Marieluise Beck MdB – Bündnis 90/DieGrünen

Bremen, 6. November 2013


Sehr geehrte Damen,

ich möchte mich herzlich
für die Einladung zu einer Tischrede beim Frauenmahl bedanken.

Anhand der Rolle der
Kirchen im Nationalsozialismus lässt sich aufzeigen, wo zu große Staatsnähe in
einen ethischen Abgrund führte. Aber es lässt sich auch zeigen, wo auf Basis der
eigenen Werte die Intervention der Kirchen in die Politik durchaus Positives
bewirkte.


Evangelische Kirche

In der Evangelischen
Kirche entstand sehr früh eine völkische Strömung, die sich 1932 als bereits
dominierende Kraft zu den „Deutsche Christen“ zusammenschloss. Sie forderten das
Führerprinzip, die „Entjudung“ von Kirche und Theologie und Rassenreinheit.

1933 verfügten die
„Deutschen Christen“ über 1 Mio. Mitglieder, darunter ein Drittel der Pfarrer. Die
Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 wurde in vielen
Festgottesdiensten mit Hakenkreuzfahnen als „Erlösung“ gefeiert. Die „Deutschen
Christen“ waren eine Stütze Hitlers bei der Gleichschaltung der folgenden
Monate. Bei Kirchenwahlen 1933 erhielten die „Deutschen Christen“ drei Viertel
der Stimmen und besetzten mit Ludwig Müller das neugeschaffene Amt des
Reichsbischoffs.

1939 gründeten die
evangelischen Landeskirchen auf Betreiben der „Deutschen Christen“ in Thüringen
das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das
deutsche kirchliche Leben“ unter Leitung Walter Grundmanns. Das Christentum
sollte „entjudet“ und die Zugehörigkeit Christi zur arischen Rasse nachgewiesen
werden. Grundmann war bis zum Tod hoch anerkannter Theologe in der DDR und Stasi-IM
aus innerer Überzeugung.

Aber es gab auch die
innerevangelische Opposition der „Bekennenden Kirche“, die teils im Untergrund
agierte. Deren Barmer Gründungserklärung ging vorwiegend auf Theologen um Karl
Barth zurück.[1]

Mit dem Stuttgarter
Schuldgeständnis von 1945 übernahm die evangelische Kirche Positionen der
Bekennenden Kirche. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den theologischen Ursachen der Nähe zum
Nationalsozialismus fand aber nicht wirklich statt.[2]


Katholische Kirche

Die Katholische Kirche
warnte bis 1933 offen vor der NSDAP, verweigerte Parteimitgliedern teilweise
die Sakramente und kirchliche Bestattungen. Folge war, dass bei den Märzwahlen 1933
die NSDAP in katholischen Regionen (Rheinland, Bayern) kaum 20%, in
protestantischen Region teilweise über 60% erhielt.

Der NS-Ideologe Alfred
Rosenberg war ein glühender Anti-Katholik. Für ihn war die internationale
Ausrichtung der katholischen Kirche Ausdruck eines jüdischen Geistes, dem
ebenfalls der Internationalismus zueigen sein sollte. Die Katholische Kirche
nahm Rosenbergs Angriffe sehr ernst und reagierte mit Gegenschriften und
wissenschaftlichen Studien auf dessen weit verbreitete Schrift „Mythus des 20. Jahrhunderts“.

Nach der Machtergreifung
Hitlers ging die Katholische Kirche einem offenen Konflikt mit Hitler jedoch
aus dem Weg. 1933 schloss der Vatikan mit NS-Deutschland ein Reichskonkordat,
das die Rechte der Kirche sicherte. Kirchenhistoriker wie Klaus Scholder werteten
das als Arrangement mit dem Nationalsozialismus, wie auch die Zustimmung der katholischen
Zentrumspartei zum Ermächtigungsgesetz.

Nachdem die Kirche immer
mehr unter Druck geriet, veröffentlichte Pius XI. 1937 die Enzyklika „Mit
brennender Sorge“, in der er vor allem die Angriffe auf die Kirche geißelte,
aber auch die Ideologie und den Rassenwahn des Nationalsozialismus als
unchristlich verurteilte. Es verstärkte sich die Opposition katholischer Geistlicher.

Im Sommer 1941 stoppte der
Bischof von Münster, Graf von Galen, mit seinen Predigten das offizielle Euthanasie-Programm,
das insgeheim allerdings bis April 1945 fortgeführt wurde. Während von Galen durch
sein hohes Amt vor Gewalt geschützt war, büßten viele Pfarrer ihren Widerstand
mit Inhaftierung oder dem Tode.


Verhältnis von Religion und Gesellschaft

Diese historischen
Beispiele zeigen, dass eine Gesellschaft ohne Religion barbarisch und damit
unfrei sein kann, dass eine Politisierung von Religion diese selbst an die
Seite der unfrei machenden Gedanken stellt. Die Geschichte zeigt aber auch,
dass aus eben derselben Religion der Aufruf zur ethischen Verantwortung
erfolgen und diese damit zu Freiheit führen kann.

Es bleibt festzuhalten:
Die beiden Totalitarismen des vergangenen Jahrhunderts – Nationalsozialismus
und Kommunismus – waren antireligiöse Bewegungen. Nur eine fehlende ethische
Bindung konnte den Weg frei machen für die Verbrechen von Hitler und Stalin.
Aber auch eine politisierte Religion kann ins ethische Abseits führen. Das
sehen wir an den Beziehungen der beiden deutschen Kirchen zum NS-Regime und
seiner Ideologie. Auf dieses Dilemma reagierten die Mütter und Väter des
Grundgesetzes mit dem Grundsatz der „Unantastbarkeit der menschlichen Würde“.
Das ist kein direkter Bezug auf das Christentum, aber fußt doch auf den
abendländischen Wurzeln des jüdisch-christlichen Glaubens, von Aufklärung und
Humanismus.



[1] Aber auch unter dialektischen Theologen, zu denen
Karl Barth zählte, gab es begeisterte Zustimmung für Hitler, so bei Friedrich
Gogarten. Selbst Martin Niemöller war anfangs Anhänger Hitlers, bevor er einer
der Köpfe der Bekennende Kirche wurde.

[2] Der inhärente Antijudaismus des Christentums
liegt in dessen Kern begründet: zum einen in dessen Charakter als monotheistische
Heilsregion, der keine anderen Götter und Religionen zulassen kann, weil dies
die Gültigkeit der Heilsoffenbarung Christi in Frage stellen würde. Zum anderen
in der theologischen Figur Christi selbst, die das Gesetz der Juden durch das
Prinzip von Glaube und Liebe überwand. Die Juden sind Sinnbild der
Rückständigkeit, die sich der Heilsoffenbarung und Höherentwicklung der
Religion verschließen. Das Judentum wird zu etwas Minderwertigen, was mit dem
NS-Paradigma des „unwerten Lebens“ hoch anschlussfähig war.

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