Monika Küble – Schriftstellerin

Guten Abend, werte Frauen, was für eine erstaunliche Versammlung. Tatsächlich nur Weibsbilder hier beim Festmahl.
 
Das Konzil ist ja nun vorbei, aber wenn ich damals zu einem Festmahl geladen wurde, waren meist nur Männer anwesend.
 
Fand in diesem Raum nicht das Konklave statt? Die Papstwahl? Manche der Herren Kardinäle, die daran teilnahmen, kannte ich sehr gut, um nicht zu sagen ganz intim.
 
Wer ich bin?
 
Ich bin eine Kurtisane, eine Dirne, eine Hure, eine Hübschlerin, eine Hudel, eine Metze, ein Winkelweib, eine Reiberin, eine Treiberin, eine unendliche Frau, eine gemeine Frau, eine offene Frau – ein armes Fräulein.
 
All diese Namen hat man uns gegeben. 700 von uns gab es während des Konzils von Konstanz. Das wissen wir, weil der werte Herr Richental vom Reichsmarschall Herzog Rudolf von Sachsen beauftragt wurde, die gemeinen Frauen in Konstanz zu zählen. Er kam auch in unser Frauenhaus am Ziegelgraben, wo dreißig von uns wohnten.
Aber ich habe gehört, er habe sich nicht getraut, auch die Heimlichen zu zählen, die Pfennighuren, die auf der Straße oder in Ställen ihre Dienste anboten, oder die Vornehmen, die von Kupplerinnen nur an hohe Herren, vor allem Geistliche, heimlich vermittelt wurden.
Das war dem Herrn Chronisten zu gefährlich. Wer weiß, wem er damit alles auf die Füße getreten hätte in dieser ach so braven Stadt!
 
Ihr müsst wissen, dass es unter uns Dirnen große Unterschiede gab. Die Dame, die sich im Konstanzer Hafen dreht, Imperia, ist der Inbegriff der schönen, begehrten und erfolgreichen Kurtisane. Solche waren natürlich auch nach Konstanz gekommen, auch wenn keine von ihnen Imperia hieß, aber ich habe gehört, dass manche von ihnen bis zu 800 Gulden verdient haben.
 
Für mich eine unvorstellbare Summe! Ich selber bin keine der edelsten unter den gemeinen Frauen. Im Frauenhaus bekomme ich für meine Dienste zwischen drei und sechs Pfennige.
Ihr wundert euch über mein teures Kleid aus Hanf und Seide? Das trage ich, damit meine Kunden, einfache Gesellen und Handwerker, wenigstens die Illusion haben, sie verkehrten mit einer wohlhabenden, feinen Dame. Doch das Kleid gehört mir nicht, es ist Eigentum des Frauenwirts, so wie ich selber auch. Drei Gulden hat er für mich bezahlt, und meine Schulden bei ihm für Kost, Logis und Kleidung betragen 10 Gulden. Wenn ich euch nun sage, dass 1 Gulden 240 Pfennige sind, dann könnt ihr euch vorstellen, dass ich das meiner Lebtag nicht abbezahlen kann.
 
So gehöre ich dem Frauenwirt, und er kann mit mir tun, was er will. Er darf mich sogar schlagen. Aber um ehrlich zu sein, die braven Ehefrauen haben es auch nicht besser. Auch sie müssen in der Obhut ihrer Männer bleiben, selbst wenn sie geschlagen werden. Der Mann ist das Haupt der Frau – so steht es in der Bibel und so sieht es die Obrigkeit.
 
Andererseits soll der Frauenwirt mich ja auch beschützen. Denn ihr müsst wissen, bei uns im Frauenhaus in der Gaststube fließt immer reichlich Wein, da fliegen schnell die Fäuste oder Messer werden gezückt. Zumal wir viele junge Männer zu Gast haben. Für diese ist es ja nicht so einfach zu heiraten, die Voraussetzungen sind streng. Nur wer eine Familie unterhalten kann, darf sich verehelichen, und welcher einfache Geselle kann das schon!
Nicht einmal die Hälfte aller Menschen in unserer Stadt ist verheiratet. Deshalb ist der Stadtrat durchaus für uns und unser Gewerbe, denn es hat eine wichtige Funktion für den Frieden in der Stadt. Und der Frieden in der Stadt hat für den Stadtrat oberste Priorität.
 
Aber ich muss sagen, während der Konzilszeit waren die Regeln in der Stadt noch nicht so streng. Es kümmerte die Obrigkeit im Grunde wenig, wenn auch Ehemänner oder Kleriker zu uns kamen. Nicht umsonst kamen die von den Kritikern wie Jan Hus geforderten Reformen des Klerus während des Konzils nicht recht voran. Solange wir uns an die Vorschrift hielten, nachts und zu den heiligen Zeiten zu schließen, ließ man uns gewähren.
 
Auch waren wir rechtlich durchaus geschützt. Wenn besonders sittenstrenge Bürger meinten, sie müssten uns beleidigen, dann konnten wir sie beim Rat verklagen. Meiner Kollegin Anna Schmiderin wurden die Haare abgeschnitten und die Kleider weggenommen, um sie zu demütigen, worauf sie Klage geführt und Recht bekommen hat!
 
Doch mit der Zeit wurden die Moralvorstellungen des Konstanzer Rats strenger, gegen Ende des Jahrhunderts wurde eine Haushurensteuer eingeführt, die von allen alleinstehenden Frauen, sogar den Näherinnen bezahlt werden musste. Alle alleinstehenden Frauen wurden als Huren betrachtet! Und etwa 100 Jahre nach dem Konzil wurde eine spezielle Ordnung für uns Dirnen eingeführt. Das war einerseits gut, denn der Frauenwirt wurde nun verpflichtet, für uns zu sorgen, wenn wir krank wurden und uns gegen die Bezahlung von nur 1 Gulden gehen zu lassen, wenn wir unseren Lebenswandel ändern wollten. Außerdem durften die Frauenwirte uns nicht mehr kaufen und verkaufen. Doch wir waren natürlich größerer Kontrolle unterworfen.
 
Schließlich erwarb der Stadtrat sogar das Frauenhaus und damit gab es ein geordnetes städtisches Bordell.
 
Doch dann kam die Reformation, die in unserer Stadt besonders streng war. Die Prediger Ambrosius Blarer und Johannes Zwick setzten den Rat so lange unter Druck, bis das Frauenhaus geschlossen wurde. Eine Frau, die es wagte, sich noch als Kupplerin zu betätigen, wurde schwer gefoltert und aus der Stadt gewiesen. Die Hurerei wurde gänzlich verboten und eine Zuchtordnung für alle Bürger erlassen, für deren Einhaltung ein Zuchtherr zuständig war. Der wiederum ernannte Spitzel, die ihm laufend berichten mussten, welcher Konstanzer einem Laster gefrönt hatte. Die betroffenen Bürger kamen vor das Sittengericht, die Reichen konnten sich freikaufen, die Armen wurden streng bestraft.
 
Erst als Konstanz wieder katholisch wurde, hatte dieser Spuk ein Ende.
 
Werte Frauen, so wechselvoll waren die Geschicke von uns armen Fräulein in früheren Zeiten. Und wie ist das heute?

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