Monika Erfle – Chorleiterin für Gospel- und Popchöre im Evang. Jugendwerk Württemberg

Tischrede als Interview beim Frauenmahl in Goeppingen am 29. April 2017
Monika Erfle, Musikerin, Chorleiterin für Gospel- und Popchöre, Mitarbeiterin im Evang. Jugendwerk Württemberg

Frage: Ein Anliegen der Reformation war ja, die Gemeinde mehr am Gottesdienst zu beteiligen, deshalb legte die reformatorische Bewegung viel Wert auf den Gemeindegesang. Jede und jeder sollte singen. Heute ist das nicht immer so leicht, Menschen zum Singen zu bewegen. Wie bewegst du Menschen
a) Zum Gemeindegesang?

Monika Erfle:
Eine Gemeinde will mit hineingenommen werden in eine gut singbare Musik.
Deshalb motiviert es, wenn Melodien einfach nachvollziehbar sind und eine ansprechende Instrumentalbegleitung den Gesang zusätzlich aufwertet.
Allerdings ist die Orgel nicht geeignet, diese Lieder zu lernen. Orgelklänge erzeugen die Erwartung von eher klassischer Musik, zudem kann der Organist nicht mit den Menschen kommunizieren, da er entweder auf der Empore oder aber mit dem Rücken zu den Leuten sitzt. Und direkte Kommunikation ist enorm wichtig!
Ist ein unbekanntes Lied angesagt, scheue ich mich nicht, eine kurze Probenrunde einzulegen, um alle mit der Melodie vertraut zu machen. Eine Gemeinde weiß normalerweise sehr schnell, wer von den Singleitern wie agiert, und gute Erfahrungen sprechen sich schnell herum! Das motiviert wiederum andere usw…
Und – erfahrungsgemäß helfen tatsächlich ausgedruckte Noten weiter, denn selbst wenn jemand keine Noten lesen kann – ein Anhaltspunkt, ob es hoch oder runter oder kurz oder schnell zu singen gilt, sind Noten allemal. Und wer ein Liedblatt in der Hand hält, hat definitiv nie einen schlechten Platz, um auf eine Wandprojektion angewiesen zu sein…
 
Frage: b) Zur Chormusik?

Monika Erfle:
„Ein Chor ist das Spiegelbild des Dirigenten“, so heißt es in einem Lehrbuch über Chorleitung. Das stimmt zum großen Teil, denn so motivierend man selbst auf andere wirkt, so kommt es letztendlich beim „Publikum“ und bei potentiellen neuen Sängerinnen und Sängern an. Und Chormusik sollte ja ansteckend und einladend sein!
Ob ein Chor großen Zulauf hat, hängt aber von mehreren Faktoren ab, und – so paradox es klingen mag – hat eine Gemeinde vieles zu bieten, hat es unter Umständen eine einzelne Gruppe wie ein Chor schwerer, da sich viele auch noch anderweitig engagieren. Doch muss ja die Quantität nicht auf die Qualität schließen lassen! Ein kleinerer Chor kann oftmals genauer arbeiten und dadurch sogar eine bessere Qualität erzielen.  
Oft fühlen sich aber die Sängerinnen und Sänger überfordert von den Anforderungen ihrer Chorleiter. Deshalb ist es wichtig, auf die Vorkenntnisse der Menschen und ihre Ansprüche einzugehen und die Literatur entsprechend auswählen. Und – nach einem harten Arbeitstag, darf bei der Chorprobe nach Feierabend der Spaßfaktor nicht zu kurz kommen!
 
Frage: Gelingt das nur noch in Projektchören? Was sind aus deiner Sicht die Chancen und Grenzen von sogenannten Projektchören? Lassen sich Menschen darüber hinaus zu einem Engagement in der Kirche gewinnen?

Monika Erfle:
Das Wort Projektchöre muss man erst mal definieren:
Zum einen gibt es die großen überregionalen Projekte, die als Events angeboten werden, und die viele Singbegeisterte als Chance nutzen, hin und wieder aus ihren Grenzen des Gemeindechors hinauszukommen und das „große Chorerlebnis“ zu spüren. Oder überhaupt in einem Chor zu singen, wo sonst vielleicht die Möglichkeit fehlt. Und über solche Großprojekte haben schon viele den Weg zu einem Chor in ihrer Nähe gefunden!
Zum anderen – und das ist immer häufiger der Fall – werden in Gemeinden statt eines regelmäßig stattfindenden Chores Chorprojekte angeboten, die einige Proben und am Ende eine oder mehrere Aufführungen haben. Die Chancen dabei sind, dass es denen zugute kommt, die sich nicht verbindlich festlegen wollen oder zeitlich nicht mehr aufbringen können. So haben doch einige Singfreudige mehr die Chance, in einem Chor zu singen.
Die Grenzen sind aber auch klar erkennbar: Eine Gemeinschaft kann nur bedingt entstehen, und die Flexibilität, einen spontanen Chorauftritt zu machen, ist fast nicht möglich, da das Repertoire doch sehr begrenzt und auf die entsprechende Projektaufführung ausgelegt ist.
 
Frage: Moni, du bist Chorleiterin für Gospel- und Popchöre und bist beim EJW (Evang. Jugendwerk in Württemberg) im Bereich musikplus tätig. Du hast auch Erfahrungen mit Großprojekten wie dem Chortag. Ist auch hier nur noch der Event-Charakter gefragt? Was bewegt Menschen aus deiner Erfahrung heraus, sich an Großprojekten wie „Luther“ zu beteiligen?

Monika Erfle:
Ja, ich habe im Jahr 2000 die C-Pop-Ausbildung gemacht und leite bei mir daheim und im Nachbarort zwei Projektchöre, die im Sommer/Herbst immer ein gemeinsames Projekt machen – zum 10. Mal jetzt die ChurchNight zum Reformationstag!
Nebenbei singe ich im LAKI-PopChor und bin einen halben Tag pro Woche im EJW angestellt. Dort bin ich zuständig für die Organisation der Chortage und als Unterstützung für den Referenten der Chorarbeit KMD Hans-Martin Sauter bei sonstigen Aufgaben, die die landesweite Chorarbeit mit sich bringt.
Bei Großprojekten muss man unterscheiden:
Zum Einen:
Großprojekte wie „Luther“ haben ja einen richtigen Event-Charakter, sind oft deutschlandweit organisiert und schaffen vielen Leuten die Möglichkeit, einmal auf einer ganz großen Bühne zu stehen und das Gefühl des Mass-Choirs zu vermitteln.
Dazu zusammen mit Promis zu agieren und vielleicht sogar im Fernsehen zu sehen zu sein, das hat schon besonderen Reiz und lockt natürlich sehr viele Leute an. Da macht die „Creative Kirche“ aus Witten deutschlandweit eine wirklich gute Arbeit, die zudem noch viel Publikum anzieht und so zugleich wirbt für die Freude am Chorsingen und an den Inhalten und der Botschaft der Songs.
Zum Anderen:
Wir vom EJW veranstalten jährlich als Arbeitsstelle „musikplus“ die Chortage in LB und Ulm. Das sind natürlich auch Großveranstaltungen, allerdings in kleinerem Ausmaß – in Ludwigsburg ca. 900 und Ulm ca. 500 Teilnehmende. Auch hier finden sich Leute, die sonst in keinem Chor singen, und diese Möglichkeit des gemeinsamen Singens nutzen. Hauptsächlich aber kommen hier immer zum Anfang eines Jahres viele Chöre gemeinsam zum Chortag, um die neuen Songs aus der aktuellen Chormappe kennen zu lernen, und sie in der besonderen Atmosphäre zu singen, in Begleitung einer professionellen Band und nicht zuletzt wegen Chorleiter Hans-Martin Sauter, der in seiner ganz eigenen Art die Leute zum Singen motivieren kann.
Für die Chöre ist dies immer ein effektiver Start ins Chorjahr, da so einige Songs schon richtig gut gelernt wurden!
 
Frage: Um nochmals auf die Reformation und ihre Anliegen zurückzukommen: Es gibt den Ausspruch, dass die reformatorischen Gedanken, den Menschen durch die entsprechenden Lieder der Reformationszeit ins „Herz gesungen“ wurden. Von Elisabeth Cruciger ist ein Lied im Ev. Gesangbuch erhalten „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“ (EG 67), das die Tiefe ihrer theologischen Kompetenz zum Ausdruck bringt. Aus Quellen weiß man, dass sie auch gerne einmal im Gottesdienst in Wittenberg gepredigt hätte. Ist das Singen noch eine Art von Verkündigung oder was leistet deiner Meinung nach Musik – und da besonders das Singen – heute im Gottesdienst?

Monika Erfle:
Selbstverständlich sollte das Singen im Gottesdienst Verkündigung sein. Und das auf vielfältige Art: Zum einen, diejenigen abzuholen, die vielleicht „nur mal so“ mit all ihren Fragen und Erwartungen in den Gottesdienst gekommen sind. Oder denjenigen, die im gemeinsamen Singen die besondere Verbundenheit untereinander spüren möchten. Oder auch denjenigen, die im Singen die beste Möglichkeit sehen, Gott zu loben und preisen in der Gemeinschaft. Egal aus welchem Grund die Menschen dann singen – es soll auch heute noch „in ihr Herz gesungen“ werden! Das ist die beste Verkündigung, die Musik bringen kann!
Ob die Musik im Gottesdienst das leisten kann, das ist jetzt die Frage…

Frage: Oft wird der Wunsch nach anderer Musik im Gottdienst laut. Was kann Popmusik da leisten? Hast du gelungene Beispiele aus der Praxis dafür?

Monika Erfle:
So vielfältig die Menschen sind, so vielfältig ist auch der Musikgeschmack. Zu jeder Zeit in der Kirchengeschichte gab es „neue Musik“, also „populäre Musik“ oder – wie wir sagen „Popmusik“. Das ist eben immer die Musik, die die Menschen direkt in ihrem Alltag abholt, also keine Kunstmusik, die nur in Konzertsälen oder großen alten Kirchen zu hören ist, sondern, die man im Alltag hört. Also heutzutage im Radio, Fernsehen, in Shows oder auf Konzertevents. Bei solcher Musik fühlen sich die Leute „daheim“, im „Jetzt und Hier“, mit dieser Musik leben sie. So gesehen hat Popmusik in der Kirche beste Chancen, die Herzen zu erreichen. Sie holt die Menschen in ihrem Alltag ab und kann so Emotionen wecken und mit guten Texten Menschen ansprechen.
Bestes Beispiel: Martin Luther: Mit seinen „neuen Liedern“ hat er dem Volk direkt aufs Maul geschaut!
In der heutigen Praxis zeigt sich dies, dass zunehmend Gottesdienste, die mit neuer Musik gefüllt werden, mehr Menschen einladen und ansprechen.
Gospelgottesdienste, liturgische Gottesdienste mit neu vertonten Elementen oder auch Lobpreisgottesdienste treffen mit ihrer Musik den Nerv der Zeit und bieten für viele die Alternative zu traditionellen Orgelgottesdiensten oder ähnlichen.
Leider finden sich in der Evangelischen Landeskirche diese Gottesdienste dort am wenigsten, wo wir sie eigentlich erwarten sollten, nämlich dort, wo durch hauptamtliche Kirchenmusiker Kapazität und Möglichkeit vorhanden wäre, einen solchen Gottesdienst zu halten. Schauen wir aber in kleinere Gemeinden der Landeskirche oder auch in Freikirchen, kann man den Zulauf zu solchen Gottesdiensten sehen.
Es ist schade, wenn man an einem wichtigen Fest des Kirchenjahres wie Weihnachten oder Ostern zig Kilometer zurücklegen muss, bis man in einer Stadtkirche einen Gottesdienst findet, der popularmusikalischen Inhalt auf gutem Niveau bietet.
Dagegen gibt es an jeder großen Kirche mehrere traditionelle Gottesdienste an aufeinanderfolgenden Tagen… Da stimmt etwas nicht…
Manche Maßnahmen seitens der Landeskirche sind leider nicht immer wirksam und bringen deshalb noch nicht die erhofften Früchte…!
Vielleicht würde sich mit anderen Maßnahmen auch in manch großer Stadtkirche ein Schwund an Mitgliedern verhindern lassen?
Denn es gibt leider noch immer viele – vor allem junge – Leute, die der Musik wegen in Freikirchen abwandern, weil eben dort regelmäßig professionelle Popularmusik geboten wird.  
 
Frage: Nicht zuletzt durch die Sinus-Studie wissen wir, dass auch Musik milieugebunden ist, dass auch verschiedene Musikstile nicht immer miteinander kompatibel sind. Ist Gospel ein Gegenbeispiel? Geht das immer oder wie müsste aus deiner Sicht dann heute das Singen im Gottesdienst sein, um – wie zu Zeiten der Reformation – sozusagen „dem Volk aufs Maul“ zu schauen?

Monika Erfle:
Das Milieu macht natürlich auch vor der Popularmusik nicht Halt. Nicht zuletzt deshalb, dass nur die besser situierten Kinder und Jugendlichen ein Instrument oder Gesang erlernen können – egal ob Violine oder Schlagzeug, Klassik- oder Popgesang…
Allerdings hat Popularmusik (Gospel ist ein Teil der Popularmusik) dadurch den besseren Zugang zu den Menschen, da eben im Alltag diese Musik allgegenwärtig ist.
Völlig milieu-unabhängig. Will man Menschen zum Singen bringen, so geht das eben am besten mit bekannten Liedern – vom Kinderlied bis zum neuesten Chart-Song. Da spürt man, wie viele am liebsten gleich mitsingen wollen. Das motiviert und macht Lust zum Singen! Also wirklich „dem Volk aufs Maul geschaut“, im Alltag abgeholt!
Natürlich sind nicht immer alle Musikstile kompatibel, aber: Auch alte bekannte Melodien lassen sich auf moderne poppige Weise instrumental begleiten, untermalen, rhythmisch unterlegen, so dass viele bekannte Lieder dadurch auch die Chance haben, wieder (neu) entdeckt zu werden. Die Evangelische Landeskirche hat vor einigen Jahren „Kernlieder“ als Empfehlung zum Lernen in Schulen, Gemeinden und für zuhause herausgegeben. Auf einer CD sind eine ganze Reihe dieser Lieder, die unser Kollege Hans-Joachim Eißler neu arrangiert hat, um sie in modern-poppigem Gewand zum Mitsingen verwenden zu können.
Es wird wohl immer häufiger Gottesdienste geben, die „IHR“ Publikum haben, je nach Musikstil. Umso wichtiger, allen gleichwertig gerecht zu werden und die immer noch überwiegend klassischen Gottesdienste durch eine gleichberechtigte Anzahl popularmusikalischer Gottesdienste zu ersetzen. Einfach ein ausgewogenes, gerechtes Niveau erzielen, und auch popularmusikalische Fortbildungen ermöglichen, dass dies auf dem gleich hohen Niveau wie die Klassik sie bietet, stattfinden kann!
„Dem Volk aufs Maul schauen“ – das ist heute mehr denn je wichtig, um Menschen zum Singen zu motivieren, und nicht zuletzt auch, um unsere Gottesdienste für Alt und Jung ansprechend zu gestalten und so Verkündigung und Gemeinschaft zu praktizieren. Und das ist aller Mühe wert!

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