszeit als Bischöfin hart kritisiert, meist hinter vorgehaltener Hand, anonym mit bösen Briefen. Ich wollte den Konflikten nicht aus dem Weg gehen. Das hieß dann, die je besonderen Herausforderungen offen mit anderen zu ergründen und beharrlich die Situation von sogenannten Randgruppen/ von Minderheiten in die Gremien und in das eigene Handeln einzubeziehen. Ohne ständig diplomatisch aufzutreten. Das war oft nicht leicht, zumal ich ja durch meine Ausbildung eher anders sozialisiert war. Doch sah ich es immer als meine, unsere Aufgabe an, für alle an den Rand Gedrängten uns einzusetzen, auch für Frauen mehr Freiräume zu schaffen, zu fordern: ob diese hauptberuflich oder ehrenamtlich arbeiten, in theologischer und liturgischer Ausrichtung, auch auf dem weiten Feld der Lebensformen, der Sexualethik und der Gewalt gegen Frauen. Es geht darum, dass Respekt und Transparenz selbstverständlich sind, dass geheime Absprachen oder willfährige Ausnahmen mit Abhängigkeitsintentionen aufhören. Dass Frauen also nicht weniger informiert, gefragt, ernstgenommen, geachtet und nicht schlechter bezahlt werden. Diese Thematik hat mich sehr umgetrieben, von Anfang an, zumal ich in allen Positionen die erste weibliche Amtsträgerin vor Ort war.
Vieles haben wir erreicht, – Frauen sind inzwischen fast überall sichtbar und hörbar. Das Erscheinungsbild von Kirche hat sich verändert, ist farbenfroher geworden. Hier bei uns zumindest. Kirche ist nicht nur Männersache, auch Gesellschaft nicht, nicht mit Allmachtsphantasien und Ängsten zu leiten. Es geht nicht um das Ich will, sondern Lasst uns! Um gemeinsame Verantwortung und Zugewandtheit.
Maria und Mirjam haben mich immer wieder ermutigt, neue Formen des Miteinanders zu ermöglichen. Das ist auch heute noch erforderlich: eben mit Frauen der Basis und in leitenden Funktionen, mit Obdachlosen, mit sogenannten Anderslebenden, Andersglaubenden, Fremden und Gescheiterten. Deshalb: kein Rückzug, weder ins ganz Private, noch in Strukturfragen oder dgl., noch in Gleichgültigkeit und Isolation. Es gibt einfach keine Alternative. Nur gemeinsam können wir die kleine und große Welt zum Besseren verändern. Mit Gottes Hilfe.
Lasst uns singen – lasst uns gemeinsam Frauensolidarität einüben und durchhalten. Auch dann, wenn bittere Enttäuschungen eintreten. Auch das habe ich erlebt. Wir brauchen Mut, fromm und fröhlich und politisch wachsam unseren Weg zu gehen. Gemeinsam ist besser als einsam. Das gilt nicht nur für heute Abend.