Pastorin Sonja Domröse – Kommunikationsmanagerin und Coach“

Tischrede 8. März 2015, Frauenmahl Meißen


„Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir befinden uns Anfang der 70er Jahre auf einem Raumfahrtbahnhof. Gerade ist eine Rakete  wieder erfolgreich aus dem All zurückgekehrt. Eine große Pressekonferenz findet statt, die beiden Astronauten sollen Rede und Antwort stehen über ihre Eindrücke und das, was sie dort im unendlichen Kosmos gesehen haben. Da meldet sich ein Journalist, der unter seinen Kollegen als Spaßvogel bekannt ist: „Ich habe eine Frage: Haben Sie auch Gott gesehen dort im All?“ „Oh sicher“, antwortet da einer der Raumfahrer schlagfertig. „Sie ist schwarz!“

Gott als schwarze Frau: Das stellt unsere gängigen Bilder vom Göttlichen ziemlich auf den Kopf. Sind wir es doch eher gewohnt, wenn wir von Gott sprechen, uns einen bärtigen, grauhaarigen Mann vorzustellen, so wie ihn Michelangelo in seinen Fresken an die Decke der Sixtinischen Kapelle in Rom verewigt hat und wir ihn in unzähligen Bildern der Kunstgeschichte in Museen und Kirchen bis heute finden. 

„Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft. Du sollst keine  anderen Götter haben neben mir. Du sollst dir kein Bildnis machen in irgendeiner Gestalt.“ So heißt es in den Zehn Geboten, die Gott Mose am Berg Sinai auf zwei Tafeln gibt und damit seinen Bund mit dem Volk Israel schließt. 

Laut biblischer Erzählung ist Mose Gott das erste Mal in der Wüste begegnet. Aus einem brennenden Dornbusch spricht Gott ihn an. Mose erhält von ihm den Auftrag, das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei zu führen. Als Mose fragt, in wessen Namen er seine Landsleute in das gelobte Land führen soll, lautet die Antwort sehr rätselhaft: „Ich bin, der ich bin“ (2. Mose 3,14). So lautet der Gottesname. 

Nehmen wir die Bibel beim Wort, so müssten wir genauer übersetzen: „ Ich bin, der/die ich bin“. Denn laut 5. Mose 4,16 sollen wir uns kein Bild von Gott machen, „das gleich sei einem Mann oder einer Frau“. Rein männliche Attribute für Gott sind daher immer unvollkommen. Denn Gott ist nicht in Worte zu fassen, die ewige Lebenskraft entzieht sich konkreten Namen. 

Das biblische Bilderverbot meint also: Himmel und Erde können Gott nicht fassen. Und es wäre weit unter dem Niveau der lebendigen Beziehung zwischen Gott und den Menschen, sich auf ein Bild, ein Verhalten Gottes festzulegen.

Aber wir Menschen brauchen Bilder, um unsere Gefühle, unsere Empfindungen auszudrücken. Wir machen uns Vorstellungen, denn wir sind sinnliche Wesen. In Bildern, in Sprachbildern von etwas zu reden, hilft uns zur Bewältigung und Deutung unserer Wirklichkeit. „Ich bin im siebten Himmel“ ist so viel ausdrucksstärker als schlicht zu sagen „Ich bin verliebt“. Und wenn ich sage: „Mir hat es den Boden unter den Füssen weggezogen“, dann schwingt sehr viel mehr mit als bei einer Aussage wie „Ich bin verzweifelt.“

So ist es auch mit unseren Sprachbildern, unseren Metaphern für Gott. Wie viel mehr Sinnlichkeit liegt in Namen wie „Quelle des Lebens“, „starker Fels“, „Ewige Geistkraft“ oder auch „Der Herr ist mein Hirte.“ Unser Herz ist eine Bilderfabrik. Denn ohne innere Bilder, die wir dann in Sprache fassen, können wir nicht leben. 

Unsere Seele denkt und träumt und glaubt auch in Bildern. Sie lebt auch von sinnlicher Erfahrung, von der Anschauung.  Gottes Geist will uns  „erleuchtete Augen des Herzens“ geben (Eph 1,18) und wir dürfen „schmecken und sehen, wie freundlich Gott ist“ (Ps 34,9). Jesus selber hat immer wieder in Gleichnissen und Bildern gesprochen, wenn er seinen Jüngerinnen und Jüngern deutlich machen wollte, wie es im Reich Gottes zugeht oder wie Gott selber ist. Im Matthäus-Evangelium vergleicht er die göttliche Kraft mit einer Henne, die ihre Küken unter ihren Flügeln versammelt (Mth 23,37).  

So ist das biblische Bilderverbot für mich so zu verstehen: Wir dürfen Gott nicht in ein einziges, letztgültiges Bild zwängen. Und ihm nicht nur ein Geschlecht, nämlich das männliche, zuschreiben. Gleich am Beginn der Bibel wird mit diesem Missverständnis aufgeräumt, Gott sich ausschließlich als Mann vorzustellen. Denn Frau und Mann, Eva und Adam, sind zum Ebenbild Gottes geschaffen. 

In der Bibel finden sich an verschiedenen Stellen weibliche Bilder für Gott, wenn diese Lebenskraft etwa mit einer Mutter verglichen wird: „Ich werde euch trösten, wie eine Mutter tröstet (Jesaja 66,13).  Oder mit der Wildheit und dem Zorn einer Bärin, der die Jungen geraubt wurden (Hosea 13,8).  

Eine möglichst große Vielfalt an Namen für Gott und für sein jenseits aller männlichen und weiblichen Bilder liegendes Wesen bietet dabei die Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“, die sich u.a. explizit zum Ziel gesetzt hat, die männlichen Gottesbilder zu relativieren. Daher übersetzt sie auch konsequent das „Vater unser“ mit den Worten: „Du, Gott, bist uns Vater und Mutter im Himmel.“ 

Bilder sind mächtig. Bilder sagen mehr als Worte. Bilder gehen ins kollektive Gedächtnis ein. Willi Brandts Kniefall am Mahnmal des Warschauer Ghettos ist solch ein Bild. Wirkungsmächtig spricht es von Reue, Scham, Demut, Trauer, Menschlichkeit und noch vielem mehr. 

Die  Bilder der einstürzenden Twin Towers in New York sind auch solche Bilder, die ins kollektive Gedächtnis eingegangen sind, besser wohl gesagt, sich eingebrannt haben. Bilder, die von tausendfachem Mord erzählen, von Terror und abgrundtiefem Hass.

Die Karikaturisten von Charlie Hebdo und ihre Redaktionsmitglieder wurden wegen ihrer Bilder umgebracht. Eine in der Geschichte der bildenden Künste bislang einmalige Gräueltat: Eine Künstlergruppe wird erschossen wegen der Bilder, die sie zeichnen. Die Täter von Paris haben nicht unterschieden zwischen Bild und Gott, Bild und Körper. Sie identifizierten die gezeichneten Figuren mit dem Propheten Mohammed. Bilder aber zeigen Menschen, sie sind nicht identisch mit ihnen. Diese Einsicht hat sich in der abendländischen Tradition in langen Auseinandersetzungen durchgesetzt.

Am Ende der Religionskriege im Zuge der Reformation standen im 16. und 17. Jahrhundert zwei große zivilisatorische Errungenschaften: Erstens wurde im Tridentinischen Konzil 1563 angeordnet, dass Bilder im katholischen Raum zwar verehrt werden dürfen, aber nicht angebetet. Bilder sind lediglich ein Medium, das zu Gott hinführt, aber nicht Gott selbst. Mit dieser Klarstellung reagierte die katholische Kirche auf den Vorwurf der Protestanten, sie würde Gott in Kunstwerken anbeten. 

Zweitens wurde im Westfälischen Frieden am Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 festgehalten: Kein Mensch darf auf  Grund seines Glaubens getötet werden. Das sind die Grundpfeiler des Bilder- und Menschenrechtsverständnisses in der abendländischen Tradition.

Kommen wir zum Schluss noch einmal zum biblischen Bilderverbot, dem Ausgangspunkt unserer  Überlegungen. Wir leben in einer Zeit der medialen Revolution und es ist nicht abzusehen, wohin uns die technischen Möglichkeiten des Internets, der Sozialen Netzwerke sowie der weiteren Erfassung und Sammlung von persönlichen Daten führen werden. In Bezug auf Bilder bedeutet dies: Ist ein Bild erst einmal ins Netz gelangt, dann kann es dort für immer bleiben. Für die Ewigkeit ist es im Internet von überall her auf der Welt abrufbar.  

Bilder sind auch unendlich oft zu vervielfältigen. Mancher Jugendliche hat dies schon sehr unangenehm zu spüren bekommen, wenn Fotos, schnell eingestellt von ihm selbst oder anderen, von einem potentiellen Arbeitgeber per Suchanfrage im Internet mit einem Klick auftauchen. Oder denken wir an Peer Steinbrück und das Bild in der Süddeutschen Zeitung, bei dem er in einer Fotostrecke den Stinkefinger zeigt. Innerhalb von 0,18 Sekunden erscheinen dazu 13.200 Einträge.

So ist für mich im biblischen Bilderverbot auch ein zutiefst menschliches Recht enthalten: Menschen sollen geschützt werden vor dem Bild, das sich andere von ihnen machen. Und wir sollen auch geschützt werden von dem Bild, das wir selber von uns haben.
Denn jede und jeder ist ein Fragment. Und das in einem zweifachen Sinne: Wir tragen die Narben und Verwundungen unserer Vergangenheit in uns. Wir sind auch Fragmente zerbrochener Hoffnung, verronnener Lebenswünsche, verworfener Möglichkeiten, vertaner und verspielter Chancen. 

Wir sind aber andererseits auch Fragmente auf Zukunft hin. Denn Fragmente sind unvollendet gebliebene Werke, die ihre endgültige Gestaltungsform – noch nicht – gefunden haben. Ein Fragment birgt also auch immer ein Moment der Sehnsucht in sich, der Sehnsucht nach Vollkommenheit und verweist damit positiv nach vorn. In dieser zweifachen Hinsicht sind wir alle ein Fragment, weshalb es unmenschlich ist, jemanden auf ein Bild festzulegen und sie oder ihn damit zu identifizieren.  

„Unser Wissen ist Stückwerk, uns unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene , so wird das Stückwerk aufhören. Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind; als ich aber erwachsen wurde, tat ich ab, was kindlich war.

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

So schreibt es Paulus im 13. Kapitel seines 1. Korintherbriefes und ein Satz  aus diesem Abschnitt („Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild“) hat unserem Frauenmahl ja auch das Motto gegeben. Die Worte des Paulus aus dem Korintherbrief sind auch bekannt unter dem Namen „Das Hohelied der Liebe“.

Enden möchte ich mit einem Zitat von Max Frisch, das gerade diese Spannung zwischen der Liebe und dem Versuch, sich ein Bild vom anderen zu machen, deutlich aufnimmt: 

„Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten sagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen.“

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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