Pfrn. Dr. Meehyun Chung – mission 21, Evangelisches Missionswerk Basel

Marburg, 30.10.2011


Heute, an
diesem historischen Ort als Vertreterin der weltweiten Ökumene sprechen zu
dürfen, das ist mir eine grosse Ehre und eine echte Freude.

Die buchstäbliche Interpretation der Bibel, die im Süden
eher verbreitet ist, hat vielfach eine lähmende Wirkung gehabt, so z.B. im Fall
von häuslicher Gewalt und bei der Frage nach Ehescheidungen. Aber diese Lesart
hat auch ihre animierende Seite, wie zum Beispiel wenn es um das Teilen des
Brotes geht. Im Süden wird dies tendenziell eher im buchstäblichen Sinne
praktiziert, während im deutschen und schweizerischen theologischen Denken eher
der metaphorische Sinn betont wird. So stieß ich das eine oder andere Mal an,
wenn ich wie in meiner Kultur üblich, bei einer Begrüßung mein Gegenüber
fragte, ob er oder sie denn schon gegessen habe. Die Menschen empfanden dies im
besten Fall als komisch, manche sahen darin sogar eine Grenzüberschreitung. Was
in meinem Kontext vollkommen normal ist, ist hier befremdlich. Wie etwa, wenn
ich im Zug etwas esse, und ich dies nach meiner kulturell geprägten
christlichen Handlungsweise erst kann/tue, nachdem ich meiner fremden
Sitznachbar(in) etwas davon angeboten habe. Diese zwei alltäglichen Beispiele
sind ein konkreter Hinweis dafür, wie sehr der eigene kulturelle Maßstab die
Anwendung des Evangeliums leitet.

Niemand und nichts existiert in diesem Universum ohne
Beziehung zu anderem. Auch wenn ich es nicht weiß, haben meine Entscheidungen
und Handlungen Konsequenzen, die andere betreffen. Dies gilt mehr denn je in
einer global vernetzten Welt. Wo dieses Aufeinander Bezogensein und Aufeinander
Angewiesensein ernst genommen wird, wo dieses Bewusstsein auch als
Handlungsmuster wirksam wird, kann man sich gegenseitig Würde zugestehen.

Darüber
hinaus brauchen wir eine neue Kultur der Fürsorge, in der Lasten und Gewinn gerecht
verteilt werden und ein neues Wertesystem, das vom (faktisch schon überholten)
Monopol westlicher Werte, Denk- und Handlungsmuster befreit.

Unser Zeitalter erfordert eine zunehmende Achtsamkeit
gegenüber der Natur.[1]Eines ihrer Merkmale ist die Diversität von
Lebewesen und -formen. Die Globalisierung tendiert jedoch genau in die
Gegenrichtung, hin zur ökonomischen Monokultur. Als christliche Gemeinschaft
sind wir aufgefordert, der Gegenwind zu dieser Tendenz zu sein. Dabei benötigen
wir einen Blick, der Verletzbarkeit, Hindernisse und Grenzen durch Alter,
Religionszugehörigkeit, Geschlecht, Ethnie, körperliche Behinderung, soziale
Herkunft und anderes mehr berücksichtigt, um so die weltweite Vielfalt der
Kulturen zu schützen und lebendig zu halten.

Was bedeuten diese Gedanken nun ganz praktisch für
Migrantinnen, deren religiöse Sitten und Formen hier fremd sind? Diese
Fremdheit löst bei vielen Menschen Angst und Abneigung aus[2] und
es ist gewiss nicht immer einfach, die relevanten Werte der religiösen und
kulturellen Vielfalt wahrzunehmen, weil sie sich so sehr vom Gewohnten und
Bequemen unterscheiden.

Doch die religiöse Praxis dieser Migrantinnen gleichsamzu verdeutschen, ist nicht die
Integrationsmethode, die mir vorschwebt, ist ihre religiöse Praxis doch aus
anderen Prägungen und Wahrnehmungen des Lebens erwachsen. Ich halte es im
Gegenteil für notwendig, dass diesen uns fremden christlichen Werten
ausländischer Frauen Autorität zugestanden wird. Dies könnte zu einer
gegenseitigen Bereicherung führen, es könnte uns befähigen, gemeinsam Kirche zu
sein. Die Kirche ist für viele Migrantinnen zweifellos eine der wichtigsten
gesellschaftlichen Adressen. Und sie möchten Gott auf ihre Art und Weise loben,
sei es innerhalb oder ausserhalb eines Gottesdienstes, auch wenn die
liturgischen Gewohnheiten unterschiedlich sind. Und die Integration, die ich
meine, würde nicht bei gemeinsamen Gottesdiensten stehen bleiben, sondern sie
würde über die Kirchenmauern hinaus wirken.

Integration ist stets ein gegenseitiger Prozess und nur
durch Bemühungen beider Gruppen – der Einheimischen und der Ausländerinnen und
Ausländer – möglich. Ihre Umsetzung ist anspruchsvoll und verlangt steten
Einsatz. Aber sie ist verheißungsvoll; denn das Resultat ist eine
geschwisterliche Gemeinschaft, die ihre eigenen Werte und Sichtweisen auf den
Prüfstand zu stellen wagt und damit neue Horizonte schafft, die vielfältige
Chancen eröffnen.

Grundvoraussetzung dafür ist es, zuzuhören und nicht einfach
die eigenen Normen dem Fremden überstülpen zu wollen.[3] Es
geht darum, nicht nur eine Bestätigung unserer eigenen Position hören zu
wollen, sondern bereit zu sein, Fremdes und Neues wahr- und anzunehmen. Und
dann darüber zu reflektieren und uns damit dialektisch auseinanderzusetzen, um
gemeinsam zu neuen Formen zu finden.

Zum Schluss möchte ich meine Perspektive zum Ausdruck
bringen. Ich tue das auf Grund meines gegenwärtigen Lebensortes, meiner
Lebenssituation als Koreanerin in der Schweiz (dessen, was in der biblischen
Wissenschaft „Sitz im Leben“ genannt wird) und vor meinem theologischen
Hintergrund als „Reformierte“ mit Bezug auf Zwingli. Ich möchte hier nur ein
Stichwort hervorheben: Gedächtnis/ Erinnerung an die Auferstehung.

Beim Abendmahl ist die Danksagung mit der Erinnerung an den
Tod Jesu unter einer imperialistischen Besetzungsmacht verbunden. Aber es ist
kein Trauermahl für einen Toten, sondern das Mahl der Tischgemeinschaft für das
Leben aus der Kraft der Auferstehung. Es mahnt uns gleichzeitig und unmittelbar
an verpflichtendes ethisches Handeln und politische Verantwortung für die
Gemeinschaft.

Ich bin zuversichtlich, dass uns Frauen die umfassend
gelebte Ökumene gelingen wird; denn wir sitzen nicht nur zu gemeinsamen
Verhandlungen zusammen, sondern leben und feiern ganz praktisch im Alltag
gemeinsam unseren Glauben.

Weil es noch immer eine weltweite Tatsache ist, dass wir
Frauen die unsichtbaren Dimensionen der Hausarbeit kennen, weil wir noch immer
den größten Teil dieser unbezahlten Arbeit im Haus und für die Familie leisten,
weil wir wissen, wie viel es braucht, bis ein Brot gebacken, ein Kleid genäht,
ein Kranker gesund gepflegt ist, sind wir dazu aufgefordert, kritisch über die
Privatsphäre hinaus gesellschaftlichen Strukturen und ihre Folgen für die
Bevölkerung des Südens zu hinterfragen. Somit entsprächen wir dem Willen Gottes
in der Gesellschaft, so wie Zwingli das als konkret tätige Konsequenz des
Glaubens verlangt.

Um nun den Bogen zu meinem Thema zu schliessen:

Mission und Ökumene können im 21. Jh. die Werte des Empfangens
und der einladenden Gastlichkeit bewusst hervorheben und durch diese Gewichtung
eine neue Sichtweise in die Beziehungen zwischen den Kirchen des Nordens und
des Südens einbringen. Dieses metaphorisch mit weiblicher Biologie assoziierte
Empfangen dürfen wir alsdie menschliche
Antwort auf den Aufruf Jesu Christi verstehen (Vgl. Mt 11,28).

Jesus als Gastgeber lud nicht nur damals seine Jüngerinnen
und Jünger zu Brot und Wein ein – ebenso lädt Jesus heute uns alle, aus allen
Gegenden der Ökumene, der einen Welt ein, damit an uns die organische
Verbundenheit mit Gott und unseren Mitgeschöpfen erkennbar wird. So akzentuiert
Zwingli die Erinnerung im Abendmahl (anamnesis) als reale Vergegenwärtigung und
aktualisiert in dieser Weise das Abendmahlsgebet der Didache bis heute als
Vision, in der jeder und jede Einzelne Teil eines größeren Ganzen wird, so wie
die vielen Weizenkörner sich zu einem Brotlaib verbinden. Dessen bedürfen wir
überall, sind wir doch alle Gäste und Fremde auf dieser Erde.



[1] Das
Thema der Vollversammlung des ÖRK, Busan, Korea 2013 „Gott des Lebens, weise
uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden“ legt grossen Wert darauf.

[2] Hier gibt es die von Politikern
manipulierten Ängste und es gibt die Realitäten in den von neuen Bevölkerungen
bewohnten Quartieren.

[3] Vgl. J. Kristeva, Fremde sind wir
uns selbst, Frankfurt 1990, 208f.

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